7113733-1996_07_15.jpg
Digital In Arbeit

Verzeihen wie der liebe Gott

19451960198020002020

Gast in einer Talkshow war kürzlich der Präsident des Weltverbandes der Psychotherapeuten, Alfred Pritz. Sein Eindruck: „Gekonnt gemacht".

19451960198020002020

Gast in einer Talkshow war kürzlich der Präsident des Weltverbandes der Psychotherapeuten, Alfred Pritz. Sein Eindruck: „Gekonnt gemacht".

Werbung
Werbung
Werbung

dieFurche: Wie beurteilen Sie als Psychotherapeut eine Talkshow wie „Schriinemakers live " in SAT1, in der Sie kürzlich zu Gast waren?

Alfred Pritz: Wer in so ein Studio kommt, ist einer gewissen hypnotischen Situation ausgesetzt. Alles ist ganz anders als im Alltag. Einerseits weiß man, daß da jetzt viele Leute zuschauen, andererseits wird man in gewisser Weise fixiert durch den Talkmaster. Es ist sehr schwer für jemanden, der das nicht geübt hat, sich zu verstehen. Die Talkmaster haben außerdem gelernt, mit ihren Gästen höchst einfühlsam zu reden, nämlich nie konfrontativ oder diffamierend, wie das bei politischen Gesprächen der Fall ist.

dieFurche: Gekonnt gemacht?

Pritz: Ja. Im deutschen Fernsehen sind Hans Meiser und Margarethe Schreinemakers große Begabungen. Die wären als Psychotherapeuten wirklich sehr gut. Ich denke mir oft, es ist unglaublich, wie die die Probleme aus den Menschen regelrecht herausstreicheln. Auch die österreichischen Talkmaster sind gut.

dieFurche: Was empfindet der Zuse-her vor dem Schirm?

Pritz: Man ist einfach verblüfft, was es so alles gibt im Alltagsleben. Es überhöht den „kleinen Mann", wenn er sieht, daß von nebenan der „kleine Mann" eigentlich mit denselben Problemen zu kämpfen hat wie er selbst. Manchesmal kann er sich erleichtert sagen: „Da bin ich aber besser dran!"

dieFurche: Was nützt ihm dieses Wissen? Er dreht den Fernseher ab und sein heben ist wieder so wie vorher.

Pritz: Diese erlebnisorientierten Talkshows bieten eine gewisse Abschalt- und Entspannungstherapie, die relativ leicht herstellbar ist per Knopfdruck. Sie erleichteren ihm das Leben insofern, als sehr viel Menschliches hereinkommt. Der Zuschauer wird auf einer Ebene angesprochen, die ihn in gewisser Weise zum Mitwirkenden werden lassen.

Das ist auch ganz stark bei Schreinemakers das Konzept. Da kommen pro Abend 50 Leute zu verschiedenen Themen, 90 Prozent davon sind Laiendarsteller. Dadurch erzeugt sie ein Klima der Kooperation. Nehmen Sie zum Beispiel im OBF den Walter Schiejok her: Dort wird oft der größte Unsinn präsentiert, aber der Schiejok gibt den Leuten immer das Gefühl, daß er das irgendwie schätzt.

dieFurche: Fiele befürchten den Verlust jeglicher Intimität.

Pritz: Das trifft ja nicht nur auf die Talkshows zu. Der Verlust der Intimität zeigt sich auch beispielsweise in der Medizin durch die Etablierung verbindlicher Diagnosesysteme mit riesigen Datenpools. Theoretisch könnte inan den gläsernen Menschen ja bereits machen. Man schiebt eine Chipkarte hinein und weiß alles, von den Harnsäurewerten bis zur Impotenz. Fernsehen ist ein Bestandteil des Lebens, des Wohnens, geworden. Die meisten Menschen sehen eine gewisse Zeit am Tag fern.

dieFurche: Ist das positiv?

Pritz: Positiv, negativ. Das ist immer so eine Sache. In Wahrheit verbringt man wohl sehr viel Zeit mit dem Fernsehen, und letztlich schaut nichts anderes dabei heraus, als daß man entspannt ist. Ich bin allerdings nicht so feindlich dem Fernsehen gegenüber eingestellt wie viele meiner Kollegen. Ich halte es auch für ein Lerninstrument. Es gibt neben der Unterhaltung auch viel Information.

dieFurche: W2s zeichnet einen guten Talkmaster aus?

Pritz: Die wirklich Guten müssen ein überdurchschnittliches Ausmaß an Einfühlungsvermögen aufweisen. Ständig müssen sie sich auf neue Themen einstellen, und zwar so, daß sie als Person überzeugend bleiben. Sie müssen ja nichts von der Sache verstehen, sondern nur als Person überzeugend bleiben. Gute Talkmaster kommen herein und man spürt, die haben eine Ausstrahlung.

dieFurche: Es wird doch oft: über die banalsten Dinge geredet.

