Unruhige Zeit für Christen

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In Indien hat das vor wenigen Wochen veröffentlichte vatikanische Schreiben "Dominus Iesus" auch politische Folgen: Radikale Hindus wollen die katholische Kirche "nationalisieren".

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In Indien hat das vor wenigen Wochen veröffentlichte vatikanische Schreiben "Dominus Iesus" auch politische Folgen: Radikale Hindus wollen die katholische Kirche "nationalisieren".

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In Europa, so scheint es, ist die Auseinandersetzung um das am 5. September veröffentlichte vatikanische Dokument Dominus Iesus wieder verebbt oder jedenfalls aus dem öffentlichen Raum verschwunden. Nicht so in Indien. Dort ist Dominus Iesus zwar mit einer mehrwöchigen Verspätung von den Medien rezipiert worden, hat dann aber eine Diskussion ausgelöst, deren Ende und Folgen nicht abzusehen sind.

Am 12. Oktober schrieb der bekannte Kommentator T. V. R. Shendy im auflagenstarken "New Indian Express" in einem vierspaltigen Artikel unter Bezug auf das Erscheinungsdatum von Dominus Iesus: "Wir in Indien feiern am 5. September den Tag des Lehrers, aber ich bin nicht sicher, ob wir die Lektion dieses Dokuments lernen wollen." Und schließlich stellt Shendy die provokante Frage: "Schmeckt es nicht allzusehr nach päpstlicher Arroganz zu erklären, dass jeder andere Weg zu Gott falsch ist?"

Seit dem Papstbesuch Die Angst gerade vor solchen öffentlichen Bemerkungen war schon vorher vor allem in Kreisen von Theologen umgegangen, denn die Nachwirkungen des letzten Papstbesuches waren noch allzu frisch im Gedächtnis. Pater Kurien Kunnumpuram, der Rektor des päpstlichen Priesterseminars in der westindischen Stadt Pune erinnert sich: "1987 kam Papst Johannes Paul II. nach Indien und wurde mit nicht enden wollendem Jubel begrüßt und begleitet.1999 ist er wieder gekommen und hat das Dokument über die asiatische Bischofssynode mitgebracht und viel über die allein selig machende katholische Kirche geredet. Da haben die Menschen sich von ihm abgewandt und ziemlich feindselig reagiert." In der Folge dieses Papstbesuches kam es in einigen Teilen Indiens zu Gewalttaten gegen Christen. Priester und Nonnen wurden überfallen, einige sogar getötet. Autobusse mit Pilgern wurden in die Luft gesprengt und Kirchen in Brand gesteckt. Das hatte sich erst in den letzten Monaten wieder gelegt, da es zu heftigen Reaktionen aus dem Ausland gekommen war und die Drohungen aus den Chefetagen der transnationalen Konzerne sich mehrten.

Und in diesem Moment - kaum hatten sich die Gemüter vor allem unter den radikalen Hindus wieder halbwegs beruhigt - tauchte der mehr als 30 Seiten umfassende Text der "Erklärung Dominus Iesus - Über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche" im Internet auf. Während die Bischöfe sich ruhig verhielten, sagten Priester, Theologen und Universitätsprofessoren außer- und innerhalb der voll besetzten Hörsäle unverblümt ihre Meinung.

Der auch in Österreich bekannte P. Francis D'Sa vom De Nobili-College der Jesuiten erklärte: "Ich glaube, das ist für uns ein großer Rückschritt, was den interreligiösen Dialog angeht. Aus früheren römischen Dokumenten haben wir gelernt, dass Gott mit den Menschen seit Anbeginn einen Dialog führt und wir deshalb mit den anderen Religionen in ein Gespräch eintreten müssen, um mehr über den Inhalt dieses Dialoges zu erfahren. Mit diesem Dokument ist das alles in Frage gestellt. Für uns ist diese Überheblichkeit völlig unverständlich." Was allerdings auch durch dieses Dokument nicht in Frage zu stellen ist, ist die Tatsache, dass die Bemühungen um eine Fortsetzung des Gesprächs, eine Intensivierung der Beziehungen nicht abgebrochen werden, weil da einfach zu viel auf dem Spiel steht, wie Pater D'Sa meint: "Wir haben hier eine andere Aufgabe. Wir sind Lokalkirche, und es ist für uns nicht nur eine Frage des Überlebens, sondern auch eine Frage der Inkulturation der christlichen Botschaft. Ich glaube nicht, dass uns ein Mensch, der in Rom lebt, vorschreiben kann, wie wir hier arbeiten sollen. Ich meine, es ist schon erstaunlich, dass sich die römischen Behörden nicht die Mühe machen, dafür zu sorgen, dass das, was sie sagen, auch verstanden werden kann. Sie reden als ginge es um Mathematik, die immer und überall gleich gültig ist. So ist es mit der Religion eben nicht."

