Und sie bewegt sich doch!

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Spannende Zeiten für professionelle Beobachter wie für einfache Katholiken: Das Pontifikat von Franziskus, Bischof von Rom, entwickelt sich überraschend.

S eit Jahrhunderten grassiert die Mär, der von der Inquisition belangte Naturforscher Galileo Galilei habe - nach der gerichtlich erzwungenen Abkehr von seinen heliozentrischen Erkenntnissen - beim Verlassen des Gerichtssaals gemurmelt: Und sie bewegt sich doch. Zumal der Ausspruch mehr eine emotionale Verfasstheit widerspiegelt, als dass er sich tatsächlich so zugetragen hat, darf man damit wohl auch die katholische Kirchenlage kommentieren - und das gleich von zwei Seiten her.

Bei aller Vorsicht, ob schönen Worten auch entsprechende Taten folgen werden, beziehungsweise ob denn komplexe Systeme wie die katholische Kirche(nspitze) so mir nichts, dir nichts umzukrempeln sind: Franziskus, Bischof von Rom, legt nun ein Tempo vor, das selbst glühende Optimisten kaum erwartet haben. Es muss sich schnell etwas an Strukturen ändern, so die Botschaft, die nach dem ersten Treffen der achtköpfigen Kardinalskommission mit dem Papst klar scheint. Altbekannte Schlagworte, die aber, je höher in der Hierarchie, umso peinlicher vermieden wurden, erscheinen endlich als selbstverständliche Wegweiser: Dezentralisierung, Subsidiarität, also das - katholische! - Prinzip, dass alles, was auf unteren Ebenen zu lösen ist, dort angesiedelt bleiben soll, Synodalität, Kollegialität et cetera.

Dezentralisierung, Subsidiarität, Kollegialität …

Das zweite, was am Setting des Verfahrens wider Galilei auch für heute lehrreich bleibt, ist: Dort versuchte ein System und Machtgefüge im Widerspruch zur vernünftigen Erkenntnis, die alte Ordnung aufrechtzuerhalten - obwohl diese längst nicht mehr aufrechtzuerhalten war. Es könnte gut sein, dass die Strukturkonservativen, von denen es in einem höfischen System wie dem Vatikan ("Lepra des Papsttums“, © Franziskus) nur so wimmelt, schneller hinweggefegt werden, als sie und die beobachtende Welt es je vermutet hätten.

Für letzteren Befund gibt es ja durchaus Beispiele der jüngeren Geschichte: Unwillkürlich sticht das Pontifikat Johannes XXIII. ins Auge, wo es Schlag auf Schlag ging, und als unumstößlich geltende Zustände im Nu vom konziliaren Aufbruch überrollt wurden. Und vielleicht erweist sich Franziskus als gleichermaßen listig wie der Roncalli-Papst: Dass Johannes XXIII. zeitgleich mit Johannes Paul II., dessen Heiligsprechung wohl unvermeidlich ist, zur Ehre der Altäre erhoben wird - und ihm der derzeitige Papst das dazu nötige Wunder einfach "erlassen“ hat, sagt da mehr als viele Worte.

Der Druck von unten bleibt bitter nötig

Ein anderes Beispiel war der Versuch Michael Gorbatschows, das hermetische System des realen Sozialismus zu öffnen. Auch da stürzten starre Strukturen wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Natürlich ist der totalitäre Kommunismus mit den römischen Zuständen von heute nicht in einen Topf zu werfen. Aber für den Blick auf die damalige Implosion eines Machtgefüges sollte man sich nicht zu gut sein.

Dabei scheint auch wichtig, dass (nochmals: Subsidiarität!) die unteren Ebenen die Gunst des Augenblicks erkennen und sich Freiheiten nehmen, wo sie zu nehmen sind. Dass etwa in der Erzdiözese Freiburg stracks pastorale Richtlinien für den Umgang mit Wiederverheirateten Geschiedenen veröffentlicht wurden, die auch den Empfang von Sakramenten ermöglichen, zeigt: Dies wurde erkannt. Mögen da in Deutschland wie in Rom gleich Hinsichtl und Rücksichtl dagegen auftreten - Franziskus hat einen Tag später verkündet: 2014 nimmt eine Sonderbischofssynode genau dieses Thema auf die Agenda.

Das Beispiel zeigt, wie sehr Druck von unten nötig bleibt - auch hierzulande ist die Ortskirchenleitung gefordert: Die Kirche bewegt sich doch - wenn sie gedrängt wird. Von Michael Gorbatschow soll ja auch das geflügelte Wort stammen: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Hoffentlich steht diese Sentenz bei den Reformresistenten schon längst im Stammbuch.

otto.friedrich@furche.at

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