"Unsere Kirche ist frei und offen"

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Seit 1999 ist Karekin II. das Oberhaupt der armenisch-apostolischen Kirche. Der in Etschmiadzin bei Jerewan residierende Katholikos steht rund sieben Millionen armenischen Christen vor. Bei seinem Österreichbesuch Mitte November sprach der 50-jährige Karekin II., der in Wien Theologie studiert hat, auch mit der furche - über seine Kirche, die Ökumene und sein Verhältnis zu Österreich.

die furche: Wie steht es um das Verhältnis zwischen der armenisch-apostolischen und der katholischen Kirche?

Katholikos Karekin II.: Die Beziehungen zwischen der römisch-katholischen und der armenisch-apostolischen Kirche wurden in den letzten Jahrzehnten durch die Besuche meiner Vorgänger Vasgen I. und Karekin I. in Rom gestärkt. Auch durch unseren Rombesuch vor einem Jahr wurde das weitergeführt. Besondere Stärkung erfuhren die Beziehungen durch den Armenienbesuch von Papst Johannes Paul II. im September. Wir sind zuversichtlich, diese intensiven Beziehungen noch freundschaftlicher gestalten zu können, sodass sich ein Modell der Annäherung zwischen beiden Kirchen auf verschiedenen Ebenen herauskristallisiert.

die furche: In den siebziger Jahren begann in Wien der Dialog zwischen den altorientalischen Kirchen und der katholischen Kirche. Welche Rolle spielen die Ergebnisse davon?

Karekin II.: Wir schätzen den theologischen Dialog von damals wie von heute sehr hoch ein. Die Stiftung "Pro Oriente" in Wien hat diese Leistung mit hervorgebracht, auch armenische Theologen haben dort einen wesentlichen Beitrag geleistet. Auch der armenische Patriarchaldelegat für Mitteleuropa und Skandinavien in Wien, Erzbischof Mesrob Krikorian, arbeitet seit 35 Jahren an diesen Gesprächen von "Pro Oriente" intensiv mit und war am Gelingen der "Wiener christologischen Formel" 1971 (siehe Kasten "Zum Thema", Anm.) sehr beteiligt. Allerdings müssen die Ergebnisse dieses theologischen Dialogs noch im Volk verbreitet werden, damit es diese auch versteht und bei den neuen Beziehungen zwischen unseren Kirchen mitmacht.

Dieser Dialog und seine Ergebnisse haben ja zur Zeit der Sowjetherrschaft stattgefunden; damals war es in Armenien unmöglich, über theologischen Fragen aufzuklären: Das wurde als "Propaganda" angesehen. Man durfte außerhalb der Kirche nichts reden oder schreiben. Die ökumenischen Beziehungen zwischen der armenischen und der katholischen Kirche müssen in verschiedenen Bereichen aber noch erweitert werden, um gute Ergebnisse zu erreichen.

die furche: Zwischen Rom und einigen orthodoxen Kirchen ist der Dialog schwieriger geworden. Bei der armenischen Kirche ist das nicht der Fall, im Gegenteil! Warum?

Karekin II.: Unsere Kirche ist frei und offen, und wir sind überzeugt, dass wir die Brüderlichkeit in den Vordergrund stellen müssen. In vielen Punkten sind wir uns einig, auch wenn es noch eine Reihe von Unterschieden gibt. Wir müssen die gegenseitige Brüderlichkeit noch mehr pflegen und zu konkreten Ergebnissen kommen. Die Herausforderungen des neuen Jahrtausends verpflichten uns, zusammenzuarbeiten, sodass wir unsere Mission gegenüber der Menschheit erfüllen können.

die furche: Gibt es beim Eucharistieverständnis zwischen Katholiken und Armeniern noch große Unterschiede?

Karekin II.: Es sind da noch Fragen zu klären, keine großen Probleme, etwa: Die Armenier mischen bei der Eucharistiefeier kein Wasser zum Wein - das ist eine Kleinigkeit, muss aber geklärt werden. Im Bereich der Theologie sind wir uns noch nicht über das "Filioque" einig (siehe Kasten "Zum Thema", Anm.). Solche vielleicht nicht großen Probleme müssen noch diskutiert und neu interpretiert werden.

die furche: Wie müsste das Papstamt beschaffen sein, dass die Annäherung zwischen den Kirchen weitergeht?

