Vernünftigkeit des Glaubens

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Wider eine Engführung des Vernunftbegriffs: Bernhard Körner antwortet Walter Homolka.

Vom Wissen zum Glauben oder vom Glauben zum Wissen? Mit seiner Antwort auf diese Frage hat Rabbiner Walter Homolka nicht nur zum Jesus-Buch von Papst Benedikt XVI. Stellung genommen (vgl. Kasten links), sondern auch eine Grundfrage der (christlichen) Theologie aufgeworfen. Aus diesem Grund sei es einem katholischen Theologen erlaubt, die Frage aus seiner Sicht aufzugreifen - um der Sache willen.

Glaube und Erkenntnis

Betrachtet man das Thema ganz allgemein, dann scheint sowohl in jüdischer wie in christlicher Perspektive beides möglich zu sein: Menschen finden durch das Wissen zum Glauben und sie gewinnen aus dem Glauben Wissen. In der christlichen Tradition gibt es daher beides: ich glaube um zu erkennen (credo ut intelligam), ich erkenne um zu glauben (intelligo ut credam). Eine besondere Brisanz bekommt das Verhältnis von Wissen und Glauben allerdings im Blick auf unser historisches Wissen von Jesus und unseren Glauben an ihn als Sohn Gottes.

Die katholische Theologie der Neuzeit wollte zeigen, dass es einen Weg zum Glauben über die historische Erkenntnis gibt. Daraus hat sich sogar eine eigene theologische Disziplin entwickelt: die Apologetik bzw. Fundamentaltheologie. In der spannenden Geschichte dieses Faches hat sich allerdings der Weg vom historischen Wissen zum Glauben zunehmend als problematisch erwiesen. Das nicht deshalb, weil die historische Wissenschaft dem Glauben an den Gottessohn das Fundament entzogen hätte, sondern weil sie zu dieser Frage angesichts der Frage und der zu Verfügung stehenden Quellen nur begrenzt etwas beitragen kann. Was die historische Methode betrifft, "bezweifelt" deshalb nicht nur der Papst "schon seit Jahrzehnten deren Reichweite" (Homolka), sondern die Theologie ist gut beraten, die Frage nach der Reichweite zu stellen - der Papst erinnert zu recht daran.

Der Weg von den Ergebnissen der historischen Wissenschaft zum Glauben ist aus zwei Gründen problembeladen. Auf der einen Seite zeigt ein Blick auf die Quellen, dass sie dem historischen Interesse nicht entgegenkommen. Es sind wenige, und in den ausführlichsten, den Evangelien, sind geschichtliche Erinnerung und Glaubenszeugnis eng miteinander verwoben. Sie sind nicht nur eine Wiedergabe von historischen Fakten, sondern vor allem Zeugnisse, die das Handeln Gottes in den Fakten bezeugen.

Vom historischen Wissen

Will man aus den Evangelien die historischen Fakten herausdestillieren, dann muss man an ein Grundgesetz historischer Forschung erinnern. Sie geht davon aus, dass in der Vergangenheit nur möglich und wirklich sein kann, was auch heute möglich und wirklich ist. So sinnvoll dieser Grundsatz ist, sosehr ist er für die Theologie eine harte Nuss: Ist eine Auferstehung historisch denkbar? Ist es denkbar, dass Gott in die Geschichte eintritt? Hier fallen, noch vor den konkreten historischen Forschungen, wichtige Entscheidungen. Genauer gesagt: Was ich im Blick auf Jesus für historisch möglich halte, das hängt nicht zuletzt vom Gottesverständnis ab, das ein Forscher ins Spiel bringt. Wenn ich im Sinne des Deismus ein Eingreifen Gottes nicht für möglich halte, dann ist die Sache schon vor Beginn der historischen Arbeit entschieden. Wenn ein ehemaliger evangelischer Exeget in seiner Kritik am Papstbuch darauf besteht, dass die Exegese - analog zu den Naturwissenschaften - mit einem methodischen Atheismus arbeiten muss, dann muss ja am Ende der Glaube an den Gottessohn von der historischen Wissenschaft widerlegt scheinen.

