Unter dem Anspruch der Einmütigkeit

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Priester repräsentieren die Verbundenheit der konkreten Gemeinde mit Christus. Die interne Leitung der Gemeinde ist eine prinzipiell andere Aufgabe.

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Priester repräsentieren die Verbundenheit der konkreten Gemeinde mit Christus. Die interne Leitung der Gemeinde ist eine prinzipiell andere Aufgabe.

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Ja, du bist heilig, großer Gott, du bist der Quell aller Heiligkeit. Darum bitten wir dich: Sende deinen Geist auf diese Gaben herab und heilige sie, damit sie uns werden Leib und Blut deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus." So betet der Priester im zweiten Hochgebet der Messe und sinngemäß gleich in allen anderen (wobei mit "Leib" das Leben Jesu, also er selbst, und mit "Blut" der "neue Bund in seinem Blut", d. h. der durch seine Hingabe bis in den Tod erneuerte Bund, gemeint ist). Diese Worte sind ein Schlüssel für das Verständnis des Amtspriestertums in der Kirche: Nicht der Priester "verwandelt" die Gaben (auch nicht im Namen Christi), sondern "wir" - alle Gläubigen - bitten Gott, er möge durch seinen Heiligen Geist bewirken, daß die Gaben zu Zeichen der Gegenwart und Hingabe Christi werden und die Gemeinde durch die Teilnahme an diesem Mahl selbst zum Leib Christi wird. Anschließend beruft sich die Gemeinde durch den Mund des Priesters im Einsetzungsbericht ("Denn am Abend ...") auf den Auftrag, den Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern - und zwar allen, nicht nur bestimmten Amtsträgern als solchen (vgl. dazu 1 Kor 11,23-26) - erteilt hat.

Wozu sind Priester notwendig?

Wozu braucht es dann noch einen amtlichen Priester innerhalb des gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen, und warum leitet er die Meßfeier? Und warum kann eine Gemeinde nicht selbst dieses Amt vergeben? Erst eine Antwort auf diese Frage führt uns zum Wesen des spezifischen Amtspriestertums: Weil dieser Gottesdienst nur in einer authentischen Gemeinschaft mit der ganzen Kirche und - durch diese vermittelt - mit Jesus Christus gefeiert werden kann. Daher muß jemand in der Gemeinde bzw. Teilkirche dafür zuständig sein und sichtbar machen, daß diese Feier im Geist Jesu Christi und der gesamten Kirche geschieht, mit denen alle verbunden sind, die dieses Gedächtnis begehen. Damit die Kirche nicht eine anonyme Masse ist, sondern Gemeinschaft sein kann, muß sie nämlich in überschaubare Gemeinden bzw. in Ortskirchen untergliedert sein, die aber wieder in die Gesamtkirche, den ganzen Leib Christi, eingefügt sein müssen. Das geschieht in einer Gemeinschaft von Gemeinschaften durch personale Verbindungsglieder, die durch die Priesterweihe von der Kirche dazu bevollmächtigt und gesandt werden. Diese sind Zeichen und Werkzeug der Einmütigkeit mit der Gesamtkirche und mit Christus.

Solange die Kirche an ihrem Beginn nur aus einer Gemeinde bestand, brauchte es zwar Amtsträger, die diese Gemeinde und deren Eucharistiefeier leiteten, aber sie mußten dafür nicht unbedingt eigens von Christus beauftragt worden sein (der Herrenbruder Jakobus war Gemeindeleiter in Jerusalem, ohne dem Zwölferkreis anzugehören; Matthias wurde als Ersatz für Judas von der Gemeinde als Kandidat aufgestellt und durch das Los bestimmt). Nach Mt18,18 hat die ganze Gemeinde dieselbe Vollmacht des Bindens undLösens, die nach Mt 16,19 Petrus verliehen wurde. Nach Joh 20,19-23 empfingen alle Jünger den Heiligen Geist, um die Sünden vergeben zu können. Bei den ersten Christen war die Authentizität ihrer Verbindung mit Christus und ihrer Sendung durch ihn auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur Jüngergemeinde Jesu gegeben. Erst als die Kirche wuchs und viele Gemeinden entstanden, mußte für deren Einheit und für die unverfälschte Weitergabe des Evangeliums gesorgt werden. Die Apostel setzten dafür in den von ihnen gegründeten Gemeinden "Mitarbeiter" ein.

