Um GOTTES Willen

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Mehr als Spuren von "Religion": Österreichs Regie-Stars halten längst Filme zum Thema bereit. Mit "Superwelt" versucht sich nun auch Karl Markovics als Regisseur am lieben Gott.

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Mehr als Spuren von "Religion": Österreichs Regie-Stars halten längst Filme zum Thema bereit. Mit "Superwelt" versucht sich nun auch Karl Markovics als Regisseur am lieben Gott.

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Dass die Gottesfrage im zeitgenössischen Filmschaffen Österreichs eine markante Rolle spielt, mag man zwar nicht wirklich behaupten. Dennoch ist Religion auch in den gefeierten Leinwand-Opera heimischer Provenienz durchaus Thema. Michael Haneke, der Altvordere, sezierte 2009 etwa im "Weißen Band" die Religion am Vorabend des Ersten Weltkriegs in einem norddeutschen Dorf: Verengung, eine Drohbotschaft - und dennoch nicht falsch. Interessant allenfalls, dass der Filmemacher aus dem katholischen Österreich hier die Fratze des Christentums in dessen lutherischer Spielart aufs Korn nahm.

Auch ein anderer Regie-Star des Landes, Ulrich Seidl, hat es zumindest ein bisschen mit Gott. Denn in dem Kaleidoskop menschlicher Abartigkeit, als das sich die Seidl-Filme bekanntlich erweisen, darf so etwas wie ein Gottes-Wahn nicht fehlen. Mit dem vorgeblichen Dokumentarfilm über das Beten, "Jesus, du weißt", behelligte Seidl schon 2003 das Publikum; formvollendet kam das alles dann ein knappes Jahrzehnt später als "Paradies: Glaube" auf die Leinwand, wobei bei diesem Film vor allem die Leistung von Maria Hofstätter nachhaltig bleibt, die einer verqueren Religiosität und Gottsuche ihre Gestalt lieh.

"Lourdes" - das statuierte Film-Exempel

Als eigentlichen "österreichischen" Referenzfilm zum Thema Gott sollte man hingegen Jessica Hausners "Lourdes" aus dem Jahr 2009 nehmen. Denn hier war die Gottesfrage ernsthaft präsent und nicht via Gruselkabinett vormoderner Provenienz, zu dem Gott durch seine dargestellten Anhänger(innen) noch bei Seidl mutierte.

Was Hausners kühlem Blick auf die Erlebnisse einer zu Filmbeginn gelähmten Lourdes-Pilgerin samt ordentlicher Wallfahrts-Entourage gelingt, gehört längst ins postchristliche Zeitalter: Mit säkularen Augen auf die Religion zuzugehen, sie nicht schon im Ansatz lächerlich zu machen und bei einer nüchtern-distanten Beobachtung zu bleiben -diese Leistung ist bis heute im heimischen Filmschaffen nicht mehr erreicht worden. Gleichzeitig musste ein Film wie "Lourdes" auch keinesfalls Partei für außersinnliche Welterklärung ergreifen oder verlangen, vor dem Eintritt in den Kinosaal die Vernunft abzugeben. Interessiert. Beinahe sympathisierend. Keinesfalls abschätzig. So die Religions-Beobachtung von "Lourdes". In diesem Setting durfte dann auch ein Wunder vorkommen -und offenbleiben, ob es sich dabeinicht doch um ein medizinisch erklärbares Geschehen handelte.

Gott sucht sich bis heute sein Menschlein

Man kann Karl Markovics' zweite Regiearbeit "Superwelt", mit der er bei der Berlinale auf sich aufmerksam machte, und der die Diagonale in Graz eröffnet, durchaus in einer Entwicklungslinie, die von "Lourdes" ausgeht, sehen. Auch dieser Film setzt religiös nichts voraus, auch dieser Film geriert sich als Beobachter einer eigenen religiösen Phänomenologie. Und auch der "Superwelt" möchte man taxfrei das Attribut "postchristlich" umhängen, denn hier geht es gleichermaßen um eine Wirklichkeit, die noch das eine oder andere Wurzelchen im katholischen Humus stecken hat, aus dem die heimische Gesellschaft so lange entwuchs. Aber was Karl Markovics für diesen Film erdacht hat und mit der Kamera von Michael Bindlechner einfangen ließ, fußt auf der Erfahrung langer Entfremdung von traditioneller Religiosität.

Solcher Befund ist dennoch bloß die halbe Wahrheit. Denn Gott, so der unbedarfte Zugang des Films, hat sich damit nicht erledigt, sondern sucht sich bis heute sein Menschlein - sogar in der ebenen bis leicht hügeligen Landschaft östlich von Wien.

Dort fristet Gabi Kovanda, Ende 40, ihr kleinbürgerliches Dasein: Sie arbeitet im lokalen Supermarkt, die ältere Tochter Sabine lebt schon mit Freund in Wien, der jüngere Sohn Ronnie ist Korporal beim Bundesheer. Und Ehemann Hannes werkt bei der örtlichen Straßenmeisterei. Das Leben dieser trauten Familie verläuft in völlig erwartbaren Bahnen, das eigene Haus ist gebaut, Gabi fährt einen billigen Nissan, Hannes muss sich mit einem Moped begnügen. Eine schlichte Existenz, die Ehe etwas eingerostet, die Kinder versorgt und die Pension jedenfalls fast schon in Sicht. Ob sie einen neuen Kühlschrank will, fragt Hannes seine Gabi einmal. Der bockt nämlich, ebenso die Waschmaschine. Aber eine neue Küche kriegt sie nicht mehr, setzt der Gespons hinzu: Die muss bis zum Schluss reichen

In dieser ein wenig trostlosen Idylle überkommt es Gabi auf einmal: Als sie nach einer Frauenturnstunde zum Auto geht, wirft sie etwas aus der Bahn. Dieses Etwas setzt sich fort -eine Stimme, die nur Gabi hört. Beunruhigend. Verstörend. Gabi weiß nichts mit dieser Erscheinung anzufangen. Sie versucht, mit einer Bekannten vom Aerobic-Kurs darüber zu reden und geht zur Ärztin. Aber auch die können die Beunruhigung nicht zum Verschwinden bringen.