Pater Kunnumpuram, der Rektor des päpstlichen Seminars, in dem zur Zeit an die 200 Priester ausgebildet werden, meint, dass es doch ziemlich lächerlich wäre, wenn sich eine Minderheit von weniger als drei Prozent der Bevölkerung hinstellen und von sich behaupten würde: "Wir vertreten die einzige Religion, die zur Erlösung führt. Das würde nicht nur für uns eine Fülle von Problemen bringen, sondern es wäre nackter Hochmut, da wir ja sehen, dass auch die Gläubigen anderer Religionen ehrenwerte, gottesfürchtige Menschen sind. Wir können doch nicht einfach behaupten, dass in ihnen Gottes Geist nicht wirkt." Und der Alttestamentler vom De Nobili-College, Pater Rui de Menezes, befürchtet, dass Hindus und andere das sagen könnten, was Jesus zu den Pharisäern und Schriftgelehrten gesagt hat: "Ihr seid Wölfe im Schafspelz. Ihr seid freundlich zu uns, gebt euch offen und dialogbereit, aber in Wahrheit wollt ihr nichts anderes, als uns zu bekehren und zum Taufbecken zu schleppen."

Nationale Religionen Und da dies über die Jahrhunderte von den westlichen, weißen Missionaren so und nicht anders betrieben worden ist, liegt der Verdacht angesichts solcher römischer Erklärungen durchaus nahe. Dazu gibt es unter den Hindus, vor allem unter den fundamentalistischen Gruppen so etwas wie ein gewisses Minderwertigkeitsgefühl, was bei der gewaltigen zahlenmäßigen Überlegenheit beinahe paradox wirkt. Zum Unterschied vom Christentum und dem Islam ist der Hinduismus in seinen vielfältigen Schattierungen keine Weltreligion. Vor allem die straffen Strukturen der Christen machen Angst. Das führt zu der absurden Situation, dass zum Beispiel im Bundesstaat Maharashtra eine radikale Hindugruppe versucht, sich analog den katholischen Strukturen zu organisieren.

Diese Minderwertigkeitsgefühle unter dem Schatten der kolonialistischen Vergangenheit führten in der Folge des vatikanischen Papiers aber auch zu bedenklicheren Erscheinungen, zu einem Wiedererstarken der alten Träume von einer Nationalisierung der sogenannten "fremden Religionen". Als fremd werden zur Zeit nicht nur die Christen, sondern auch die Muslime gehandelt. Nur wenige Tage nach den ersten Kommentaren zu Dominus Iesus trat der Chef der fundamentalistischen Hindubewegung RSS (Rashtra swayamsevak sanga) mit der Forderung an die Öffentlichkeit, die "fremden Religionen" nach dem Vorbild Chinas zu nationalisieren und alle Einflüsse von außen wie zum Beispiel Bischofsernennungen zu unterbinden. Diese Forderung entfachte heftige Diskussionen auch unter den Hindus, die ja ihre rechten Ränder auch nicht lieben und schon lange vor einer zunehmenden und, wie sie meinen, bedrohlichen "Safranisierung" (nach den safranfarbenen Mönchsgewändern) der Gesellschaft warnen.

Befreiung vom Ausland Aber es dauerte nicht lange und ein Journalist namens S. Gurumurthy titelte im "New Indian Express": "Nationalkirche: eine eindeutig christliche Idee" und einige Nummern später "Eine nationale Kirche ist sinnvoll": "Alle sind über den RSS-Chef Sudarshan hergefallen, als er die Befreiung der christlichen Kirchen von ausländischer Kontrolle forderte. Da war davon die Rede, dass unser säkularer Staat in Gefahr gerate, dass die Hinduisierung oder Safranisierung brutal vorangetrieben werde. Auch von aufkeimendem Faschismus war die Rede. Dabei ist die Form von Nationalkirchen eine eindeutig christliche Erfindung", schrieb S. Gurumurthy und begab sich auf eine abenteuerliche Argumentationstour durch die europäische Kirchengeschichte, wobei er sich nicht nur auf die Kirche von England und diverse protestantische National- und Staatskirchen berief, sondern auch auf Länder, in denen Konkordate zwischen dem Heiligen Stuhl und den nationalen Regierungen abgeschlossen wurden. Sein Schluss, der letztlich auch für Österreich gelten würde, klingt absurd: "Mit diesen Konkordaten wurden die europäischen nationalen Kirchen vom Vatikan unabhängig." Und dann der für Indien relevante Schluss: "Wenn kleine Nationen, deren christliche Bevölkerung sich in Hunderttausenden oder Millionen bewegt, ihre eigene Nationalkirche haben, warum soll das dann nicht für die indische Christenheit möglich sein, die immerhin mehr als 20 Millionen Menschen zählt." Auch wenn sich das abstrus anhört, die Gefahr einer solchen Tendenz wird von der Mehrheit der Inder als bedrohlich empfunden, denn die Regierung unter der Hindu-Partei BJP ist, so heißt es, längst in die Geiselhaft der RSS geraten.

Vielleicht sollte man solche Entwicklungen auch in europäischen Hauptstädten, inklusive Rom, nicht so ganz auf die leichte Schulter nehmen.

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