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Vatikanum II und Tridentinum

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In der heutigen Kirche gibt es viel Unruhe. Und viele fragen sich, ob diese Unruhe in der Kirche nicht eine Folge des II. Vatikanischen Konzils sei?

Keine Frage: Papst Johannes XXIII. und das von Ihm berufene Konzil haben die Kräfte entbunden, die zur gegenwärtigen Krise geführt haben. Im gleichen Atemzuge muß man freilich hinzufügen: Weder hat Papst Johannes sich träumen lassen, daß seine Rede vom Aggiornamento solche Interpretationen finden und solche Wirkungen zeitigen werde wie geschehen, noch liegt die Ursache in den Beschlüssen des Konzils selbst. Man tut beiden Unrecht, wenn man sie jetzt anklagt. Sie haben Kräfte freigemacht, die allzulange aufgestaut waren: In der Lehre von der Kirche als dem Volke Gottes steckt eine ungeheure Dynamik; die Lehre vom Bischofskollegium und die Aufwertung der Bischofskoniferenzen legitimieren eine sehr berechtigte und zeitgemäße Auflockerung des Zentralismus; in die Liturgie ist ein neuer Geist eingezogen, neue Formen werden gesucht und gefunden; ökumenisches Denken hat den engen Konfessionalismius überwunden; das Verhältnis von Kirche und Welt ist positiv gefaßt worden. Das alles sind natürlich nur Andeutungen, mit denen ich sagen will, daß ich die Dynamik der Kirche unserer Zeit als ein Positivum sehe und davon überzeugt bin, daß sie ein Werk des Heiligen Geistes ist. Es liegt mir sehr viel daran, das mit aller Klarheit zu sagen.

Aber ebenso ist es eine Tatsache, daß wir im Begriffe stehen, in ganz wesentlichen Punkten die Grundsätze zu verlassen, die das Konzil aufgestellt hat. Wenn es in der Konstitution über die Liturgie heißt, daß das Lateinische nach wie vor die liturgische Sprache der Kirche ist, der Gebrauch der Volkssprache aber gestattet werden kann, so muß ich konstatieren, daß in manchen Ländern in noch höherem Grade als bei uns in Deutschland das Latein vollständig zu schwinden beginnt — und damit ein Einheitsband, dessen Wert nur schwer überschätzt werden kann. Wohin wird es führen, wenn die Möglichkeit des Experimentierens auf dem Gebiet der Liturgie noch ausgeweitet wird? Aber noch viel bedenklicher erscheint mir, was in der Glaubensverkündigung, in Predigten und Vorträgen geschieht. Anerkannte Dogmen der Kirche, feierlich definierte Begriffe werden

um-, um nicht zu sagen weg-inter-pretiert. Die Folge ist eine Glaubensunsicherheit, die erschreckende Ausmaße angenommen hat und an die des 16. Jahrhunderts erinnert. Im Laufe einer Diskussion über das Amts- und Weihepriestertum, der ich am Ende vorigen Jahres beiwohnte, machte ein Teilnehmer darauf aufmerksam, daß von den Autoren, die es, wenn nicht ganz abschaffen, so doch total verändern wollen, keiner von dem einschlägigen Dekret des Konzils ausgeht, sondern sich für die „Entsakralisierung“ und ähnliches auf die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute beruft. Mit einem Wort: Das Konzil gilt vielen als überholt. Nach dam Abschluß des Trienter Konzils war es genau umgekehrt. Man hielt geradezu ängstlich an seinen Dekreten, und zwar sowohl an den dogmatischen wie an den Reformdekreten fest. Die Päpste des letzten Drittels des Reformationsjahrhunderts, Pius IV., Pius V, Gregor XIII., Sixtus V., sahen ihre Hauptaufgabe darin, das Trienter Konzil durchzuführen, aus den Buchstaben des Gesetzes Leben zu machen. Das Trienter Konzil hat eine Krise beendet, indem sie feste Normen aufstellte, sowohl für den Glauben wie für die Seelsorge. Man hat sie beobachtet — und am Ende des Jahrhunderts stand die katholische Kirche, obwohl räumlich stark reduziert, kräftiger da als am Beginn. Ich weiß sehr wohl, daß das starre Festhalten an der tridentinischen Ordnung im Laufe der Zeit lebenshemmend gewirkt hat. Man kroch gewissermaßen in ein Gehäuse hinein, in dem man sich sicher abgeschirmt fühlte. Diese Mentalität war nicht die des Trienter Konzils gewesen, sie lag nicht in der Absicht' der Väter dieses Konzils. Es will mir scheinen, daß dieser Vergleich des Vatikanum II mit dem Tridentinum nicht ganz ohne Nutzen ist: Wir sollten uns viel enger an die Dekrete des Konzils anschließen, sie ausführen, sinngemäß ausführen, aber nicht uminterpretieren. In der NZZ vom 22. Februar 1969 hat sich ein reformierter Theologe, Peter Vogelsanger, mit der Kritik der Studenten in der Feier des Zwingli-Jutoiläums befaßt. „Die Studenten“, schreibt er, „verlangen anstelle der monologischen eine dialogische Verkündigung; einen Ausbau der Organisationen mit Überwindung des reinen Gemeinde- und Parochial-prinzips; eine Umwandlung des kirchlichen Instrumentariums zur

