Auf den seit 1967 von Israel völkerrechtswidrig besetzten Golanhöhen kam es erstmals seit Jahrzehnten zu palästinensisch-syrischen Protesten mit Überschreitung der Grenze.
In Syrien sagt man: "Jeder Mensch hat zwei Heimatorte, Syrien und seinen eigenen.“ Das gilt vor allem für jene halbe Million palästinensischer Flüchtlinge im Land, deren Rechte denen von Syrern weitgehend gleichgestellt sind. Ihre alte Heimat befindet sich auf den Golanhöhen, von wo die laut UN-Hilfswerk UNRWA über 100.000 Palästinenser im Zuge der israelischen Besetzung 1967 vertrieben und nach Syrien flohen. Vorbei ist die Ruhe am fruchtbaren Hochplateau Golan seit dem am 14. Mai zelebrierten "Al Nakba“ Jahrestag: Hunderte unbewaffnete Palästinenser und Syrer stürmten die Grenzzäune und die von der UNO festgelegte Demarkationslinie zu Israel. "Al Nakba“ (Arabisch für "die Katastrophe“) erinnert jedes Jahr an den Unabhängigkeitstag Israels 1948, an dem 800 000 Palästinenser gewaltsam von ihrem damals unter britischem Protektorat stehenden Heimatland Palästina vertrieben wurden.
Angst vor einem Bürgerkrieg
Das regionale Sicherheitsgefüge der gesamten Region hängt maßgeblich von Syrien ab, das wissen die in Syrien lebenden Palästinenser nur zu gut. In den Flüchtlingslagern des Landes, eigentlich schon mehr oder weniger gut mit Infrastruktur versorgte Stadtteile und Wohngebiete, warten auf ausgebildete Palästinenser Arbeitslosigkeit und wenig Chancen, sich zu verwirklichen. In Anbetracht der arabischen Revolutionen vor der Tür fehlt hier der Jubel, die Stimmung bleibt gedrückt. "Sorgen machen wir uns, wer im Falle von Bashar Al-Assads Abdanken das Machtvakuum im Land füllen wird. Die Menschen haben Angst vor einem libanesischen oder irakischen Bürgerkriegsszenario, beide wären für die Flüchtlinge hier fatal. "Man hört von religiös-fanatisch salafitischen Gruppen und die Angst geht um“, beschreibt Samer, palästinensischer Schriftsteller aus Damaskus, die Stimmung im größten Flüchtlingslager der Stadt. Und die Ereignisse am Golan? "Ob von Syrien initiiert oder nicht, für viele der Palästinenser ist es eine symbolische Geste mit Aussagekraft, die stärker als ihre Angst ist.“
Die israelischen Politiker in der geografisch nahen, doch unerreichbaren ehemaligen Heimat kümmern sich zwar nicht um die Ängste der palästinensischen Zivilbevölkerung, nehmen die Grenzproteste jedoch Ernst, Frieden scheint weiter entfernt denn je. Der Vorwurf, Syrien versuche von der eskalierenden innenpolitischen Protestsituation abzulenken, greift zu kurz. Auch im Westjordanland, im Gazastreifen, in Kairo und an der libanesisch-israelischen Grenze gab es am Jahrestag der "Nakba“ blutige Proteste ungewöhnlichen Ausmaßes. Unbestätigte Quellen sprechen von 20 arabischen Demonstranten, die an der syrischen und libanesischen Grenze mit Israel von israelischen Soldaten erschossen wurden.
Den Golan teilen sich jüdische Israelis, Drusen und Araber, er gilt als einer der Hauptgründe, die einen Frieden zwischen Syrien und Israel verhindern. Am israelischen Teil des Golan liegt der See Genezareth, das größte Süßwasserreservoir Israels, fischreich und für die Wirtschaft bedeutsam, ebenso für Pilger und Urlauber. Jedoch geht es vorwiegend um die allseits knappe Ressource Wasser. In Syrien kommt es im Sommer zu extremer Wasserknappheit, in vielen Stadtteilen von Damaskus wird mittags das Wasser abgedreht. Außerdem sieht man vom Golan über die gesamte Region, den Libanon und nach Israel, was seine geostrategische Bedeutung ausmacht. Für Israel dient er im Kriegsfall als Pufferzone vor Syrien mit strategischer Schlüsselstellung.
Österreichs größtes UN-Kontingent
Idyllisch ist es am Golan normalerweise, saftige grüne Hügel mit syrischen Schafhirten, zu erkennen an ihrer rot-weißen Kufyia (Palästinensertuch), geschützt vor Sonne und Wind, stets im Blickfeld der seit 1974 stationierten UNDOF-Beobachter. 375 österreichische Soldaten sind am Golan, des Heeres größtes Auslandskontingent nach dem Kosovo. Ihre Aufgabe: Schäfer beobachten und daran hindern, aus Versehen die Demarkationslinie zwischen Syrien und Israel zu überschreiten. "Eine ruhige Mission an der wohl friedlichsten Grenze der Welt, obwohl die beiden Länder seit 44 Jahren im Kriegszustand sind“, erzählte einst ein UNDOF-Soldat aus Niederösterreich kartenspielend. Das hat sich am 14. Mai 2011 zum ersten Mal geändert.
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