Vielfacher Kampf UM FREIHEIT

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Dass die Reformation vor 500 Jahren erfolgreich war, hat viele Gründe. Einiges davon kulminiert im schleswig-holsteinischen Friedrichstadt.

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Dass die Reformation vor 500 Jahren erfolgreich war, hat viele Gründe. Einiges davon kulminiert im schleswig-holsteinischen Friedrichstadt.

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Aus Luthers Stube auf der Wartburg blickt man auf einen weiten Horizont. Grüne Baumwipfel fast bis zum Horizont, eine offene Landschaft. Hier übersetzte der "Junker Jörg" 1521 in knapp sechs Wochen das Neue Testament ins Deutsche. Die Worte und Metaphern, die er dafür fand, sind selbstverständlicher Bestandteil heutiger Sprache: unter anderem Lockvogel, auf Sand bauen, Dickkopf, plappern, Gewissensbisse, Machtwort, selbst Beruf sind Luther'scher Prägung. Trotz eindrucksvollem Ausblick war die Stube mit dem großen Kachelofen eine Art Schutzhaft. Nach seinem Auftritt vor dem Reichstag zu Worms im April, auf dem er als vogelfrei erklärt wurde, hatte ihn sein Landesherr Kurfürst Friedrich der Weise pro forma gekidnappt und auf der Wartburg bis zum März 1522 festgesetzt.

Den nachgebauten Wagen - ohne Federung! - kann man hier beim Eintritt in die große Luther-Ausstellung bewundern. In gut abgedunkelten Glaskästen liegen die Dokumente, die Luther zur historischen Symbolgestalt werden ließen: seine Thesen, die sich durch Buchdruck - zur Freude der Drucker -rasch verbreiteten (der Anschlag an der Schlosskirche zu Wittenberg ist wohl Legende), die Bulle mit der Androhung des Banns; dann aber auch Dokumente der Verhandlung zwischen den einzelnen Gruppen der Reformatoren, ebenso Artefakte, die Luthers Erbe in Deutschland bis in die Gegenwart dokumentieren.

Dass Luther überlebte und zu einem der historisch einflussreichsten Intellektuellen wurde, lag auch an den ökonomischen Erwägungen seines Landesherren, der im Doktor Luther eine wichtige Attraktion für seine eben gegründete Universität in Wittenberg sah. Sonst hätte Luther wohl dasselbe Schicksal wie Ján Hus, John Wyclif und viele andere erlitten, die vor ihm für eine Emanzipation der Gläubigen eingetreten waren.

Landesherr als Hüter des jeweiligen Glaubens

Luther als deutsche Symbolfigur: Dazu gehört auch sein Antisemitismus, der sich gut mit dem Nationalsozialismus vertrug. Die Geschichte des Protestantismus ist ambivalent, dies macht auch die Ausstellung im Berliner Gropius-Bau deutlich, in der man die globale Ausbreitung -vorwiegend getragen durch Pietisten -verfolgen kann. Auch wird man hier mit der Unduldsamkeit konfrontiert, die das Zeitalter der Reformation prägt.

Die Landesherren waren die Hüter des jeweils wahren Glaubens. In den nordischen Staaten wurde daher jede Abweichung vom rechten lutheranischen Glauben geahndet, ebenso in den deutschen Kleinstaaten. Hier konnte die Wahrheit aber je nach Landesherren katholisch oder evangelisch sein. In den österreichischen Landen waren große Teile der Bevölkerung evangelisch geworden, mussten aber später zum Katholizismus rückkonvertieren, auswandern oder straffällig werden.