Pritz: Man kann insofern nicht dagegen ankämpfen, weil diese 1 alkshows offensichtlich der menschlichen Natur entgegenkommen. Das Fernsehen verkauft etwas, was geschätzt wird. Das ist ein Faktum. Ich glaube, wir können die Auswirkungen dieser Entwicklung noch gar nicht richtig bewerten.

dieFurche: Wie sehen Sie den umstrittenen „FallFeneberg" kürzlich im ORF (siehe Seite W?

Pritz: Als Psychotherapeut bin ich kein Moralist, ich versuche nur zu verstehen, was es gibt. Mir persönlich ging das zu weit.

dieFurche: War die Show ein Fehler?

Pritz: Ich finde, man sollte öffentliche Einrichtungen wie das Justizwesen nicht unter einen Glassturz stellen. Auch dort gibt es Mißbrauch. Problematisch wäre es, wenn man sich nicht mehr an die Gesetze hielte. Aber das traf ja nicht zu. Es ging nur darum, den Fall zu problematisieren. Da hätte ich bei keiner Institution ein Problem. Ich finde, man sollte auch zum Justizwesen einen unbefangeneren Zugang finden.

dieFurche: Wie sehen Sie diese Art von Voyeurismus, mit dem das Fernsehen ganz bewußt kalkuliert?

Pritz: Ich sehe schon, daß vor allem durch das Fernsehen Schamgrenzen herabgesetzt und voyeuristische Neigungen verstärkt werden. Das passiert aber nicht nur in Talkshows, sondern zum Beispiel auch bei der Kriegsbe richterstättung. Unlängst hat man bei einem Bericht aus Tschetschenien verkohlte Leichen gesehen. So etwas gehört für mich auch zum Verlust jeglicher Intimität.

dieFurche: Trotzdem drehen die Leute den Fernseher nicht ab.

Pritz: Ich glaube, daß die Menschen autonomer sind, als wir ihnen zugestehen. Wenn es ihnen zu viel wird, werden sie auch irgendwann einen Aufstand gegen das Fernsehen machen.

dieFurche: Gibt es andere Einschätzungen bei Ihren Kollegen?

Pritz: Ja, es gibt welche, die sagen, das Fernsehen sei ganz verderblich und entmündige letzlich die Menschen. Ich sehe das nicht, obwohl natürlich gewisse Gefahren da sind.

dieFurche: Talkmastergelten ja auch bereits als die neuen „Beichtväter" der Gesellschaft Wo ist der Unterschied beim Eingeständnis einer menschlichen Schwäche bei Ihnen auf der Couch, bei einem Talkmaster oder einem Priester?

Pritz: In einer Fernsehshow wird einem Menschen vergeben vom „lieben Gott" Talkmaster. Meist wird dort ein Problem auf einen niedrigem Niveau reflektiert. Verschiedene Stimmen kommen zu Wort, behandeln diesen Fall, sagen ihre Meinungen. So entsteht ein mehrdimensionales Bild. Das Ganze ist eine Art öffentliche Beichte, wie es im Urchristentum üblich war, und bei manchen Religionsgemeinschaften noch heute üblich ist.

dieFurche: In solchen Gemeinschaften wußte man wenigstens, mit wem man es zu tun hat Im Fernsehen liefert man sich einem unbekannten Publikum aus.

Pritz: Im Fernsehen wissen Sie auch, mit wem Sie es zu tun haben. Die Talkmaster kümmern sich rührend um die Gäste. Die ganze Redaktionsmannschaft schaut darauf, daß eine gute Stimmung entsteht. Denn sonst verkrampft sich der „Sündige" .und kommt vielleicht nicht zur „Beichte", weil er sich schämt oder geniert. Früher war eben zum Schutz der Scham ein Gitter zwischen Beichtvater und dem reuigen Sünder. Jetzt ist sozusagen ein „Psychomassageunterneh-men" vorgeschaltet. Die Bedakteure reden mit dem Gast, es gibt ein großes Büffet für alle, von dem man sich ständig etwas nehmen kann.

dieFurche: Im Fernsehen wird der „Sünder" aber letztlichfallengelassen, er hat ja nur eine Aufgabe zu erfüllen.

Pritz: Bichtig. Das müßte einmal untersucht werden. Aber Sie dürfen nicht vergessen, daß es trotzdem so etwas wie ein Aufgehobensein bedeutet, bei so einer Show mitzumachen oder zuzusehen. Die Schreinemakers gibt allen eine Flasche Sekt mit dem Etikett „Schreinemakers live". Den kann man sich dann auf den Wohnzimmerschrank stellen und jeder sieht, aha, der war auch schon dort.

dieFurche: Zu Frau Schreinemakers kann ich nur einmal kommen, bei Ihnen kann ich mich jede Woche auf die Couch legen, und Beichtstühle sind auch immer offen.

Pritz: Man kann die Show jedeWo-che wieder sehen. Zum Pfarrer kann ich auch nicht immer gehen, in der Begel nur einmal in der Woche.

Das Gespräch

führte Elfi Thiemer.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung