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Verallgemeinern ist nicht hilfreich

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Im Interesse der Wahrheit, die Bischöfe mit Recht immer wieder einmahnen, gehört offen über die Dimensionen des „Falles Groer” gesprochen.

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Im Interesse der Wahrheit, die Bischöfe mit Recht immer wieder einmahnen, gehört offen über die Dimensionen des „Falles Groer” gesprochen.

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Die Anreicherung von infantilen, unmännlichen Typen im katholischen Klerus führt der Tiefenpsychologe Wilfried Daim auf die Seminarerziehung und das seinerzeit dort geübte Ausleseverfahren - Kriterien: Bravheit, Gehorsam, Widerspruchslosigkeit, Unterwerfung unter bestimmte moralische Wertungen vor allem bezüglich der Sexualität, Bindung an den Erzieher, Zugehörigkeit zu einem innersten Kern - zurück. Für Daim heißt das nicht, daß es im Klerus bisher keine männlichen „normalen” Typen gegeben habe; wichtig ist für ihn der Begriff „Anreicherung”, was an sich schon eine üble Sache sei.

Heute hat sich enorm viel im katholischen Erziehungswesen geändert. Das Zweite Vatikanische Konzil hat dazu Entscheidendes beigetragen. Der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner hat am vergangenen Sonntag in der TV-Sendung „Zur Sache” darauf aufmerksam zu machen versucht, wenngleich er kaum den jetzt entstandenen übermächtigen Eindruck entschärfen konnte, daß in der Heranführung Jugendlicher an den Priesterberuf in der Vergangenheit fast alles schiefgelaufen sei.

Ehemalige Zöglinge aus verschiedenen österreichischen Seminaren haben, motiviert von der derzeitigen Debatte des „Falles Groer”, gegenüber der FURCHE ähnliche Erfahrungen geschildert, wie dies Josef Hartmann aus Hollabrunn darstellte. Die größere Dimension ist bisher in den österreichischen Medien noch nicht angegangen worden. Wesentlich erschien allen Ex-Zöglingen, die heute in unterschiedlichsten Berufen tätig, nicht nur Priester, auch verheiratet sind, die Erfahrung, daß man sie damals im Seminar der eigenen Familie zu entfremden trachtete. Das habe schon damit begonnen, daß die Sexualerziehung, von einem Gastpriester vorgenommen, den Eltern aus der Hand genommen wurde. Die Eltern wurden nach „vollbrachter” Aufklärung in einem Schreiben der Seminarleitung davon in Kenntnis gesetzt, daß sie sich um die Sexualerziehung jetzt nicht mehr zu kümmern brauchten, da ihr Sohn jetzt alles wisse.

Das Hauptaugenmerk lenkten die Erzieher damals auf die „Selbstbefleckung”. Ihr sollte der „Kampf” angesagt werden. Mit Stricherllisten versehen, die das „Unterliegen” im Kampf gegen sich selbst, also den eigenen Trieb, zu markieren hatten, sollten die Zöglinge bei der Beichte genau darüber Auskunft geben können, wie oft sie sich selbst befriedigt' hatten. Mehrmalige Exerzitien pro Jahr (geistliche Übungen, während denen man schweigen mußte) hatten im wesentlichen nur mit der vom künftigen Priester geforderten, sogenannten sexuellen Reinheit zu tun: überbordende Sexualfixierung war die Folge. Die Frau wurde nur über die Gestalt der Mutter Maria, als quasi a-sexuelles Wesen, den Zöglingen erfahrbar gemacht. So lasse sich auch die überdimensio-• nierte Marienverehrung vieler Kleriker erklären, meint dazu Wilfried Daim, der eine dahinter steckende anerzogene Angst vor der Frau vermutet.

Wer dies alles widerspruchslos angenommen hat, ist auch bei der Beurteilung durch die Erzieher (Präfek-ten genannt) besonders gut weggekommen. Daim verweist in diesem Zusammenhang auf eine Untersuchung, die ein Schüler des Schweizer Schicksalsforschers Leopold Szondi an Priestern durchgeführt hat, die wegen Kinderschändung eingesessen sind: Allesamt hatten diese im Knabenseminar gute Beschreibungen aufzuweisen. Eine Gegenprobe an Priestern, die in der Seelsorge später sehr erfolgreich waren, ergab den Befund, daß sie als Zöglinge im Seminar schlecht, weil „aufsässig”, beschrieben worden waren.

Vor Verallgemeinerungen wird man sich hüten müssen: Die Beschreibung von Fehlentwicklungen darf nicht in dem Sinne mißverstanden werden, daß jetzt alle Kleriker einer bestimmten Generation seelisch verbildet wären.

Die Salesianer Don Boscos, auf Jugendarbeit spezialisiert, setzen in ihrer Erziehungstätigkeit in ihren Schüler- und Studentenheimen auf Freiheit und Verantwortung. Pater Petrus, geistlich-geistiger Begleiter und Freund von 220 Studenten (darunter 30 Schüler) im Wiener Salesianum/Hagenmüllergasse, nimmt die Fragen seiner jungen Leute ernst. Das Gespräch, die Förderung gegenseitigen Lernens durch Begegnungsmöglichkeiten im Studentenheim, steht an vorderster Stelle. Anstoßgeben, Wegbegleitung sind Grundbegriffe seines Zugangs zum jungen Menschen, dem die Eigenverantwortung nicht abgenommen wird.

„Ich muß jedem seine Freiheit zugestehen”, so Pater Petrus zur FURCHE, „was er dann daraus macht im Beruf, in der Familie, auch im Bereich Beligion, dafür trägt er selbst Verantwortung.”

In der konkreten Diskussion des „Falles Groer” erwartet der Salesia-nerpater eine Demonstration dessen, wie Kirche schuldhaftes Verhalten behandelt. An vorderster Stelle sollte die Frage stehen, wie Jesus selbst mit der Schuld umgegangen ist. „Und das müßte uns eigentlich von der Gesellschaft unterscheiden.”

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