Dadurch entstand innerhalb des gemeinsamen ein eigenes amtliches, von der Gesamtkirche beauftragtes Priestertum. Es steht im Dienst der "königlichen Priesterschaft" (1 Petr 2,9) des ganzen Gottesvolkes: Wenn jemand in eine Gemeinde aufgenommen wird, wird er dadurch ein Glied der gesamten Kirche. Wenn ihm in einer Gemeinde seine Sünden vergeben werden, ist er mit allen Christen in allen Gemeinden versöhnt. Und wenn er am heiligen Mahl teilnimmt, ist er durch dieses Zeichen mit allen Gläubigen und mit Christus selbst verbunden. Deshalb ist die Leitung dieser Feiern von gesamtkirchlicher Relevanz in den Gemeinden bzw. Teilkirchen denen vorbehalten, die durch die Gesamtkirche den Auftrag erhielten, für die Einheit ihrer Gemeinden bzw. Teilkirchen mit dem ganzen Leib Christi zu sorgen und sie sichtbar zu machen. Diese priesterlichen Amtsträger repräsentieren also nicht Christus selbst, wodurch sie sich an seine Stelle setzen und ihn in den Schatten stellen würden, sondern sie repräsentieren die Verbundenheit der konkreten Gemeinde bzw. Teilkirche mit ihm.

Wer soll eine Gemeinde leiten?

Sobald eine Gemeinde im Glauben mündig geworden ist, muß also ihre innere Leitung nicht unbedingt vom zuständigen Amtspriester allein, sondern kann zusammen mit ihm auch kollegial ausgeübt werden. Selbst wenn aus guten Gründen normalerweise dieselbe Person die interne Leitung einer Gemeinde (bzw. Teilkirche) und das Amtspriestertum innehat, handelt es sich prinzipiell um zwei verschiedene Aufgaben. Das zeigt sich nicht nur daran, daß es am Beginn der Kirche innerhalb der Urgemeinde noch kein eigenes amtliches Priestertum gab, sondern wird noch viel deutlicher dadurch sichtbar, daß die Kirche selbst die beiden Ämter in bestimmten Fällen trennt: Jede Äbtissin und jede Oberin bzw. jeder Obere in Laienorden sind zwar Leiterinnen oder Leiter von Gemeinden, aber keine Amtspriester. Diese Unterscheidung machten bereits Thomas von Aquin, Bonaventura und Duns Scotus, um damit die Behauptung zu widerlegen, daß es in der Kirche auch ein Frauenpriestertum gebe und die Äbtissin ein Beweis dafür sei. Auch wegen des Priestermangels überträgt die Kirche heute oft die interne Leitung von Gemeinden zumindest faktisch Männern und Frauen, die nicht zu Amtspriestern geweiht sind.

Weder der Amtspriester als Verbindungsglied zur Gesamtkirche, noch ein internes Leitungsorgan einer Gemeinde bzw. ein Amtsträger, der beide Aufgaben wahrnimmt, können den Gliedern ihrer Gemeinschaften einfach vorschreiben, was sie zu glauben und zu tun haben. Die Amtsträger dürfen nicht über ihre Brüder und Schwestern herrschen. Ihnen ist der Beistand des Heiligen Geistes zugesagt, aber sie sind nicht Stellvertreter Gottes und haben keine göttlichen Fähigkeiten. Umgekehrt können sie nicht bloß Funktionäre ihrer Gemeinschaften sein, die sich nach der Mehrheit zu richten und deren Beschlüsse durchzuführen hätten. Denn genausowenig wie einem einzelnen kann der Christ sein Gewissen dem Willen einer Mehrheit unterstellen. Daher können die Amtsträger nicht überstimmt werden, weil sie sonst ihre Aufgabe, Zeichen und Werkzeug der Einmütigkeit in der Gemeinde und mit der Gesamtkirche - und so mit Christus - zu sein, nicht erfüllen und nicht dafür einstehen könnten. Niemand trüge letztlich die Verantwortung, alle könnten sie auf die anderen abschieben. Die Amtsträger und die (übrige) Gemeinde bzw. das (übrige) Kollegium stehen also - wie in einer partnerschaftlichen Ehe - unter dem Gebot Gottes, einmütig zu sein oder zu werden. Das ist die Synthese des personalen und des kollegialen Prinzips. Sie besagt einen höheren Anspruch als jede andere - hierarchische oder demokratische - Ordnung.

