Neues Slowakei-Buch: Wir sollten nicht nur nach "Fressburg" fahren
Harmlos, treu, bescheiden, menschenfreundlich: das eine Klischee von den Slowaken. Das andere: einfältig, schwerfällig, unterwürfig, furchtsam. Gemeinsam beiden: historisch gewachsen, nicht ganz grundlos, aber hoffnungslos einseitig. Österreichische schnitzláks fahren nach Pressburg, weil sie es für ein noch immer preiswertes Fressburg halten, auch wenn es nicht mehr ganz ein Gratislava ist - aber wieviel mehr wissen wir vom Nachbarland im Osten?
Ja, gut, die Edita Grúberová kommt von dort, aber wissen wir es auch von Edward Teller und Andy Warhol? Und dass es in der noch immer betont deutschsprachigen Gegend um Zips/Spis eine eigene Heurigenkultur gibt? Dass der österreichische Maler Christian Ludwig Attersee im selben Pressburg geboren wurde, in dem elf Habsburger zu ungarischen Königen gekrönt worden waren, wo Béla Bartók maturierte und Kronprinz Franz Ferdinand Tennis spielte? Dass viele bei uns gebräuchliche Wörter (wie ogrosl für Stachelbeeren, grázel für böse Räuber, der Deschek sein und auf Lepschi gehen) aus dem Slowakischen kommen, dessen Kenntnis im Übrigen zu allen anderen slawischen Sprachen den leichtesten Zugang verschafft?
Das alles und tausend Dinge mehr erfährt man in einem Buch, das Gabriele Matzner-Holzer, seit 1997 Österreichs nicht nur wegen Kenntnis der Einheimischensprache geschätzte Botschafterin in der Slowakei, über dieses Land geschrieben hat: ein sich flüssig, anregend und oft spannend lesendes Buch, das unglaublich viel Wissen unglaublich locker vermittelt, kein unangenehmes Thema auslässt (Verhältnis zu Juden, Roma, Ungarn, Vergangenheitsbewältigung) und auch mit viel Humor ("Wann werden die Zeiten besser?" - "Sie waren es schon") für ein näheres Kennenlernen wirbt. Ein Buch für fajnsmeker.
Österreichisch-slowakische Verwandtschaften im Volkscharakter werden bewusst gemacht: Titelsucht und Handkusscomment, mehr Natur- als Fortschrittsliebe, und dass in kritischen Zeiten die Patrioten zuwenig Demokraten und die Demokraten keine Patrioten waren. Wird ein neuerlicher Wahlsieg des Vladimír Meciar eine politische Katastrophe heraufbeschwören? Muss nicht sein. Werden es die Slowaken in die Europäische Union schaffen? Und ob: Sie sind bei den Verhandlungen schon weiter als andere, die früher anfingen, und rangieren im Human Development Report der UNO auf Rang 35 von 163 Staaten - vor Ungarn (36) und Polen (38). Und außerdem liegt der Mittelpunkt Europas haargenau im Dorf Kremnické/Johannesberg.
Kenntnis- und pointenreich führt uns die Autorin krizom-krazom, also kreuz und quer, durch Land und Leute, Natur und Geschichte, an den 30 berühmten Holzkirchen, an Burgen und Schlössern, 23 Unis und Hochschulen (wo auch österreichische Lektoren Entwicklungs-Zusammenarbeit leisten), an der Heimat des Liptauers, historischen Bergwerken und 1200 Mineral- und Thermalquellen vorbei in Richtung Zukunft, die unsere Nachbarn auf soliden historischen Fundamenten aufbauen. Darauf sollten wir ein stamperlík trinken, damit wir einander nicht mit dämlichen Phrasen wie "Ich bin Slowake, aber ich kann es Ihnen erklären" oder "Sie werden lachen, aber ich bin Österreicher" gegenübertreten.
IM KREUZ EUROPAS: DIE UNBEKANNTE SLOWAKEI
Von Gabriele Matzner-Holzer
Verlag Holzhausen, Wien 2001
252 Seiten, Pb., e 24,-/330,-
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