Anpackung der globalen Probleme; eine Reform des Pfarramtes im Willen der Zusammenarbeit des theologisch Geschulten mit einem aus Nichttheologen gebildeten Laiengremium. Eine Möglichkeit zum Experimentieren in der Kirche usw. Nun, das ist ein respektabler Katalog von Vorschlägen. Diskutables und Törichtes ist darin gemischt, wie das so zu gehen pflegt. Will man das Entscheidende herausstellen, so muß man sagen: Alle diese Vorschläge beziehen sich auf bloße Formalien, nicht auf eine geistige und geistliche Erneuerung der Kirche. Sie haben nicht das Verständnis der biblischen Botschaft und das wirkliche Leben des Glaubens in unserer Zeit zum Ziel, sondern sie bleiben unter dem etwas anspruchsvollen Titel einer .Reformation heute' im Bereich der bloßen äußeren Reformen stecken. Gerade das war auch typisch für die vorrefomiatorische Epoche des Spätmittelalters, daß man zwar ebenso stürmisch wie heute eine Erneuerung der Kirche an Haupt und Gliedern verlangte, diese aber im rein Forma-

en der Korrektur kirchlicher Deformationen suchte. Die eigentliche Reformation aber kam aus einer ganz

anderen, tieferen Quelle: aus einer Erneuerung des Glauibens.“ Das ist gesagt vom Standpunkt des evangelischen Theologen, der mit ■ Luther und Zwingli die Überzeugung teilt, daß der Glaube in der Kirche des Mittelalters verdunkelt war und durch die Reformation neuentdeckt wurde. Dennoch darf man das Gesagte auch auf die katholische Kirche' von damals und von heute übertragen. Letzten Endes hat die Kirche die Krise der Reformation überwunden nicht allein durch die notwendige Abgrenzung ihres Glaubens gegen den protestantischen Lehrbegriff, auch nicht durch die Reformdekrete des Trienter Konzils, sondern kraft einer inneren Erneuerung, die diesem Konzil vorausging, es begleitete und ihm folgte. Innere Erneuerung aber ist nichts anderes als christlicher Ernst. Dieses tiefe Ernstmachen mit dem Christsein spürt man bei Ignatius von Loyola ebenso wie bei Petrus Canisius, bei Karl Borromäus und Theresia von Avila. Wo sind, so muß ich fragen, unter den Jugendlichen, die auf dem Essener Katholikentag den Religionsunterricht verhöhnten, unter den Geistlichen, die stürmisch die Aufhebung des Zölibats fordern, unter den Laien, die auf dem römischen Laienlkongreß die Mitbestimmung bei der zentralen Kirchenlei-tung verlangten — wo sind unter ihnen die Menschen; für die „Reform“ das ist, was es 'bei Paulus (Rom 12, 2) ist: „Werdet nicht gleichförmig dieser Welt, sondern wandelt euch um (reformaimini) zu neuem Geiste!“

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