Viel mehr als nur ein Deutschkurs

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Es gibt zu wenige Deutschkurse für Flüchtlinge. Dass dieses Problem nur die Spitze des Eisbergs ist, zeigt ein Besuch im Lerncafé der Caritas.

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Es gibt zu wenige Deutschkurse für Flüchtlinge. Dass dieses Problem nur die Spitze des Eisbergs ist, zeigt ein Besuch im Lerncafé der Caritas.

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Gerechtigkeit für alle Menschen, Lernen, Geld, Arbeit, Freunde, Sport, Musik, Malen", schreibt Farid Noori rund um das eingeringelte Wort "Ich" mit einem Filzstift auf sein Plakat. "Im Iran ist Gerechtigkeit ein großes Problem", erzählt der 20-jährige Afghane mit leiser Stimme. "Dort hast du als afghanischer Flüchtling viele Probleme." Noori schaffte es als einziger seiner Familie, nach Europa zu kommen. Zwei Jahre lang war er alleine unterwegs. Er spricht bereits gut Deutsch, hat schon mehrere Kurse besucht. Auf den aktuellen Basisbildungs-Kurs der Caritas musste Noori vier Monate lang warten. Der junge Flüchtling ist von einem Kursanbieter in Wien zum nächsten getingelt - ohne Erfolg. Die Kurse sind überfüllt, die Wartelisten lang. Solange er nur Asylwerber-Status hatte, wurde er vertröstet.

Seit zwei Monaten gilt Noori als subsidiär Schutzberechtigter. Das heißt, dass sein Asylantrag abgewiesen wurde, er aber nicht in seine Heimat abgeschoben werden darf. Nun hat er endlich einen Kursplatz erhalten. Der "Baleh"-Kurs - was auf Persisch "ja" bedeutet - richtet sich speziell an unbegleitete Jugendliche zwischen 15 und 20 Jahren, die in ihren Herkunftsländern keine oder nur wenig Schulbildung erhalten haben.

Der Caritas-Kurs wird nur durch Spenden finanziert. Er findet viermal die Woche für jeweils drei Stunden statt - im Vorjahr waren es noch vier Wochenstunden mehr. Auch für die Pädagoginnen ist die Situation prekär: Ihr Gehalt wird ebenfalls aus Spenden bezahlt. Wenn der dreimonatige Kurs zu Ende geht, ist die Kursleiterin Regine Rebernig-Ahamer wieder arbeitslos. Dabei sollte das Bildungsangebot permanent bestehen - idealerweise parallel auf verschiedenen Niveaus. "Gerade bei diesen Jugendlichen wäre es so wichtig, dass sie nicht nur daheim sitzen, sondern kontinuierlich betreut werden", betont Rebernig-Ahamer. Wenn die Kurse über längere Zeit laufen, bauen die Jugendlichen ein Vertrauensverhältnis zu den Trainerinnen und Kollegen auf. "Diese Vertrauensbasis ermöglicht erst das Lernen."

Zu lange Wartezeiten

Schon seit Jahren mangelt es an Kursplätzen in ausreichender Qualität, verschärft seit Jahresbeginn 2015. Derzeit gibt es bei den Caritas-Deutschkursen wie auch bei den anderen Anbieter-Organisationen eine Aufnahmesperre. "Der Rückstau ist bei den unbegleiteten Minderjährigen am größten, wo es besonders wichtig wäre, rasch zu helfen", sagt Karl Bader, Leiter des Caritas-Bildungszentrums. Denn bei dieser Gruppe bestehe noch die Chance, sie rechtzeitig für das Leben in Österreich und für den heimischen Arbeitsmarkt fit zu machen. Jedes Flüchtlingskind müsse ab dem ersten Tag in Österreich die Schule besuchen können, fordert Caritas-Präsident Michael Landau.

Die Ursachen für die langen Wartezeiten bei den Deutschkursen sind einerseits mehr Flüchtlinge im Land, andererseits aber auch Kürzungen bei den Deutschkursen des AMS. Dieses bezahlt fast drei Viertel aller Deutschkurse für Flüchtlinge, denn erst nach Absolvierung eines solchen Kurses dürfen Flüchtlinge Arbeit suchen. Vergangene Woche haben das Sozial-, das Innen- und das Integrationsministerium zusätzliche Deutschkursplätze für 7300 Flüchtlinge angekündigt. Vor allem anerkannte Asylanten aus Syrien sollen einen Platz erhalten. Karl Bader zeigt sich skeptisch: "Ich bin aus Erfahrung vorsichtig geworden und daher gespannt, ob die Regierung tatsächlich zusätzliche Angebote schafft."