Intolerant war man auch in der calvinistischen Republik der Vereinigten Niederlande. Hier kritisierten Theologen -als "Remonstranten" bezeichnet -die strikte Prädestinationslehre Calvins, konnten sich aber bei der Dordrechter Synode 1618 nicht durchsetzen. Wichtige Vertreter der Remonstranten wurden hingerichtet oder ins Gefängnis gesteckt (etwa der Begründer des Völkerrechts Hugo Grotius) und ihre religiösen Ansichten verboten. Auf der Suche nach einem möglichen Exil kam ihnen der Ehrgeiz von Schleswig-Holsteins Fürst Friedrich III. zu Hilfe. Der wollte als Konkurrenz zu Hamburg eine Handelsstadt begründen. Um Bürger für diese Stadt zu gewinnen, versprach er den Remonstranten Religionsfreiheit und Selbständigkeit der Verwaltung. Trotz des Widerstands seiner Mutter, die strikt lutheranisch war, setzte der junge Herzog das Projekt durch. 1622 standen die ersten Häuser und Friedrichstadt wurde zu einer Insel der Toleranz in einer religiös intoleranten Gesellschaft.

Die Remonstranten unterstützten die Ansiedlung von anderen verfolgten reformatorischen Gruppen wie den Mennoniten und später den Quäkern. Schwieriger war die Niederlassung von aus Spanien vertriebenen Juden wegen Drohungen von Seiten der spanischen Krone und auch, weil sie anfangs nicht in das Ökonomie-Konzept des Fürsten passten.

Diverse theologische Konzepte

Friedrichstadt blieb bis ins 20. Jahrhundert eine "Stadt der Toleranz". Das lag wesentlich an den Remonstranten, die die Freiheit des Menschen nicht nur gegen die Prädestinationslehre betonten, sondern auch gegen Kirchenzucht und Obrigkeit. Frauen dürfen predigen, Kinder werden "in die Christenheit" getauft, mit der Option, sich später für eine christliche Konfession zu entscheiden. Davon gab es in Friedrichstadt sechs - neben den Remonstranten lebten in der Stadt Mennoniten, Quäker, Lutheraner, Katholiken und für kurze Zeit auch die Polnischen Brüder (später Unitarier).

Die theologischen Konzepte waren höchst divers -Kindertaufe ja oder nein, Gewaltfreiheit ja oder nein, Eide schwören ja oder nein usw. Solche theologischen Dispute führten zu blutigen Gemetzeln, doch in der Stadtgeschichte von Friedrichstadt spielten sie kaum eine Rolle. Es ging um Geld und Status, aber nicht um Theologie. Heikel war etwa, ob für die Armen der Stadt nur deren religiöse Gemeinschaft oder alle Bürger zuständig waren; oder ob eine Eheschließung wie vorgesehen vom Magistrat oder nur in der jeweiligen Kirche erfolgen sollte, und wer dafür bezahlt wurde. Auf dem Friedhof der Remonstranten wurden zunächst alle begraben, doch verlangten die Remonstranten Begräbnisgebühr, weswegen die Mennoniten später bei ihrer Kirche einen eigenen Friedhof anlegten, um keine Gebühr zu bezahlen.

Es war das gelungene Zusammenspiel von ökonomischen Interessen und religiöser Toleranz, das in Friedrichstadt einen Raum für die Aushandlung eines friedlichen Zusammenlebens der Religionen eröffnete. Der Dreißigjährige Krieg verhinderte den Aufstieg zur Handelsmetropole. Damals wie heute leben rund 2500 Menschen in Friedrichstadt.

Heute ist die Mehrheit protestantisch, die Remonstrantengemeinde zählt 185 Gläubige, die der Mennoniten 30, Katholiken gibt es circa 120. Die "Stadt der Toleranz" ist heute Touristenziel. Ihre Geschichte zeigt, dass das Zusammen von religiöser Diversität und bürgerlicher säkularer Freiheit eine Stadt lebenswert macht.

Wörter wie Lockvogel, auf Sand bauen, Dickkopf, plappern, Gewissensbisse, Machtwort, selbst Beruf sind Luther'scher Prägung.

Friedrichstadt blieb Toleranzstadt. Das lag an den Remonstranten, die die Freiheit des Menschen nicht nur gegen die Prädestinationslehre betonten, sondern auch gegen Kirchenzucht und Obrigkeit.

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