Eines Sonntags, als die Kinder zum Essen da sind und Hannes im Garten grillt, läuten zwei Zeugen Jehovas. Aus dem Gespräch über Gott, das Gabi mit den beiden führt, springt ein Funke über -sie weiß auf einmal, wer diese Stimme ist, die sie hört.

Gabi lebt quasi traumwandelnd weiter, Hannes und ihre Umgebung bemerken, wie sie sich verändert. Scheinbar ziellos streift Gabi durch die Landschaft, zwischen Ährenfeldern und über Autobahnbrücken wandelnd redet sie mit der Stimme. Sie begegnet auf ihren Fußmärschen vielen Menschen - einer Gruppe von Arbeitern in einem Steinbruch; einem LKW-Fahrer, der sie "rettet", weil er glaubt, dass sie sich von einer Brücke stürzen will; dem Bundesheer-Trupp, den ihr Jüngerer befehligt, und dem das offensichtlich peinlich ist; einer Hochzeitsgesellschaft, die aus einer Wiesenkapelle herausströmt

Das Leben der Gabi Kovanda scheint auf den Kopf gestellt -bis sie, in ihrem Auto sitzend, in einem Gewitter landet: Blitz und Donner, so wissen wir aus allerlei alten Mythen, haben mit den Göttern zu tun. Auch in der Bibel findet sich via Naturkatastrophenbild göttliche Manifestation -dort aber auch in deren Gegenteil: Dem Propheten Elija begegnet Gott, weiß der Bibelleser, in der "Stimme eines dünnen Schweigens", so die poetische Übersetzung der Begebenheit im ersten Buch der Könige.

Zwischen Donner und Blitz sowie rätselhafter Stille changiert auch das überirdische Erleben in "Superwelt". Es ist Drehbuchautor und Regisseur Karl Markovics anzurechnen, dass er sich zu keinerlei Eindeutigkeit hinreißen lässt. Und dass er im Setting auf der Erde bleibt: Die Erscheinung -oder als was immer man die Erfahrungen von Gabi Kovanda qualifizieren mag -widerfährt einer Supermarktkassierin. Das Transzendente dringt in eine bislang überschaubare Welt ein, in der alles, Pension und Einbauküche, die eben bis ans Lebensende halten wird, schon eingerichtet erscheint. Und doch überkommt es diese irgendwie heile Welt: eine Störung, die alles Eingefahrene in Frage stellt, macht sich breit.

Karl Markovics lässt sich Zeit, die Geschichte zu entwickeln, und auch wenn er (vgl. das Interview umseitig) das alles mit einer postchristlichen Gotteserfahrung in Beziehung bringt, muss man dieser Spur nicht uneingeschränkt folgen: Der Film zeigt, dass Gabi Kovanda Stimmen hört, die sie als Gotteserfahrung identifiziert. Zumindest zeitweise. Ob der Zuschauer das auch so sieht?

"Augenzwinkernde" Anklänge an die Bibel

Zumindest sucht "Superwelt" auf derartige Spuren zu bringen: ein brennender Strauch -nein kein Dornbusch, sondern Thujen an der Grenze zu Nachbars Grundstück - ist da, eine "Abendmahlsszene" in einem Arbeiterwagen mit zwölf Bauarbeitern (vgl. Bild auf Seite 1 dieser FURCHE), eine dreifache Verleugnung des Petrus -äh von Sohn Ronnie, der sich für seine Mutter schämt: "Augenzwinkernd" nennt Markovics diese Anklänge. Da hat sich der Filmemacher also an der biblisch-jüdisch-christlichen Ikonografie bedient. Das ist schon gut so.

Aber dennoch lebt "Superwelt" nicht davon -und auch nicht wirklich von der Gottesfrage, selbst wenn diese zweifelsohne hier in säkularem Gewand entgegentritt. Sondern bestechend bleibt vor allem die Anmutung, dass dies im Supermarkt -sozusagen zwei Straßen weiter -seinen Ausgangspunkt nimmt und ein Paar trifft, dass völlig in der Fadesse der Normalität dahinexistiert. Wer von diesen beiden hätte gedacht, dass noch ein Ausbruch aus der Langeweile ihres Alltags drin ist?

Ach ja, fast hätte man vergessen, festzuhalten, dass dieser Gabi Kovanda in der Gestaltung durch Ulrike Beimpold eine beinah monströse Glaubwürdigkeit und Präsenz gelingt. Und dass dieser Rainer Wöss als Hannes Kovanda dem um nichts nachsteht. Man darf davon ausgehen, dass Karl Markovics weiß, was er an diesen Darstellern hat.

Superwelt A 2015. Regie: Karl Markovics. Mit Ulrike Beimpold, Ranier Wöss, Nikolai Gemel, Angelika Strahser, Thomas Mraz, Sibylle Kos. Thimfilm. 120 Min. Ab 20.3. im Kino.

Filme und andere Erscheinungen

Um eine Erscheinung im Wortsinn geht es in "Superwelt", dem Eröffnungsfilm der diesjährigen Diagonale, dem Festival des österreichischen Films, das vom 17. bis 22. März stattfindet. Einmal mehr trifft sich in Graz die Branche, um neue österreichische Filme zu sehen und den Zustand der heimischen Filmszene zu bewerten und zu diskutieren.

Redaktion: Otto Friedrich

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