Unübersehbares Zeichen

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Nach der "Wallfahrt der Völker" zieht kardinal christoph schönborn Resümee über den einjährigen Prozess des Mitteleuropäischen Katholikentags.

Die Furche: Der Katholikentag war ein Projekt eines seit 1945 westlichen Landes mit sieben Ländern, die erst seit 1989 demokratisch geworden sind: Ist der Eiserne Vorhang, der Europa getrennt hat, unter den Katholiken Mitteleuropas gänzlich überwunden? Was ist seither an Gemeinsamkeiten gewachsen, was bleibt an Trennendem?

Kardinal Christoph Schönborn: Kardinal Franz König pflegte zu sagen, "der Weg nach Europa führt über Mitteleuropa". Das heißt: Trotz aller negativen Entwicklungen des 19./20. Jahrhunderts haben die Länder des mitteleuropäischen Raums sehr viele religiöse, kulturelle, psychologische Gemeinsamkeiten bewahrt, sie haben ein gemeinsames Grundmuster. Manches davon ist in Vergessenheit geraten, aber es lässt sich wieder entdecken. Dieser Prozess ist im Gang. Die "Wallfahrt der Völker" ist eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einem neuen Miteinander in Europa.

Noch gibt es manche Mauern in den Köpfen und Herzen, Reste alter Vorurteile, eine Neigung, auf den anderen herabzusehen oder voreinander Angst zu haben. Für die Christen geht es darum, mit der Gnade Gottes diese Mauern zu überspringen, um einander endlich "auf gleicher Augenhöhe" zu begegnen.

Die Furche: Sie haben immer wieder die "Wiederentdeckung der Seele Europas" als ein zentrales Thema des Katholikentags und der "Wallfahrt der Vielfalt" bezeichnet.

Schönborn: In den letzten Jahren hat es oft geheißen: "Europa braucht eine Seele". Das klang so, als müsse man etwas konstruieren. Aber Europa hat eine Seele, sie ist präsent an den "Quellorten des Glaubens", wie gerade Mariazell einer ist. Sie ist präsent in den großen Kathedralen des Kontinents, an den Pilgerwegen, in Geschichte und Gegenwart der christlichen Glaubensgemeinschaften. Die Seele ist da, sie prägt auch heute vielfach das Denken und Fühlen einer großen Mehrheit der Europäer. Aber man muss das zur Sprache bringen. Viele Jahre sah es ja so aus, als würden sich die Europäer ihrer Seele und ihrer christlichen Wurzeln schämen.

Die Furche: Sie haben im Lauf der Vorbereitungen die einzelnen Länder intensiver kennen gelernt: Was können Sie davon an Österreich weitergeben?

Schönborn: Zwei Aspekte scheinen mir wichtig:

1. Obwohl die materiellen Bedingungen schlechter sind als bei uns, kann man in vielen Reformländern mehr Hoffnung, mehr Optimismus, mehr Lebensfreude, mehr Willen zur aktiven Gestaltung der Zukunft wahrnehmen als hierzulande. Zum Beispiel ist die Lernbereitschaft der Jugend sehr eindrucksvoll.

2. Die Kirche in diesen Ländern ist nach 1945 durch das Feuer der Verfolgung gegangen. Das hat einerseits große Verluste gebracht, andererseits aber auch eine Reinigung von manchen historischen Schlacken bewirkt. Das hat Konsequenzen bis heute. Die wiedergewonnene Freiheit hat bei den Katholiken eine spontane Freude an der Kirche bewirkt, von der wir uns im Westen durchaus eine Scheibe abschneiden können - ohne deswegen alles heilig zu sprechen oder schön zu reden, was in den Reformländern geschieht.

Die Furche: Und was kann Österreich besonders an die anderen Katholikentags-Länder weitergeben?