In den Medien ist meist nur von "Deutschkursen" die Rede, aber viele Flüchtlinge, auch Erwachsene, haben nie eine Schule besucht. Um sich hier eingliedern zu können, brauchen sie mehr als nur Deutschkurse: Sie müssen lernen, einen Kalender zu führen, einen Computer zu bedienen, einen Stadtplan zu lesen. "Unsere Burschen sollten so lange wie möglich Bildung erhalten, bevor sie arbeiten", meint Rebernig-Ahamer. Ideal wäre eine Verbindung von praktischer Arbeit und Lernen, also der Kursbesuch am Vormittag und eine praktische Arbeit in einer Werkstätte oder einem Betrieb am Nachmittag. Denn das Lernen fällt vielen Burschen im Kurs - fast alle unbegleiteten Minderjährigen sind männlich - schwer. Sie können sich schlecht konzentrieren, sind müde, klagen über Kopfweh.

"Ihr Leben ist so unruhig", erkärt Rebernig-Ahamer. "Manche sind voller Traumata, leiden unter Depressionen und werden psychologisch betreut." Mit dem 18. Geburtstag fallen sie allerdings aus der Jugend-Therapie heraus und werden auf eine Warteliste für die Erwachsenen-Therapie gesetzt.

Auch Nooris Leben in Österreich ist noch komplizierter geworden, seit er volljährig ist. Er musste aus der betreuten Wohngemeinschaft für Minderjährige ausziehen und sich selbst eine Unterkunft suchen. "Wenn die Burschen dann auf Wohnungssuche sind, kommen sie manchmal nicht in den Kurs", berichtet Rebernig. Sie sind dann auf Sozialarbeiter angewiesen, die ihnen zeigen, wie man um Sozialgeld ansucht oder sich beim AMS meldet. Nun lebt Noori in einer Fünfer-WG und teilt sich sein Zimmer mit einem Mitbewohner. Das Lernen dort fällt ihm schwer. Es fehlt ihm an Platz und Ruhe. "Ständig kocht wer, der Fernseher läuft oder jemand will schlafen", erzählt er.

Laut der 2013 veröffentlichten UNHCR-Studie "Integration von Flüchtlingen in Österreich - fördernde und hemmende Faktoren" sind Flüchtlinge hierzulande speziellen Integrationshürden ausgesetzt: Als besonders schwierig gilt die Übergangssituation vom Asylsuchenden zum anerkannten Flüchtling: Viele Möglichkeiten, wie das Recht auf Arbeit oder der Zugang zu Sprachkursen und Wohnraum, eröffnen sich erst zu diesem Zeitpunkt (siehe rechts).

Hilfe in allen Lebenslagen

Rebernig-Ahamer versucht ihre Schüler in sämtlichen Lebensbereichen ein wenig zu stärken: "Wir raten ihnen, in der Freizeit Sport zu machen, spazieren zu gehen, keinen Alkohol zu trinken, nicht zu rauchen." Die Arbeit ist für sie emotional sehr anstrengend: "Ich muss einerseits sehr eingehen auf die Jugendlichen, mich aber andererseits abgrenzen und kann mir ihre Schicksale nicht so zu Herzen nehmen", erklärt sie. Am liebsten würde sie jeden einzeln betreuen. Durch ihre beiden Söhne im selben Alter hat sie immer den direkten Vergleich vor Augen, welche Möglichkeiten ihre Kinder haben und wie wenig Chancen diesen Burschen geboten werden.

Die meisten haben nie eine Schule besucht - oder wurden dort geschlagen und sind einfach nicht mehr hingegangen. Sie seien zwar disziplinierter als österreichische Schüler, "so gedrillt und brav", aber kritisch zu hinterfragen oder zu reflektieren müssten sie erst lernen. Ihnen das auf Deutsch zu vermitteln, sei nicht einfach. "Da arbeite ich viel auf der Gefühlsebene und mit Pantomime", erklärt die Pädagogin.

In sechs Wochen ist der "Baleh"-Kurs für Noori und seine Kollegen schon wieder vorbei. Ob und wann es weitergehen kann, ist unklar. Im Kurs hat der junge Afghane Freunde gefunden: Mohammad aus Baghdad und Isaak aus Somalia. Nooris Ziel ist es, Elektriker zu werden. "Das hat mir mein Vater beigebracht", erzählt er. Bis zum eigenen Job ist es für ihn noch ein weiter Weg. Zuerst muss Noori den Schulabschluss nachholen, dann einen Lehrplatz finden. Mit über 20 Jahren keine einfache Aufgabe.

Spendenhinweis:

Basisbildungskurse der Caritas

BIC: RZBAATWW

IBAN: AT16 3100 0004 0405 0050, Kennwort: Baleh.

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