Dieses geschwisterliche Amtsverständnis kann nämlich nur realisiert werden, wenn sich alle unter diese Anforderung der Einmütigkeit stellen, d. h. eines Geistes zu sein oder zu werden und auf dieser Grundlage in konkreten Fragen die Entscheidungen zu treffen, an denen alle zumindest durch Rezeption beteiligt sind. Sonst zerfielen die Gemeinden und die ganze Kirche in Gruppen oder einzelne, denen nur gemeinsam wäre, daß sich alle auf die Bibel oder auf Jesus Christus berufen, wobei jeder und jede für sich auslegt, was darunter zu verstehen ist. An die Stelle des (blinden) Gehorsams gegenüber einer höheren Autorität, die sich auf eine Stellvertretung Christi oder Gottes selbst beruft, muß also die Verbindlichkeit auf einer geklärten gemeinsamen Basis treten (im gemeinsamen Glaubensbekenntnis und "Gewissensspiegel"). Dies schließt natürlich auch die Möglichkeit einer gemeinsam bejahten Vielfalt ein; so wie sich bereits auf dem Apostelkonzil die "konservativen" Judenchristen mit den "progressiven" Heidenchristen einigten. Das Zeichen und Werkzeug für die nötige Einmütigkeit innerhalb der Gemeinden bzw. Teilkirchen sind deren interne Leitungsorgane, die durchaus gewählt sein können. Für die Einmütigkeit der Gemeinden bzw. Teilkirchen mit der ganzen Kirche sind es - entweder in Personalunion mit der Leitung oder innerhalb eines Leitungskollegiums - die Amtspriester bzw. die Bischöfe als authentische Verbindungsglieder, die als solche von der Gesamtkirche eingesetzt werden. Auch die Auswahl dieser Amtsträger soll in Einmütigkeit erfolgen und darf nicht zum Austragungsort von Sachkonflikten werden.

Was geschwisterliche Kirche braucht Damit wird die berechtigte Forderung des Kirchenvolks-Begehrens nach einer geschwisterlichen Kirche und einer Überwindung der Kluft zwischen Klerus und Laien zu einer "Rück-Forderung" an das "begehrende Kirchenvolk" (vgl. P. Weß, Sind wir Kirche?, Furche 21 vom 25. Mai 1995, Seite 6). Denn diese Anliegen lassen sich nur verwirklichen, wenn die Kirche den Anspruch einer persönlichen Glaubensentscheidung und Nachfolge in verbindlicher Gemeinschaft, den sie bisher nur den Ordensleuten und Amtspriestern zugemutet hat, an alle richtet. Erst auf dieser Grundlage kann eine gemeinsame Entscheidungsfindung aus dem Glauben als manchmal mühsamer geistlicher Prozeß - als gemeinsame "Unterscheidung der Geister - erfolgen. Das heißt konkret: Eine geschwisterliche Kirche ist auf der Basis von Säuglingstaufe und Kinderfirmung nicht möglich. Sie erfordert vielmehr eine Erwachsenentauferneuerung der als Kinder Getauften und eine Aufwertung der Firmung als Sendung zur Mitverantwortung.

Eine geschwisterliche Kirche setzt also verbindliche Gemeinden voraus, in denen der Glaube ursprünglich erfahren, eingeübt, gelebt und damit wieder bezeugt werden kann. Die nötige Umstellung ist ein mühsamer Vorgang. Aber billiger ist Geschwisterlichkeit nicht möglich (falls man nicht nur ihre Rechte beansprucht). Sie besagt personale Liebe zwischen Menschen, die einander nicht aussuchen (vgl. P. Weß, Was Geschwisterlichkeit eigentlich bedeutet, Furche 3 vom 16. Jänner 1997, Seite 8). Die Probleme, die jetzt in der Kirche von Österreich voll aufgebrochen sind, lassen sich wohl nur auf dieser Basis lösen. Es sind jene Fragen, die auf dem letzten Konzil offengeblieben sind. Dieses hat die Visionen von Kirche als Communio und vom gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen neben die bisherigen Vorstellungen von einer hierarchischen (pyramidenförmigen) Kirche mit der ihr entsprechenden Amtsauffassung gestellt, ohne beides miteinander zu versöhnen und eine neue Sicht der Strukturen und Ämter zu entwickeln. Daher können sich sowohl die traditionalistischen als auch die eine Reform anstrebenden Kräfte im gegenwärtigen Kirchenkonflikt auf das Konzil berufen. Der "Dialog für Österreich" müßte diese Fragen, die sich nicht auf einer Delegiertenversammlung lösen lassen, zumindest in Angriff nehmen.

Bischof Johann Weber deutete noch als Vorsitzender der österreichischen Bischofskonferenz "die gegenwärtigen Probleme als die Geburtswehen einer neuen Gestalt von Kirche, die wir noch nicht kennen". Aber die Konturen dieser Kirche sind bereits im Neuen Testament vorgezeichnet (Mt 23,8f): "Ihr aber sollt euch nicht Meister nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Geschwister. Auch sollt ihr niemand auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel."

Der Autor ist Universitätsdozent für Pastoraltheologie in Innsbruck.

Furche-Serie zum Delegiertentag: Teil 3 Nächste Woche: Richard Pickerüber die Lebensform der Priester Dialog für Österreich Themenkorb 5: Kirche - unsere gemeinsame Berufung Partizipation - Mitverantwortung der LaienDienste von Laien - Aufgaben der Priester Verhältnis von Amtsträgern und Laien Buchtip EINMÜTIG. Gemeinsam entscheiden in Gemeinde und Kirche.

Von Paul Weß. Druck- und Verlagshaus Thaur 1998. 552 Seiten, frz. brosch., öS 348,

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