Versöhnte Verschiedenheit: zur "Leuenberger Konkordie"

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Vor 30 Jahren schlossen sich reformatorische Kirchen zur Leuenberger Kirchengemeinschaft zusammen. Dieses Ökumene-Modell, dem heute 103 Kirchen angehören, könnte ein Prototyp für die Zukunft sein.

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Vor 30 Jahren schlossen sich reformatorische Kirchen zur Leuenberger Kirchengemeinschaft zusammen. Dieses Ökumene-Modell, dem heute 103 Kirchen angehören, könnte ein Prototyp für die Zukunft sein.

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Am 16. März 1973 wurde auf dem Leuenberg bei Basel die "Leuenberger Konkordie" beschlossen. Der Text wurde den beteiligten Kirchen zur Unterzeichnung übergeben. Schon wenige Monate später hatten mehr als 50 lutherische, reformierte und unierte Kirchen der Konkordie zugestimmt und damit einander Kirchengemeinschaft gewährt. So konnte eine mehr als 450-jährige Geschichte der Kirchenspaltung in Europa beendet werden.

Heute zählt die Leuenberger Kirchengemeinschaft 103 Mitgliedskirchen, hussitische und methodistische Kirchen zählen ebenso dazu wie die Waldenser und die Böhmischen Brüder. Sie steht in guten Arbeitsbeziehungen zur Anglikanischen Kirche und zu den Baptisten und ist im Dialog mit der Orthodoxie. In Österreich gehören ihr die Methodistenkirche, die Evangelische Kirche H.B. und die Evangelische Kirche A.B. an.

Der Anstoß zu dieser Entwicklung kam aus den Erfahrungen, die der Protestantismus in Europa nach dem Ende des Krieges mit zwei gegensätzlichen Tendenzen machte: Auf der einen Seite kam es zur Verstärkung der ökumenischen Zusammenarbeit. Gerade die evangelischen Kirchen in Deutschland und Österreich mussten ja im Nationalsozialismus erleben, wie anfällig für unchristliche Ideologien eine Kirche ohne verbindliche ökumenische Gemeinschaft wird. Ein Höhepunkt des ökumenischen Aufbruchs war 1948 die Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam. Gleichzeitig kam es aber auch zu einer Neubelebung des Konfessionalismus, besonders in den deutschen Landeskirchen.

Geschichte abgestreift

Es stellte sich die Frage: Wie steht es um die Unterschiede zwischen Lutheranern und Reformierten heute? Welche Rolle spielen die Lehrgegensätze des 16. Jahrhunderts noch? In einer Reihe von Gesprächen wurde ein Modell erarbeitet, das später auch auf das evangelisch-katholische Gespräch und die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" Anwendung fand: Die Lehrgegensätze der Geschichte treffen heute nicht mehr und haben daher keine kirchentrennende Bedeutung. So wurde der Weg frei, die Kirchengemeinschaft zwischen den Kirchen zu erklären.

Die Leuenberger Konkordie greift dazu auf eine Formulierung der Confessio Augustana zurück und formuliert: "Nach reformatorischer Einsicht ist darum zur wahren Einheit der Kirche die Übereinstimmung in der rechten Lehre des Evangeliums und in der rechten Verwaltung der Sakramente notwendig und ausreichend." (LK 2)

Österreichs Vorreiterrolle

Dieses gemeinsame Verständnis des Evangeliums wird in der Rechtfertigungsbotschaft als der "Botschaft von der freien Gnade Gottes" gesehen. Auf der Basis dieser Botschaft kommt es zu unterschiedlichen Lehrausprägungen und Bekenntnisbildungen. So ist es möglich, dass bekenntnisverschiedene Kirchen miteinander in Kirchengemeinschaft stehen. Die Konkordie formuliert das so: "Kirchengemeinschaft im Sinne dieser Konkordie bedeutet, dass Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes aufgrund der gewonnenen Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums einander Gemeinschaft an Wort und Sakrament gewähren und eine möglichst große Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst an der Welt anstreben." (LK 29)

