Unbedingt im Dienst der Nächstenliebe

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Am 4. September, 19 Jahre nach ihrem Tod, wird Mutter Teresa von Kalkutta heiliggesprochen. Die Würde der Armen unbedingt hochzuhalten, war das Ziel der albanischstämmigen Ordensgründerin.

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Am 4. September, 19 Jahre nach ihrem Tod, wird Mutter Teresa von Kalkutta heiliggesprochen. Die Würde der Armen unbedingt hochzuhalten, war das Ziel der albanischstämmigen Ordensgründerin.

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Wir können keine großen Dinge vollbringen - nur kleine, aber die mit großer Liebe", sagte sie häufig. Die körperlich kleine Frau im weißen Sari mit den drei blauen Streifen gilt vielen als Synonym der Nächstenliebe: Mutter Teresa von Kalkutta. Kommenden Sonntag wird die aus dem heutigen Albanien stammende katholische Ordensfrau von Papst Franziskus heiliggesprochen.

"Was ich mache, das können sie nicht tun. Aber was sie tun, das kann ich nicht machen." Und manchmal fügte Mutter Teresa mit einem Lächeln hinzu: "Und gemeinsam können wir Großes tun!"

Als Mutter Teresa am 5. September 1997 in Kalkutta 87-jährig starb, hatte die von ihr gegründete Kongregation der "Missionaries of Charity", der Missionarinnen der Nächstenliebe, 594 Häuser in 120 Ländern der Welt.

Armut beseitigen heißt miteinander teilen

"Das einzige, was die Armut beseitigen kann, ist miteinander zu teilen", war Mutter Teresas Credo. Die Schwestern selbst haben nicht viel, ihr persönlicher Besitz passt in eine Schuhschachtel. Neben den drei Gelübden katholischer Ordenschrist(inn)en - Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam - versprechen die Missionarinnen der Nächstenliebe "freien Dienst aus ganzem Herzen an den Ärmsten der Armen. Und die Schwestern sollen ein "cheerful heart", ein "fröhliches Herz" haben, wünschte sich die Ordensgründerin. Die Grundstimmung in den Häusern der Missionarinnen der Nächstenliebe ist daher - trotz des Leides, dem die Schwestern begegnen - fröhlich. Und immer auch ein bisschen chaotisch. "MC steht nicht nur für Missionaries of Charity", sagte Mutter Teresa öfters, "sondern auch für much confusion, für großes Durcheinander".

Diese Fröhlichkeit und Unstrukturiertheit in manchen Dingen prägen auch das Haus der Schwestern in Wien am Mariahilfer Gürtel. Es ist ein ehemaliges Freudenhaus, in dem bis heute sechs Mal pro Woche hunderte Menschen eine warme Mahlzeit bekommen und Mütter in Not mit ihren Kindern Unterschlupf finden. Kardinal Franz König hatte Mutter Teresa 1984 eingeladen, auch in Österreich eine Niederlassung ihres Ordens zu gründen. Sie selbst hatte, als das Haus der Schwestern im zweiten Bezirk zu klein wurde, dann das Haus in der Nähe des Westbahnhofs ausgewählt. Das Essen für so viele Menschen wird durch Spenden ermöglicht. Täglich werden Lebensmittel eingesammelt, die vielleicht schon abgelaufen aber noch gut genießbar sind, zu einer Suppe verkocht und mit einem Lächeln von den Schwestern und freiwilligen Helfern an alle, die kommen, verteilt. Am Gürtel in Wien und in allen anderen Häusern der Mutter-Teresa-Schwestern rund um den Erdball.

"Ich weiß, dass es sein Werk ist; ich bin nur ein kleiner Bleistift in seiner Hand", sagte Mutter Teresa immer wieder. Geboren wurde sie als Anjeza Gonxha Bojaxhiu am 26. August 1910 als Tochter eines wohlhabenden, katholischen, albanischen Kaufmannes in Skopje - damals noch im Osmanischen Reich. Im Alter von 18 Jahren verließ sie das Haus, um bei den Loreto-Schwestern in Irland einzutreten und wurde - so wie sie es sich gewünscht hatte - von ihnen nach Indien geschickt. 1931 legte sie ihre Gelübde ab, nahm den Namen Teresa an, unterrichtete als Lehrerin und wurde später Direktorin der Loreto-Schule. Nach ihrer - wie sie es nannte - "Berufung in der Berufung" verließ Teresa ihr Ordenshaus und zog in eines der schlimmsten Elendsviertel von Kalkutta. Basis und Ansporn ihres Engagements war die Stelle aus dem Markusevangelium: "Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan."

