"Unsere Mission: Einmischung"

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Befreiungstheologie ist aus der Mode gekommen - zumindest seid ihre "großen Leuchten" wie der Brasilianer Leonardo Boff kaltgestellt wurden. Doch die Praxis zahlloser "kleiner Glühwürmchen" setzt die Tradition fort, meinen die Ordensfrauen esperanza quintanilla und dina maría orellana von der lateinamerikanischen Ordenskonferenz clar.

Die Furche: Die Dreikönigsaktion aus Österreich unterstützt die theologischen Seminare der Lateinamerikanischen Ordensleutekonferenz CLAR. Was geschieht bei diesen Seminaren?

Dina María Orellana: Wir legen da die großen Linien für unsere Arbeit fest - zuletzt im August 2005: Neben Repräsentanten aus den Ländern Lateinamerikas waren wichtige Theologen dabei. Es drehte sich um das religiöse Leben innerhalb der politischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen. Neben dem interreligiösen Dialog und größerer Öffnung zur Ökumene standen die Gruppen, die mehr Zuwendung brauchen und zunehmend an Profil gewinnen, im Vordergrund: Frauen, Indigene, die afroamerikanische Bevölkerung. Ganz wichtig ist uns die Gender-Perspektive. Daneben waren ökologische Aspekte, Wasserrechte aber auch die Migration zentrale Themen. Denn das religiöse Leben muss im Leben der Menschen verankert sein.

Die Furche: Welche sozio-ökonomischen Probleme sind vordringlich?

Esperanza Quintanilla: Die Verarmung unserer Völker, das Wirtschaftssystem, das sich nicht um die armen Mehrheiten kümmert, das Freihandelsregime, das sich für die Bevölkerung negativ auswirkt, aber auch die Bergbaugesetze, die es transnationalen Unternehmen erlauben, den Lebensraum der Bevölkerung, vor allem indigener Gruppen, zu zerstören.

Die Furche: Leisten da katholische Ordensgemeinschaften Widerstand?

Quintanilla: Aber sicher: in Ecuador, wo durch Ölbohrungen der Urwald verseucht wird, in Honduras, wo Gold und Uran abgebaut werden soll, im brasilianischen Amazonasstaat Roraima ...

Die Furche: Sie sprechen von feministischer Theologie. Was verstehen Sie darunter?

Quintanilla: Feministisch bezieht sich nicht nur auf Frauen, sondern auf Männer und Frauen als Gleichberechtigte mit menschlicher Würde. In manchen Ländern ist die feministische Theologie sehr radikal gewesen. Wir suchen eher die Begegnung unter Gender-Perspektive, mit dem Ziel, dass auch die Männer ihr Rollenbild überdenken. Es geht um Gleichheit.

Orellana: Es geht um Beziehungen, um die Berufung der Frau. Das Ordensleben in Lateinamerika hat ein weibliches Gesicht. Es ist aber ein langsamer und schwieriger Prozess. Denn auch unsere Ordensbrüder haben eine machistische Erziehung hinter sich.

Die Furche: In Europa wird auch über die Frau in der Kirche diskutiert. Die Amtskirche bewegt sich da kaum. In Lateinamerika wäre die Kirche ohne Frauen mancherorts gar nicht existent.

Orellana: Vom Vatikan kommen Dokumente, die wir gut kennen und die von manchen Bischöfen wörtlich genommen werden. Aber im wirklichen Leben gibt es mehr Kreativität. Wir wollen diese Dokumente nicht gering schätzen, aber wir müssen uns nach dem Leben richten: Wo Krieg herrscht in den entlegenen Gegenden, da ruht das religiöse Leben auf den Schultern der Frauen. Da gibt es keine Priester. Der Papst sagt, die Frau darf das Evangelium nicht verlesen. Na ja, wenn nur Ordensschwestern da sind, soll man jetzt darauf verzichten? Ich glaube, wir haben alle das Recht, das Wort Gottes zu verkünden. Wenn Priester oder männliche Ordensgeistliche da sind, dann nehmen wir uns zurück. Es ist nicht der historische Moment, das jetzt groß zum Thema zu machen.

Die Furche: Wie kommt denn die CLAR mit dem neuen Papst zurecht?

