Unverdrossen vom Konzil bewegt

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Am 23. Oktober wird Wiens Weihbischof Helmut Krätzl 70 Jahre alt. Der heutige Bischofsvikar für Erwachsenbildung gehört zu den engsten Weggefährten Kardinal Königs: Der Wiener Alterzbischof würdigt Krätzl, mit dem ihn auch sehr persönliche Lebensgeschichte verbindet.

Am 13. Februar des Jahres 1960 war ich mit Helmut Krätzl als meinem Zeremoniär frühmorgens an der jugoslawisch-österreichischen Grenze angekommen, um über den Eisernen Vorhang mit einem überraschend erteilten Visum der jugoslawischen Botschaft in Wien nach Zagreb zu reisen; ich wollte dort am Begräbnis des von Tito geächteten und zu schweren Gefängnisstrafen verurteilten Kardinals Aloizij Stepinac teilnehmen. In der Nähe der kleinen kroatischen Stadt VaraÇzdin kam unser Wagen auf einer stark vereisten und kurvigen Straße ins Schleudern und fuhr einem entgegenkommenden LKW in die Flanke. Mein treuer Fahrer Martin war tot; Krätzl und ich lagen, beide schwer verletzt, bewusstlos im Fond des Wagens. Beide, Krätzl mit seinen beiden gebrochenen Beinen und ich, mit schweren Kieferbrüchen, wurden ins Krankenhaus nach VaraÇzdin gebracht und, den Umständen entsprechend, dort gut betreut.

Der Anlass, um diesen gemeinsam erlebten schweren Unfall zu erzählen, ist heute - schlicht und einfach - der bevorstehende 70. Geburtstag unseres Bischofs Helmut Krätzl am 23. Oktober. Denn die Gemeinschaft des Leides schuf gewissermaßen eine Art Weggemeinschaft, die sich dann durch das Ereignis des Zweiten Vatikanischen Konzils auf eine besondere Art fortsetzte, auf verschiedenen Wegen in der Gemeinschaft des Dienstes für die Kirche Gottes in unserem Land und unserer Zeit. Aus diesem Grunde wollte ich in der heutigen Ausgabe der furche meine Wertschätzung und Anerkennung für Bischof Krätzls Weg und Dienst in seiner Heimat öffentlich bekunden.

Bei dieser Gelegenheit wollte ich auch hinweisen auf sein Buch über das Konzil, das durch mehrere Auflagen einen großen Leserkreis erreichen konnte und seinen Einsatz als Bischof wie Seelsorger im deutschen Sprachraum illustriert und auf verschiedene Berührungspunkte in unserem Leben hinweist.

II. Vatikanum prägte

Übrigens war es kein Zufall, dass Helmut Krätzl, nachdem er gesundheitlich wieder soweit hergestellt war, auf meinen Vorschlag zur Fortsetzung seines Studiums - er hatte damals bereits seinen Doktor an der Theologischen Fakultät in Wien erworben - nach Rom kam, um in der Anima, einem österreichisch-deutschen Priesterkolleg, noch zusätzlich Kirchenrecht zu studieren.

Während seiner römischen Jahre wohnte er im Priesterkolleg der Anima, zusammen mit jungen Studenten aus dem gesamten deutschen Sprachgebiet, in unmittelbarer Nähe der Peterskirche und des Petrusgrabes. Hier hatte er Gelegenheit, seinen menschlichen und christlichen Horizont zu erweitern. Hier lernte er die Kirche Gottes als eine grenzüberschreitende Gemeinschaft des Glaubens kennen - als "eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst", wie es "Lumen gentium", die Kirchenkonstitution des Konzils, ausdrückt (LG, 8).

Eine Art geistlicher Wende in seinem jungen Priesterleben wurden jene römischen Jahre durch die Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils, das Johannes XXIII. kurz nach seiner Wahl im Oktober 1958 angekündigt hatte.

Als Krätzl im Herbst 1960 nach Rom kam, war die Vorbereitung für das Konzil bereits im Gange. Ganz persönlich erlebte er die damit verbundenen großen Erwartungen, an-dererseits aber erfuhr er von Ängsten und Sorgen, ob das wohl alles gut gehen könne angesichts des fortgeschrittenen Alters des Pontifex. Krätzl meldete sich sofort, um als Konzilsstenograph für lateinische Sprache ausgebildet zu werden, so wie es seinerzeit beim Ersten Vatikanum geschah. Die moderne Technik hat aber dann mit der Simultanübersetzung einen ganz anderen Weg eingeschlagen.

An dieser Stelle möchte ich mit Nachdruck auf Krätzls 1998 erstmals erschienene, nun schon in 4. Auflage vorliegende Veröffentlichung "Im Sprung gehemmt - was mir nach dem Konzil noch alles fehlt" hinweisen. Aus der Perspektive einer nachkonziliaren Zeit von 33 Jahren geht er auf die großen Themen und Impulse des Konzils ein, die den Weg der Kirche am Beginn des neuen Millenniums bestimmen sollen.