Karekin II.: Das ist für alle nichtkatholischen Kirchen eine fundamentale Frage. Sie wird, so meine ich, mit der Zeit zu Klärung und Interpretation - und damit zu einer Lösung - führen. Alle Kirchen wünschen die Einheit. Das Modell dieser Einheit muss man aber klar darstellen. Diese Klarstellung wird durch unsere Zusammenarbeit, durch unser gemeinsames Gebet, durch unseren Dialog automatisch kommen. Wir hoffen, dass auf diese Weise auch die Frage des päpstlichen Primats gelöst werden kann.

die furche: Orthodoxe Kirchen ziehen sich auch aus dem Ökumenischen Rat der Kirchen, der weltweiten Organisation nichtkatholischer Kirchen, zurück. Wie verhält sich die armenische Kirche?

Karekin II.: Die armenisch-apostolische Kirche stellt keine derartigen Überlegungen an. Wir müssen alles unternehmen, um Annäherung und Zusammenarbeit aller Kirchen zu sichern. Wir müssen alles dazu tun, dass wir nicht weiter auseinander gehen.

die furche: Einer der orthodoxen Vorwürfe an die Protestanten im Ökumenischen Rat der Kirchen lautet, dass sie sich zu sehr in die Politik einmischen.

Karekin II.: Die Kirche kann sich nicht vollständig mit Politik beschäftigen. Aber sie kann sich auch nicht total von der Politik abkapseln. Man muss einen Mittelweg suchen, um - das ist ja nicht nur in Armenien so - mit den Politikern Lösungen zu finden für Fragen, welche die Menschheit und die Interessen der Gläubigen betreffen: Da soll die Kirche ihre Stimme erheben.

die furche: Wo tun Sie das konkret?

Karekin II.: Wir erheben die Stimme zu sozialen und kulturellen Fragen, zu Fragen der Moral et cetera. Ein Beispiel: Vor ein paar Monaten hatten wir eine Diskussion, ob man in Armenien Stierkämpfe abhalten sollte, und da hat die Kirche gesagt: Wir sind dagegen. Das mag eine Kleinigkeit sein, aber es zeigt doch, wo die Kirche spricht. Wichtig für uns sind zur Zeit die Verhandlungen, um die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Armenien auch in einem Gesetz abzuklären - was die Kirche tun darf, welche Kompetenzen sie etwa im Bildungsbereich hat: Seit kurzem gibt es beispielsweise an der Universität von Jerewan eine theologische Fakultät. Zum ersten Mal kann die Kirche ein paar tausend Religionslehrerinnen und -lehrer für den Schulunterricht vorbereiten. Aber immer noch nicht in allen Schulen wird Religion unterrichtet. Analoge Fragestellungen gibt es auch im sozialen und politischen Bereich.

die furche: Ist in Armenien der Atheismus der Sowjetherrschaft heute noch spürbar?

Karekin II.: 80 Jahre atheistische Propaganda hinterlassen tiefe Spuren. Die kirchlichen Traditionen konnten nicht durch Unterricht verbreitet werden. Vieles ist vergessen, viele Kirchen und Gemeinden wurden zerstört oder für andere Zwecke benutzt: Das alles muss aufgebaut werden. Gott sei Dank gibt es jetzt eine neue Welle zurück zur Kirche und zum Glauben. Diesen Glauben haben unsere Leute im Herzen: Und wir müssen das wieder ins Bewusstsein bringen.

die furche: Wie ist Ihr Verhältnis zu Österreich?

Karekin II.: Ich erinnere mich gerne an meine Studienzeit in Österreich. Ich habe die Österreicher als gläubige, höfliche und ruhige Menschen und als Kunst liebendes Volk erlebt. Wir sehen Ihre Fortschritte im wirtschaftlichen und im allgemeinen Leben, und wir wünschen Ihnen, dass diese Fortschritte auch im religiösen Bereich erzielt werden können.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

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