Für viele - auch Nichtchristen - wurde sie zum "Engel der Armen", zur "Heiligen von Kalkutta". Kritiker bezeichnen sie als "Hell's Angel" und als "Todesengel von Kalkutta". Mutter Teresa wird als vom Teufel besessen, als Zuhälterin und Drahtzieherin dubioser Spendengeldtransaktionen bezeichnet. Im Internet finden sich viele negative Einträge. Ärzte kritisieren, dass die Hygienevorschriften bei der Krankenpflege in den oft primitiven Unterkünften nicht beachtet und Menschen mit ansteckenden Krankheiten nicht isoliert würden, sowie Sterbenden nicht ausreichend Schmerzmittel verabreicht wurden und werden.

Immer wieder wurde Mutter Teresa auch vorgeworfen, die Armut auf der Welt nicht verringert zu haben. "Sie trifft sich mit Diktatoren und nimmt, ohne es zu hinterfragen deren Spendengelder, sie packelt mit der Macht und dem Reichtum", referiert Petra Steinmair-Pösel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Systematische Theologie und Ethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, diese Vorwürfe und meint aber, dass sich Mutter Teresa bewusst entschieden habe, das Gute im Menschen zu sehen. "Nur das kann wirklich Veränderung bringen, nur dieser Weg führt zur Umkehr", zitiert Steinmair-Pösel Mutter Teresa. Gerade diese bescheidene Ordensfrau nun heiligzusprechen, ist für die Theologin ein "starkes Zeichen gegen die Machtbesessenheit der Amtskirche".

Zur Ehre der Altäre erhoben

Zur "Ehre der Altäre" wird Mutter Teresa nun erhoben, wie eine Heiligsprechung in der katholischen Kirche auch bezeichnet wird. Dabei führte ihr eigener Weg jahrzehntelang durch Dunkelheit. Außer ihren Beichtvätern ahnte wohl niemand, dass die ständig lächelnde Ordensfrau jahrzehntelang tiefe Glaubenszweifel plagten. "Es herrscht eine solche Dunkelheit, dass ich wirklich nichts sehen kann, weder mit meinem Geist noch mit meinem Verstand", schrieb sie, "der Platz Gottes in meiner Seele ist leer. In mir ist kein Gott". Diese Verlorenheitserfahrung, das Gefühl der Gottesverlassenheit, sei in der christlichen Tradition bekannt, sagt Jan-Heiner Tück, Professor für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, und werde auch als "Golgota-Erfahrung des Jesus von Nazaret gesehen". Das sei auch für gläubige Christen heute oft schwer nachzuvollziehen, gesteht er ein.

19 Jahre nach ihrem Tod und wenige Tage vor ihrer Heiligsprechung polarisiert die 1,61 Meter kleine katholische Ordensfrau nach wie vor. Ihr lebenslanges Engagement für den Schutz ungeborenen Lebens scheint vielen nicht mehr zeitgemäß. Immer wieder - auch die weltweite Aufmerksamkeit anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo 1979 ausnützend - sprach sie sich in ihrer Rede vehement gegen Abtreibung aus.

"Heiligkeit ist nicht der Luxus weniger, sondern die Aufgabe von uns allen", sagte die Friedensnobelpreisträgerin damals in Oslo weiter und rief dazu auf, "zu teilen und zu lieben, bis es weh tut".

Am 4. September wird Mutter Teresa von Kalkutta von Papst Franziskus heiliggesprochen. Bereits 2003, nur sieben Jahre nach ihrem Tod, war sie von Papst Johannes Paul II., der sie persönlich gut kannte, in für den Vatikan ungewöhnlich kurzer Zeit seliggesprochen worden. Den 5. September, ihren Todestag, hat die UN-Generalversammlung 2012 übrigens einstimmig zum "Tag der Nächstenliebe" erklärt.

RADIO-TIPP:

Zwischen Nächstenliebe und Gottesferne

Die "heilige" Mutter Teresa von Kakutta

Gestaltung: Maria Harmer

Logos - Theologie und Leben. Sa 3.9., 19.05, Ö1.

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