Für Evangelische in Österreich war das nichts Neues. Die Gemeinschaft der Kirche A.B. und der Kirche H.B. in der Evangelischen Kirche A. und H.B. verdankt sich zwar weniger theologischer Überlegung als vielmehr politischem (kaiserlichem!) Willen und geschichtlicher Entwicklung, aber es bleibt Faktum: Hier leben zwei bekenntnisverschiedene Kirchen in voller Gemeinschaft miteinander, anerkennen die Ämter und feiern gemeinsam das Abendmahl. Der Wiener Theologe Wilhelm Dantine, einer der "Väter" der Leuenberger Konkordie, konnte glaubwürdig die immer wieder auftauchenden Zweifel, ob eine solche Kirchengemeinschaft lebbar wäre, durch das österreichische Beispiel ausräumen. In der Tat stellt die Leuenberger Kirchengemeinschaft ein funktionierendes und ökumenisch offenes Modell für sichtbare Gemeinschaft dar.

Von Anfang an war die Leuenberger Konkordie von kritischen Stimmen, vor allem aus den eigenen Reihen, begleitet. Da wurde von theologischem Minimalismus, von einer "Minimalökumene", einer "Ökumene im Rückwärtsgang" oder gar von einer bloß auf dem Papier stehenden "Ehe" zwischen verschiedenen Kirchen gesprochen.

Modell für Europa

Die Vollversammlungen der Leuenberger Kirchengemeinschaft 1994 in Wien und 2001 in Belfast zeigten aber: Sie versteht sich zunehmend als Forum für die vielen verschiedenen evangelischen Kirchen in Europa, die sich mit einer gemeinsamen Stimme im zusammenwachsenden Europa einbringen. So nimmt sie Herausforderungen politischer und gesellschaftlicher Entwicklung auf und bringt die reformatorische Position in die sozialethischen Auseinandersetzungen ein. Dabei bietet sie sich als Modell für Europa an, in dem Vielfalt positiv gesehen und erkannt wird, dass Einheit ("Konkordie") nur in "versöhnter Verschiedenheit" Gestalt gewinnt. Die Leuenberger Kirchengemeinschaft will ausgehend von der evangelischen Wertschätzung für synodale Entscheidungsprozesse auch auf europäischer Ebene das Parlament stärken, zur Wahlbeteiligung aufrufen und für größere Transparenz und Partizipation der politischen Strukturen eintreten. Dabei kann auf die Erfahrung des Protestantismus beim Aufbau der europäischen Zivilgesellschaften zurückverwiesen werden.

Auf diesem Hintergrund begleitet die Leuenberger Gemeinschaft auch die Arbeit des EU-Konvents und setzt sich dafür ein, dass in der Präambel einer künftigen EU Verfassung ein Hinweis auf die Bedeutung der Religion für Europa enthalten sein soll. Dieser Hinweis wird gemäß evangelischer Tradition vornehmlich als "Absage an eine Verabsolutierung der politischen Macht" verstanden. Für dieses Engagement im europäischen Kontext wird die Herausbildung übergreifender Strukturen immer mehr notwendig sein. Noch scheint die Zeit nicht reif für das Projekt einer Europäischen Evangelischen Synode, aber es gibt erste Ansätze von übergreifenden regionalen Kooperationen in diese Richtung.

Die Geschichte Leuenbergs ist ein Zeichen für die Lernfähigkeit und Veränderungsbereitschaft von Kirchen. Und dafür, dass Ökumene realisierbar ist.

Der Autor ist Oberkirchenrat der evang. Kirche A.B. in Österreich und Mitglied im Exekutivausschuss der Leuenberger Kirchengemeinschaft.

Am 16. März findet um 10 Uhr in der Reformierten Stadtkirche, Wien I., Dorotheerg. 16, ein Festgottesdienst "30 Jahre Leuenberger Kirchengemeinschaft" statt.

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