Orellana: Der neue Papst war ja viele Jahre Präfekt der Glaubenskongregation. Kardinal Ratzinger hat uns während der Zeit mehrmals gerügt. Als Papst ist er aber nicht eingeschritten. Als wir in Rom waren, haben wir eine Audienz beantragt, aber nicht bekommen. Wir haben mit Kardinal Franc Rodé gesprochen, der als Präfekt der Ordenskongregation für uns zuständig ist. Er hat uns sehr herzlich empfangen und sagte uns, dass viele lateinamerikanische Bischöfe die CLAR misstrauisch beobachten, weil wir "indigenistisch" und feministisch seien und versteckt die Befreiungstheologie predigen würden. Wir haben gesagt, es ist uns bewusst, dass extremer Indigenismus und Feminismus schlecht sind. Was wir suchen, ist der Dialog mit Indigenen, Frauen, Afroamerikanern. Und da geht es oft sehr konkret um Probleme wie Landrechte. Wenn wir die Mutter Erde nicht suchen, die uns alle ernährt, worüber reden wir dann?

Die Furche: In Südamerika gibt es einen politischen Trend nach links. Wird unter Präsidenten wie Lula in Brasilien oder Evo Morales in Bolivien die Arbeit leichter?

Orellana: Diese Leute sind an die Regierung gekommen, weil es starke soziale Bewegungen gab, die wir auch begleitet haben. Ihre Regierungen sind Anlass für Hoffnungen, aber auch für Frustrationen, gerade in Brasilien, wo "Sachzwänge" die Politik beeinflussen. Wir beteiligen uns am Widerstand gegen die Freihandelsverträge. Da stehen wir auf der Seite des Volkes. Die Anführer, wenn sie einmal an der Macht sind, vertreten die Interessen dieser Bewegungen nicht mehr. Aber die Zivilgesellschaft erwacht. Wir Ordensleute sind nicht berufen, anzuführen, sondern zu begleiten.

Die Furche: Ist das, was die Ordensgemeinschaften praktizieren, Befreiungstheologie unter neuem Namen?

Orellana: Die Armen sind nicht verschwunden, die Option für die Armen ist nach wie vor gültig. Aber der Terminus wird nicht mehr verwendet, auch wenn die Arbeit ähnlich ist. Vielleicht sind die Prozesse breiter, weniger konfrontativ.

Quintanilla: Es sind auch neue Themen dazugekommen: Die Migration hinterlässt zerbrochene Familien, es gibt keine Kontinuität mehr über Generationen. Da ist vor allem die Jugend betroffen, sie macht Todeserfahrungen. Als CLAR arbeiten wir für das Leben. Wenn die Amtskirche gegen die Befreiungstheologie ist, respektieren wir das. Aber solange ein Leben in Fülle nicht für alle verwirklicht ist, ist es unsere Mission, uns einzumischen.

Das Gespräch führte Ralf Leonhard.

Lateinamerikas Ordensleute

Ordensfrauen und-männer spielen in der Kirche Lateinamerikas eine wichtige Rolle. Sehr oft sind es engagierte Ordensleute, die versuchen, sich im Sinne der Option für die Armen ganz auf die Realität der Armen einzulassen, mit ihnen zu leben und aus dieser Lebenssituation heraus gemeinsam mit den Menschen Wege und Auswege aus sehr schwierigen Lebenssituationen zu finden. Ordensleute engagieren sich sowohl in Land-, in Gesundheitsfragen, in der Bibelarbeit, mit Jugendlichen, Frauen und Kindern. Sie decken eine breite Palette ab. - Die Dachorganisation der Ordensleute Lateinamerikas CLAR (Confederación Latinoamericana de Religiosos y Religiosas) wurde Ende der 50er Jahre gegründet, ihr gehören 22 Ordenskonferenzen in vier Regionen Lateinamerikas und der Karibik (Südregion, Andenregion, Karibik und Venezuela, Zentralamerika und Mexiko)mit rund 150.000 Ordensleuten - Frauen und Männer - an. In den letzten Jahrzehnten gab es innerkirchliche Auseinandersetzungen, weil der konservative Kirchenflügel der CLAR zu viel politisches Engagement und zu große Anlehnung an die Befreiungstheologie vorwarfen. - Für die Amtsperiode 2003/06 stehen der CLAR die guatemaltekische Franziskanerin Vilma Esperanza Quintanilla Morán als Präsidentin und die ekuadoranische Schwester Dina María Orellana Aguilar als Generalsekretärin vor. Die beiden CLAR-Leiterinnen besuchten Mitte April in Österreich die Dreikönigsaktion, die einige Projekte der CLAR unterstützt.

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