Vaterlandsliebe und nicht Chauvinismus

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Beim EU-Beitritt Österreichs hat sich die Frage gestellt: Müssen wir nun auf ein "Vaterland Europa" umstellen?

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Beim EU-Beitritt Österreichs hat sich die Frage gestellt: Müssen wir nun auf ein "Vaterland Europa" umstellen?

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Das lateinische patria, Vaterland, legt als unmittelbare Definition von Patriotismus die Vaterlandsliebe nahe. Diese Definition hilft aber nicht weiter, denn was ist "Liebe"? Eine sachlich begründbare Zuneigung; eine emotionale Beziehung, die keiner sachlichen Begründung bedarf; ein blinder Affekt, der keine sachlichen Argumente zuläßt; oder gar "right or wrong, my country" (richtig oder falsch, es geht um mein Vaterland) als brutale Vaterlandsliebe, die durchaus auch gegen andere Länder gerichtet sein kann?

Zweites Problem: Ist der Begriff "Vaterlandsliebe" mit dem (derzeitigen) Umfang der Nationalstaaten ident? Fühlen sich Wallonen und Flamen als Belgier, oder doch primär als Wallonen oder Flamen? Auf meine Frage: Sind Sie Franzose? wurde mir einmal mit Entschiedenheit geantwortet: Nein! Ich bin Bretone! Und dann zitierte mein Gesprächspartner detaillierte Zahlen, wie Frankreich im Ersten und im Zweiten Weltkrieg Genozid betrieb, indem es Bretonen systematisch in die vordersten Schlachtreihen schickte.

Eine erste Antwort könnte lauten: Vaterland ist für mich jenes Gebiet, das mich sprachlich, soziologisch und kulturell geprägt hat, und dem ich mich daher in besonderer Weise verbunden fühle. Diese Wurzeln werden meist in der Kindheit gelegt, und ich bedaure jeden Menschen, dem - sei es durch häufigen Ortswechsel seiner Eltern, sei es durch gewaltsame Vertreibung - keine solchen Wurzeln vergönnt sind.

Aber auch im Normalfall kann es zu konzeptuellen Schwierigkeiten kommen. Spätestens seit den Jahren 1804/1806 war es eine der heikelsten Fragen unserer Identität, ob wir Österreicher nun Deutsche seien oder nicht. Auf anderer Ebene wiederholte sich diese Frage beim Beitritt Österreichs zur Europäischen Union: Müssen wir nun umlernen von einem "Vaterland Österreich" auf ein "Vaterland Europa"?

Ich bin überzeugt, daß die Lösung des Problems nicht im entweder/oder liegt. Wir sollten uns vielmehr dessen dankbar bewußt sein, daß jeder von uns in eine Pluralität von Identifikationsebenen eingebunden ist: Wir fühlen uns als Neustifter, Wolfsberger, ... Gleichzeitig aber als Döblinger, Lavanttaler, ... Natürlich auch als Wiener, Kärntner, ... Als Österreicher, aber auch als Europäer und schließlich als "concerned citizen" (betroffener, besorgter, interessierter, beteiligter Bürger), der in Fragen der Umweltvergiftung, der Verbrechensbekämpfung, der Entwicklungshilfe weltweit denkt.

Nur nebenbei sei vermerkt, daß gerade durch Österreichs EU-Mitgliedschaft die Problematik unseres gegebenen oder nicht gegebenen Deutschbewußtseins gegenstandslos geworden ist: Man kann sich problemlos dem deutschen Kulturkreis zugehörig fühlen, ohne sich dem Verdacht eines Anschlußgedankens auszusetzen.

Entscheidend ist die Erkenntnis, daß alle diese Ebenen einander nicht widersprechen, sondern vielmehr sinnvoll ergänzen - ja, mehr noch: Ich behaupte, daß ich nur dann, wenn ich mich meinem Lande verbunden fühle, auch ein guter Europäer sein kann. Und je mehr ich zeitlebens bemüht darum bin, andere Sprachen, Länder und Kulturen kennenzulernen, desto mehr können mir auch die eigenen Werte deutlich bewußt werden.

Sicher fühlt sich der eine oder andere von uns einzelnen dieser Ebenen stärker verbunden als anderen; aber je mehr wir uns dessen bewußt sind, daß wir zu allen dieser Ebenen gleichzeitig ja sagen dürfen, desto weniger wird sich die einleitend genannte Problematik stellen, eine dieser Ebenen zu Lasten der anderen Ebenen zu verabsolutieren, Vaterlandsliebe in Chauvinismus umschlagen zu lassen.

Und damit kommen wir zu einer letzten Dimension des Begriffes Patriotismus: Verantwortung. Patriotismus bedeutet, mich nicht nur einer dieser Ebenen verpflichtet zu fühlen.

Der Autor ist ÖVP-Abgeordneter zum Nationalrat und Mitglied des Bundesvorstands des Österreichischen Seniorenbundes.

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