Krätzl weist hin auf die erneuerte Liturgie, das erneuerte Kirchenbild vom wandernden Gottesvolk; er weist hin auf den ökumenischen und interreligiösen Dialog und behandelt ausführlich auch das Apostolat der Laien sowie das große Thema der Religionsfreiheit. Damit macht er deutlich, wie sehr die Rezeption der Konzilstexte selber, die nicht immer leicht in die Praxis umzusetzen ist, heute wiederum aufgegriffen werden soll, um der großen Impulse des Konzils wieder bewusst zu werden. Die Rezeption des Konzils und seiner offiziellen Texte ist leider auch heute noch lange nicht vollendet.

Pfarrer und Bischof

Nach seiner Rückkehr aus Rom, 1964, ging Krätzl als Pfarrer nach Laa an der Thaya, wo er in einer traditionsreichen und angesehenen Stadtpfarre - bereits 1200 wurde Laa als Stadt erwähnt - sich mit jugendlichem Schwung und Liebe der neuen Aufgabe stellte. Hier erwarb er sich eine reiche pastorale Erfahrung in einer vielschichtigen Gemeinde mit verschiedenen höheren Schulen, hier begann für den jungen Seelsorger die praktische Auswertung seiner theoretischen Erfahrungen mit dem Konzil; nun konnte er theologisches Wissen mit praktischer seelsorglicher Arbeit verbinden.

Welche Freude ihm die Seelsorge aus einer solchen Perspektive des Konzils machte, und wie sehr er sich bemühte, das Anliegen des Konzils den Menschen verständlich zu machen, zeigen seine regelmäßigen Wortmeldungen im Pfarrblatt von Laa, zum Beispiel zu dem sensiblen Thema der erneuerten Liturgie, wo der Pfarrer seinen Pfarrangehörigen damals unter anderem erklärte: "Das Konzil wollte uns keine ,neue Messe' geben, aber eine neue Haltung ihr gegenüber. Ob nun die Absichten der Bischöfe der ganzen Welt verwirklicht werden, hängt von jeder einzelnen Pfarrgemeinde, ja von jedem einzelnen Gläubigen ab. Gehen wir froh gemeinsam ans Werk! Aus der Erneuerung der Liturgie könnte dann eine Erneuerung der ganzen Pfarrgemeinde werden!"

Daher entschloss er sich nur schweren Herzens, meinen Vorschlag anzunehmen, von Laa nach Wien zurückzukehren, um in der diözesanen Verwaltung tätig zu sein. 1981 übernahm er die Aufgabe eines Generalvikars in einer schwieriger gewordenen Wiener Erzdiözese, nachdem er vier Jahre früher, 1977, bereits zum Wiener Weihbischof ernannt worden war. Damit kam er allerdings auf neue Weise wieder in unmittelbaren Kontakt mit Pfarre und Dekanat, mit einer Koordinierung der pastoralen Pläne in der nachkonziliaren Zeit.

Neuer Lebensabschnitt

Im Zuge der Sedisvakanz war Krätzl zum Administrator der Erzdiözese gewählt worden. Mit der Neubesetzung des Wiener erzbischöflichen Stuhles 1986 begann dann eine Neuorientierung seines Lebensweges, die im Laufe der Zeit manche Verletzung verheilen ließ durch ermutigende seelsorgliche Kontakte mit vielen Fragenden und Suchenden, die in der nachkonziliaren Zeit enttäuscht, auf der Suche waren nach Verständnis und Wegweisung.

Damit begann ein ganz neuer Abschnitt in Krätzls Leben, er wuchs hinein in eine neue große Aufgabe, die ihn in Wort und Schrift bald im ganzen deutschen Sprachgebiet bekannt machte. Im Ringen der postkonziliaren Diskussion mit all ihren Schwierigkeiten zeigte er den hoffnungsvollen Weg der Kirche als Weg der Mitte, wie er durch das Konzil und seine wegweisenden Dokumente vorgezeichnet worden war.

So hat das Zweite Vatikanische Konzil sein ganzes Priesterleben geprägt. Dass es ein Weltereignis war, für die Geschichte der Kirche Gottes in unserer Zeit, das zu zeigen, ist für den Autor daher ein persönliches Anliegen. Bischof Krätzls Buch über das Konzil schließt mit dem schönen Bekenntnis: "Mein Priestertum ist durch das Konzil geprägt. Ich bin dankbar dafür, erleben zu dürfen, wie Gott seine Kirche führt. Ich sehe meine Aufgabe, dies anderen mitzuteilen und ihnen so neue Freude an der Kirche zu geben. Darum habe ich auch dieses Buch geschrieben, in der Hoffnung, dass viele, die es lesen, sich fragen: was will Gott heute mit seiner Kirche? Und: Was will er gerade von mir in dieser Kirche, dass ich für ihn ein Werkzeug werde in seinem Einsatz für die Welt?"

Buchtipp

IM SPRUNG GEHEMMT. Was mir nach dem Konzil noch alles fehlt.

Von Helmut Krätzl. Verlag St. Gabriel. Mödling, 4. Auflage 1999. 219 Seiten, kt., öS 218,-/e 15,84

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