Vietnamesin als Bürgermeisterin

19451960198020002020

Die australische Politik hat der kulturellen Vielfalt des Landes Rechnung getragen - aus sozialen, ökonomischen und kulturellen Gründen.

19451960198020002020

Die australische Politik hat der kulturellen Vielfalt des Landes Rechnung getragen - aus sozialen, ökonomischen und kulturellen Gründen.

Werbung
Werbung
Werbung

Vor 210 Jahren, am 26. Jänner 1788, hat die systematische Kolonialisierung Australiens durch England begonnen. Die Vereinigung der sechs Kolonien im Jahr 1901 bedeutete den Beginn der "White Australia Policy". Verschiedene Einwanderungswellen haben die Zusammensetzung der Bevölkerung stark verändert. Seit den siebziger Jahren versteht sich Australien als multikulturelle Gesellschaft. Von diesem Modell könnte nicht nur Österreich lernen.

Der aus der Nähe von Regensburg stammende Pallottiner Johannes Jobst war 38 Jahre Bischof in Broome im Nordosten von Australien. Er beschreibt eine bunte ethnische Vielfalt: Japanische Taucher haben die Perlenindustrie aufgebaut, Chinesen den Handel organisiert, Indonesier und Malayen auf den Schiffen gearbeitet, Philippinos betätigten sich als Bauleute, und weiße Australier haben das Ganze geleitet.

Am anderen Ende des Kontinents, in Brisbane, der Hauptstadt von Queensland, ist der bekannte Romancier David Malouf aufgewachsen. In seiner Familie sind unterschiedliche Kulturen zusammengetroffen: "Meine Mutter war Engländerin. Ihre Familie hatte 1912 das ganze Geld verloren. Deswegen sind sie nach Australien gekommen. Mein Vater wurde in Australien geboren, und alle seine Geschwister auch. Mit den Einwanderern seiner Generation ist folgendes geschehen: Man hat sich assimiliert und wurde möglichst schnell so australisch wie nur möglich. Seine Familie ist aus dem Libanon gekommen, sie waren Melkiten. Und weil es in Brisbane natürlich keine melkitische Kirche gab, wurden alle Kinder in die örtliche römisch-katholische Kirche geschickt und von Nonnen erzogen. Alle Katholiken in Australien waren irisch, und so wurden sie richtige irische Australier. Sie waren in gewisser Hinsicht mehr irisch als libanesisch. Ich weiß nicht, ob mein Vater überhaupt Arabisch verstanden hat; er muß es wohl haben, denn er ist in einem Haus aufgewachsen, wo beide Elternteile arabisch gesprochen haben. Er selbst hat aber sicher nie ein Wort arabisch gesprochen. Er hat das alles komplett abgelegt. Und das ist eben typisch, wie sich die Australier der ersten Generation zu dieser Zeit verhalten haben."

Vom Assimilierungsdruck bis zur bewußten Multikulturalität am Beginn der siebziger Jahre war es ein weiter Weg. Eine Schlüsselfunktion kommt dabei dem Verhältnis zu England zu. Als Australien gegenüber dem britischen Mutterland eine eigene Identität entwickelte, war gerade diese Multikulturalität das entscheidende Merkmal. Lee Pookong, Direktor des "Institute for Asia-Pazific Studies" an der Universität Melbourne, sieht im Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Gemeinschaft (1973) einen wichtigen Anstoß zu diesem Prozeß: Australien mußte nämlich nach neuen Märkten Ausschau halten. Als noch wichtigeren Faktor spricht er das Wirtschaftswachstums Asiens und die Handelsbeziehung Australiens zu seinen Nachbarn an: "Jetzt gehen mehr als 60 Prozent des australischen Exports nach Asien; und ca. 40 Prozent der Einwanderer kommen aus Asien. Etwa 80 Prozent des Bildungsexportes gehen nach Asien, und 60 Prozent des internationalen Tourismusmarktes kommen aus Asien. Diese Fakten haben es mit sich gebracht, daß Australien seine Position neu definiert hat. Diese Anpassung und Neudefinition ereigneten sich auf sehr rigorose Weise unter der vorigen Labour-Regierung."

Bildungsindustrie Die derzeitige liberal-nationale Koalitionsregierung hat hingegen erklärt, sie wolle die traditionellen Verbindungen Australiens zu Europa und auch zu Amerika verstärken. Deshalb gibt es auch seit den Wahlen im Jahr 1996 Irritationen bei den asiatischen Nachbarn. Die neue Regierung hat unter anderem den Sender "Radio Australia" eingestellt, der in Asien als Möglichkeit, Englisch zu lernen und unzensurierte Nachrichten zu hören, sehr populär war.

Bildungsmöglichkeiten werden für Asien aber weiterhin zur Verfügung gestellt, denn das bringt Geld. Ganz offen spricht man heute in Australien von der "educational industry". Lee Pookong weist darauf hin, daß sie noch von der Labour-Regierung zur Zeit einer wirtschaftlichen Rezession aufgebaut wurde: "Das Bildungssystem wurde als ein Bereich angesehen, wo Australien einen großen Vorsprung im Vergleich zu seinen asiatischen Nachbarn hat. Dabei spielt eine große Rolle, daß Australien ein englischsprachiges Land ist; viele Menschen aus Asien halten nach einer Erziehung in Englisch Ausschau. In den achtziger Jahren war Australien auch noch relativ billig. Mittlerweile sind die Studiengebühren stark gestiegen."