Deshalb bin ich skeptisch gegenüber dem von Homolka gewissermaßen zusammenfassend zitierten Wort des Rabbiners Abraham Geiger, der "durch Wissen zum Glauben" kommen will. Das ist im Blick auf historisches Wissen wohl nicht so einfach, wie man es formulieren kann. Die Alternative ist nicht ein Glaube, der sich der Vernunft und ihrer Kritik entzieht, sondern ein selbstkritischer Glaube, der sich einer selbstkritischen Vernunft stellt. Und das muss im Falle der Bibel eine Vernunft sein, die ein Eingreifen und Handeln Gottes in der Geschichte für möglich hält.

Auch in diesem Punkt scheint mir der Papst eine gute Position zu vertreten. Homolka zitiert ihn und seine Feststellung, dass Vernunft und Glaube sich gegenseitig brauchen. Was die Geschichte betrifft, ergibt sie sich aus der Struktur der historischen Erkenntnis die genannte Schwierigkeit, vom Wissen zum Glauben zu gelangen. Was ist die Alternative? Nicht nur für den Papst ist folgender Weg denkbar: An erster Stelle ist die Glaubensentscheidung, die jemand einmal getroffen hat. Bei gegebenem Anlass fragt er sich dann, ob sie vor der Vernunft vertretbar ist. Das scheint mir wirklichkeitsnäher - wie viele kommen denn tatsächlich über die historische Forschung zum Glauben? Aber das ist dann der andere Weg - der Weg vom Glauben zum Wissen. Aber eben nicht so, dass der Glaube die Vernunft bevormundet. Der Papst weiß, was er sagt, wenn er festhält, dass sich Glaube und Vernunft gegenseitig brauchen. Das gilt grundsätzlich: ohne Vernunft besteht die Gefahr, dass der Glaube zum Aberglauben wird, ohne Glauben die Gefahr, dass die Vernunft ihre Grenzen zu eng zieht.

Was ist historische Vernunft?

Und was ist mit der "historischen Vernunft", die der Papst in Anspruch nimmt? Hier scheint mir bei Homolka ein Missverständnis vorzuliegen. Es geht m. E. nicht darum, was als historisches Faktum gelten kann. Vielleicht hilft die Rede, die der Papst an der römischen Universität La Sapienza halten wollte. Dort greift er einen Gedanken des amerikanischen Philosophen John Rawls auf, der es als möglich ansieht, religiöse Traditionen als eine Form in der Geschichte bewährter Vernunft, als "historische Vernunft" zu sehen. Ein Gedanke, der nicht nur dem Papst wichtig sein muss: Vernunft umfasst mehr als nur die technisch-instrumentelle Vernunft der Naturwissenschaft. Auch religiöse Traditionen können vernünftig sein, wenn sie sich in der Geschichte bewährt haben und bewähren. Und so nimmt der Papst auch für die "Relecture der Hebräischen Bibel unter dem Vorzeichen des christlichen Glaubens" (Homolka) in Anspruch, dass sie "historische Vernunft" ist. Und er wird es selbstverständlich auch für den Inhalt der Hebräischen Bibel tun. Die "jüdische Herkunft" Jesu, die tatsächlich "kein kultureller Zufall", sondern "Teil der christlichen Heilsgeschichte" (Homolka) ist, verbindet uns. Es verbindet uns aber auch, dass wir für unsere unterschiedlichen Traditionen "historische Vernunft" einfordern - auch wenn sie über die naturwissenschaftliche Vernunft hinausgeht, ja hinausgehen muss. Wir werden uns als Juden und als Christen gegen ein zu enges Verständnis der menschlichen Vernunft wehren müssen, wenn nicht der Gott, den wir bezeugen, als irrationales Phantom erscheinen soll.

Der Autor ist Professor für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät Graz.

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