Die „Pillen“-Enzyklika „Humanae vitae“ und ihre Folgen. Eine mehr als nüchterne Bestandsaufnahme.
Der dieswöchige 40. Jahrestag der Enzyklika „Humanae vitae“ lockt wenige hinter dem Ofen hervor. Das liegt kaum daran, dass die Katholiken im Lande nun voll hinter den kirchlichen Normen zur Sexualmoral stehen würden. Wie in vielen anderen Weltgegenden war auch hierzulande das Verbot so genannter „künstlicher“ Mittel zur Empfängnisverhütung der Beginn einer großen Entfremdung zwischen Kirchenleitung und Basis. Wahrscheinlich gibt es kaum ein anderes Gebiet, bei dem „unten“ so auf die Meinung von „oben“ pfeift.
Das ist verheerend für die Autorität des Lehramtes, das der Papst ja über die Gläubigen ausüben will. Denn eine Lehre, die weitgehend ignoriert wird, hat ihren Lebensbezug und eigentlich ihre Legitimation verloren. Eine kaum zu überbrückende Kluft hat sich aufgetan: Hier die absolute Normen verlangende Kirchenleitung, dort das „Volk“, das ganz anders lebt.
Was verheerend für die Autorität ist, muss aber gar nicht verheerend für die Menschen sein: Das Ignorieren mancher Sexualnormen kann auch als Akt der Befreiung gelten. Jahrhunderte lang war die Herrschaft über die Sexualität auch eine Herrschaft über die Menschen. Man muss froh sein, dass die Bigotterie einer Institution überwunden wurde, die hier offenkundig war; man muss froh sein, dass diese Institution den Menschen nicht mehr alles als „Sünde“ einreden kann.
Weise Kirchenmänner haben auch nach „Humanae vitae“ ihren Schäfchen Wege gewiesen und Türen geöffnet. Die österreichischen Bischöfe etwa haben 1968 in einem seither nicht mehr erreichten Akt von Mut gegen Rom in der „Mariatroster Erklärung“ festgestellt: Wenn jemand aus seiner Gewissensentscheidung heraus glaubt, auch gegen den Papst stehen zu müssen, so hat die Kirche dies zu akzeptieren. Diese Befreiung, zur persönlichen Gewissensentscheidung zu stehen, aber trotzdem in der Kirche bleiben und sich ihr zugehörig fühlen zu können, ist von vielen wahrgenommen worden.
Dennoch ist das „Gute“ am Autoritätsverlust der Zentrale enden wollend. Denn es scheint unbestreitbar, dass auch wegen der Kluft zwischen rigorosen Moralnormen oben und der Lebenswirklichkeit unten viele der Kirche den Rücken gekehrt haben. Mag ja sein, dass der gegenwärtige Papst aus der Erkenntnis dieser Tatsache weniger mit dem moralischen Zeigefinger denn als Werber auftritt. Doch die Botschaft selbst hat er um keinen Deut verändert.
Dabei gäbe es genug Bedarf an Orientierung über gelingende Beziehung, reife Sexualität und lebbare Alternativen in einer Gesellschaft, die bald mehr von gescheiterten denn von gelingenden Beziehungen geprägt scheint. Wer aber traut der Kirche die Kompetenz zu, solche Orientierung zu bieten?
Schließlich hat dieser Autoritäts- und Kompetenzverlust der katholischen Kirchenleitung noch eine düstere Kehrseite, die dem Papst auch bei seiner jüngsten Reise nach Australien entgegen gehalten wurde: Das Problem des sexuellen Missbauchs durch Gottes Bodenpersonal ist ja nur der tragische Beweis dafür, wie sehr gerade für die Kirche ein integrativer, lebbarer Zugang zur Sexualität nottut. Österreich war hierbei ja trauriger Vorreiter: Aber die „Affäre Groër“ wurde nur halbherzig bereinigt, und nach dem Tod des beschuldigten Kardinals wähnten allzu viele, dass längst genug Gras darüber gewachsen ist. In den USA gingen im Gefolge ähnlicher Fälle ganze Diözesen praktisch bankrott, in Australien fand Benedikt XVI. jetzt immerhin klare Worte zu dem, was jungen Menschen von Männern der Kirche angetan wurde.
1968 haben sich viele Katholiken (wahrscheinlich auch die Mehrheit der Bischöfe) eine andere päpstliche Position zur Empfängnisverhütung erhofft. Bekanntlich ist die Kirche seit damals in alte Fahrwasser zurückgesegelt. Und viele im „pilgernden Gottesvolk“ (mit diesem Bild beschrieb das Konzil bekanntlich die Kirche) erfahren sich seither als nicht richtig geleitet.
Vor 40 Jahren holte sich Paul VI. Rat bei Wissenschaftern und Praktikern (und hielt sich leider nicht an deren Empfehlungen). Heute hingegen scheint innerhalb der Kirche – ob lokal oder global – eine Kontroverse, ein Dialog zu den brennenden Fragen der Sexualität kaum noch möglich zu sein.
Auf diese Weise wird die Kluft zwischen den Normen von oben und der Praxis unten aber nicht verringert werden können.
otto.friedrich@furche.at
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