Derzeit ist das Erziehungssystem jedenfalls ein großer Industriezweig; Studenten werden für die Universitäten requiriert, aber sogar für Mittel- und Grundschulen. Diese Entwicklungen haben die Beziehungen Australiens zu Asien in mehrfacher Hinsicht verändert.

44 Sprachen Die kulturelle Vielfalt innerhalb Australiens hat die Volkszählung 1996 bestätigt: Sie hat 44 Sprachen ausgewiesen, die von größeren Gemeinschaften gesprochen werden. Italienisch, Griechisch, Kantonesisch, Arabisch, Vietnamesisch und Deutsch - so lautet (mit starken regionalen Unterschieden) die Reihenfolge der wichtigsten Sprachen neben Englisch. Die Politik hat dem Rechnung getragen. 1987 wurde von der Regierung ein Dokument über Sprachenpolitik verabschiedet, das von vier Leitprinzipien ausgeht: Jeder soll Zugang zur englischen Sprache haben. Eingeborenensprachen sollen erhalten bleiben. Dienstleistungen sollen in Einwanderer- und Eingeborenensprachen zur Verfügung stehen. Und man soll Gelegenheit haben, möglichst viele Sprachen außer Englisch zu lernen.

Das Dokument nennt auch die Motive dafür: soziale Gleichheit, wirtschaftliche Strategien und kulturelle Bereicherung; Mehrsprachigkeit wird als wichtige Ressource des Landes angesehen.

Das hat praktische Konsequenzen: Kostenloser Englischunterricht für Einwanderer ist selbstverständlich, ein Dolmetscherdienst, der etwa vom Mechaniker oder vom Arzt aus angerufen werden kann, steht in 90 Sprachen zur Verfügung und ist mittlerweile so erfolgreich, daß er in der australischen Nacht auch von Großbritannien verwendet wird. Mehrsprachiger Unterricht und multilinguale Radio- und Fernsehsender sind gut eingeführt. Sehr erfolgreich ist eine Fernsehstation, die Filme in Originalsprachen mit englischen Untertiteln zeigt.

Verändert hat sich aber auch das australische Englisch, das oft ähnlich wie das österreichische Deutsch als Abweichung vom Standard angesehen wurde. Die australischen Radiosender haben früher ihre Nachrichtensprecher gezwungen, britisches Englisch zu verwenden. Heute, sagt der Linguist Michael Clyne von der Monash-Universität in Melbourne, haben auch die Kultureliten australisches Englisch als Standard. Und dieser Prozeß hat sich parallel zur Anerkennung des Multikulturalismus vollzogen.

Multikulturalismus ist für Michael Clyne heute ein fester Bestandteil der australischen Identität. Der Zweisprachige fühlt sich gegenüber dem Monokulturalen nicht minderwertig, und daß sich jemand auf Englisch nicht verständigen kann, kommt praktisch kaum vor.

Zur australischen Kultur gehören auch Mechanismen dafür, daß Gruppen mit unterschiedlichen Werten und unterschiedlichem Verhalten zusammenkommen können. Dadurch sind aggressive Zusammenstöße relativ selten.

Daß in letzter Zeit wieder das Bild von einem rassistischen Australien hochkam, hat mit der Politikerin Pauline Hanson zu tun. Sie wurde zwar wegen ihrer extremen Ansichten über die Aborigines und über asiatische Einwanderer aus der liberalen Regierungspartei ausgeschlossen, erhielt aber als Unabhängige beträchtliche Unterstützung und internationale Aufmerksamkeit. In Asien ist sie bekannter als der australische Prime Minister, und auch in Österreich haben Medien über sie berichtet, in denen vorher jahrelang nichts von Australien zu lesen war. Dennoch: Pauline Hanson repräsentiert keine Partei und auch nicht das allgemeine politische oder gesellschaftliche Klima.

Österreich - Australien Michael Clyne, dem Multikulturalität aus eigener Lebenserfahrung ein Anliegen ist - sein Vater war Österreicher, die Mutter Ungarin - sieht einen entscheidenden Unterschied zwischen Österreich und Australien: "Ich merke, daß in Österreich oder in Deutschland die Politiker der großen Parteien das Wort Multikulturalismus nur sehr vorsichtig in den Mund nehmen, während es in Australien keinen gibt, der sagen würde, daß es in diesem Land keine kulturelle Vielfalt geben soll."

Natürlich ist auch das keine Garantie gegen alle Probleme. So sind etwa die meisten vietnamesischen Einwanderer in Melbourne noch immer im Westen der Stadt konzentriert, wo sie schlechtere Aussichten auf Arbeit haben. Der Unterschied zu Österreich: Dort hat eine Vietnamesin das Amt des Bürgermeisters inne.

Der Autor hat zu diesem Thema am 13. Jänner 1998 eine Sendung im Rahmen der Sendereihe "Nova" gestaltet. Eine Kassette der Sendung kann beim Hörerservice des ORF, 1040 Wien, Argentinierstraße 30a, bestellt werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung