Unsichere Wege aus dem Ukraine-Krieg

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Der Waffenstillstand im Osten der Ukraine hält nicht. Wie kann man einem offenen Konflikt zwischen Russland und der NATO entgegenwirken? Experten geben Rat.

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Der Waffenstillstand im Osten der Ukraine hält nicht. Wie kann man einem offenen Konflikt zwischen Russland und der NATO entgegenwirken? Experten geben Rat.

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Das ganze Drama der Ukraine zeigt sich in Charkiw, der Stadt zwischen der Ost-und der Westukraine. Jahrelang profitierte die Metropole an der Grenze zu Russland vom Warenverkehr zwischen den beiden Ländern. Doch nun herrscht Krise und alles ist anders: Viele der 1,4 Millionen Einwohner lehnen zwar die Politik der Kiewer Regierung ab und bei den Präsidentschaftswahlen vergangenen Mai erhielt der jetzige Amtsinhaber, Fabrikant Petro Poroschenko, kräftigen Gegenwind. Dennoch ist die klare Mehrheit der Menschen dafür, dass die zweitgrößte Stadt der Ukraine ihre staatliche Zugehörigkeit nicht wechselt.

Die Alternativen: eine russischsprachige Republik im Osten der heutigen Ukraine, um Donezk und Lugansk, entlang der Ölfördergebiete bis hin zum Schwarzen Meer; oder ein -seitens Moskaus rasch möglicher -Anschluss an Russland. Ob ein neuer Staat die von Russland vor einem Jahr besetzte Halbinsel Krim zurückerhielte, ist fraglich. Das Lebensgefühl der mehrheitlich russischsprachigen Bevölkerung in Charkiw bestimmen Angst und der tägliche Überlebenskampf.

Brüchige Waffenruhe

Eine vereinbarte Waffenruhe zwischen Kiew und den Rebellen im Osten hielt bereits nach den unmittelbaren Folgetagen nicht. Die zweifelsfreie russische Militärbeteiligung steht der Bewertung Moskaus, es sei ein Bürgerkrieg, entgegen. Deutsche Geheimdienstkreise schätzen, dass es seit Juni 2014 bis zu 50.000 Tote gab. Entlang ethnischer, sprachlicher und weltanschaulicher Grenzen bekämpfen sich auch Zivilisten. Internetvideos zeigen grausame Folter auf beiden Seiten.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz machte Petro Poroschenko deutlich, dass rund eine Million Menschen innerhalb der Ukraine auf der Flucht seien bzw. das Land nach Westen verließen. Nur 70.000 Personen wählten Russland.

Litauens Präsidentin, die vormalige EU-Haushaltkommissarin Dalia Grybauskaite ,betonte ebenfalls dort, dass nur die Mitgliedschaft in westlichen Bündnissen das Baltikum vor russischen Angriffen schütze. Litauen führte 2015 den Euro ein.

Einer EU-Mitgliedschaft Kiews müsse von beiden Seiten eine Güterabwägung vorausgehen, so der Münchner Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld. Er meint, Bundeskanzlerin Angela Merkel betreibe "Weltpolitik mit Fingerspitzengefühl". Sie sei eine "würdige Nachfolgerin Konrad Adenauers".

Immerhin, man redet noch

Der Gesprächsfaden zwischen Russland, der Kiewer Regierung und den westlichen Staaten ist noch nicht gerissen, und das ist für viele Experten die einzig positive Entwicklung der vergangenen Wochen. Ein direkter Konflikt zwischen der NATO und Russland entstünde aber nur, wenn das Baltikum in die Okkupationsbestrebungen Russlands einbezogen würde, meint Weidenfeld, Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung (C·A·P). Dass Lettland derzeit die Ratspräsidentschaft innehabe, sei ein deutliches Zeichen für dessen EU-Integration. Die Regierung in Riga plant für ihren Vorsitz bis Ende Juni, Wohlergehen und Sicherheit in der Nachbarschaft zu fördern. Viele seiner nur zwei Millionen Einwohner befürchten -wie die ebenfalls seit 1991 unabhängigen estnischen und litauischen Nachbarn -Aggressionen Russlands.

Deutschlands künftige Rolle kristallisiert sich langsam heraus: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sprach als erste Rednerin im Nobelhotel Bayerischer Hof, dem Konferenzort, über "Führung aus der Mitte". Für eine künftige, stabile europäische Sicherheitsarchitektur sei es zentral, Russland bei einem Rückzug sein Gesicht wahren zu lassen und eine strategische Partnerschaft zu suchen, so Experte Weidenfeld. Es habe mit dem Ende des Kalten Krieges eine Verletzung des russischen Selbstverständnisses als Weltmacht gegeben. Dieser Eindruck müsse korrigiert, Russland ernst genommen werden.

Versuche, die Einheit zu wahren

Eine Umsetzung dessen erschwert Außenminister Sergej Lawrow mit Auftritten wie bei der Münchner Sicherheitskonferenz jedoch. Einerseits ist der versierte Diplomat eine Größe im Kabinett Putins und agiert auch gegenüber westlichen Repräsentanten auf Augenhöhe. Andererseits bestreitet Lawrow -wie zahlreiche weitere Vertreter der russischen Exekutive und Legislative -seit Jahren verifizierbare Fakten zur Situation im Donbass. Russlands Rolle betrachtet er realitätswidrig als passiv und friedensorientiert.

Wissenschaftler Weidenfeld fordert die Akteure auf, eine "gemeinsame Strategiekultur" zu entwickeln. Überdies sollten regelmäßige Spitzentreffen zum Gedankenaustausch institutionalisiert werden, um die "Reziprozität der Perspektive" zu wahren.

Klaus-Dieter Frankenberger von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung konstatiert: "Auf der Münchener Sicherheitskonferenz redeten Russen und Amerikaner gegeneinander, Zusammenhänge wurden dreist auf den Kopf gestellt. Und die Geschlossenheit des Westens hat erste Risse bekommen. Putins Krieg darf uns nicht auseinandertreiben."

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