Schönborn: Was bei unseren Nachbarn großes Interesse auslöst, ist die Gestaltung des Verhältnisses von Kirche und Staat, Kirche und Gesellschaft unter den Bedingungen von Freiheit, Demokratie und Pluralismus. Das Wort von der "freien Kirche in der freien Gesellschaft" hat Anziehungskraft; auch die Tatsache, dass das Verhältnis von Kirche und Staat bei uns nicht vom Prinzip der feindseligen Trennung, sondern der partnerschaftlichen Zusammenarbeit unter Respektierung der wechselseitigen Unabhängigkeit geprägt ist.

Auch das weltkirchliche Engagement der österreichischen Katholiken im Bereich von Mission und Entwicklungszusammenarbeit wird als Vorbild empfunden. Es ist interessant, dass z. B. das Modell der österreichischen Sternsinger-Aktion mittlerweile sowohl in der Slowakei als auch in der Tschechischen Republik ähnliche Initiativen ausgelöst hat.

Die Furche: Die Kirche in allen Ländern des Katholikentags sieht sich einer säkularen bzw. säkularisierten Gesellschaft gegenüber. Wie weit war dieser Katholikentag ein religiöses Lebenszeichen für diese Gesellschaft?

Schönborn: Die Tatsache allein, dass dieser Katholikentag mit der "Wallfahrt der Völker" als Höhepunkt zustande gekommen ist, hat auf die öffentliche Meinung in den Teilnehmerländern Eindruck gemacht. Auch dass die Staatspräsidenten mehrerer Teilnehmerländer ganz selbstverständlich nach Mariazell gekommen sind, wird aufmerksam registriert.

Vor allem ist es aber die Begeisterung der Pilger, die in den Reformländern mit ihrer doppelten Belastung - die Altlasten des theoretischen Materialismus von einst und der Ansturm des praktischen Materialismus von heute - Aufsehen macht. Die "Wallfahrt der Völker" ist ein Zeugnis, das nicht übersehen werden kann.

Die Furche: Welche religiösen Impulse dieser Wallfahrt gehen weiter?

Schönborn: Das offene Bekenntnis zu Christus, die Suche nach religiösen "Zeichen", die dem Glauben auch gesellschaftliche Plausibilität verleihen, weil sie sozusagen im Alltag erlebbar sind, die Wiederentdeckung des Sonntags als des "Schlüsseltags" für die Christen, weil es der Gedenktag der Auferstehung Jesu ist.

Die Furche: Sie haben die "Wallfahrt der Völker" auch eine "ausgestreckte Hand" in Richtung der Muslime genannt: Wie haben Sie das gemeint?

Schönborn: In einem der Teilnehmerländer - Bosnien-Herzegowina - ist der Islam historisch präsent. Wenn sich die acht Länder Mitteleuropas zusammentun, dann ist automatisch auch diese islamische Komponente da. Aber die "ausgestreckte Hand" soll auch in anderer Richtung verstanden werden: Das Ziel, für das sich die Katholiken in Mariazell eingesetzt haben, ist ein gemeinsames Haus Mitteleuropa, das für alle wohnlich und eine Heimat ist, für die Christen unterschiedlicher Konfession, für Juden und Muslime, für Menschen, die nicht an Gott glauben oder auf der Suche sind.

Die Furche: Zwei der acht Länder - Kroatien und Bosnien-Herzegowina - gehören nicht der erweiterten EU an. War der Katholikentag auch ein Zeichen dafür, dass diese Länder mit in die politische Gemeinschaft Europas gehören?

Schönborn: Das ist eine der starken politischen Botschaften der "Wallfahrt der Völker": Europa ist größer als die erweiterte Europäische Union. Wenn wir die europäische Wiedervereinigung ernst nehmen, können die Länder des einstigen Jugoslawien, Rumänien oder Bulgarien nicht vergessen werden. Kroatien ist zweifellos auf dem Weg in die Union schon weiter vorangekommen als Bosnien-Herzegowina. Aber für beide Länder gilt, dass sie unverzichtbare Bestandteile Europas sind. Sie brauchen uns und wir brauchen sie.

Die Fragen stellte Otto Friedrich.

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