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Eindrücke von Europas erster Imame-Konferenz, die in der Kulturhauptstadt Graz stattfand (vgl. auch Seite 1 dieser Furche).

Es sei eine "mittelalterliche Einteilung", die islamische Welt als "Haus des Islam" und die nichtislamischen Länder als "Haus des Krieges" zu sehen. Solche Einteilung müsse beendet werden: Diese steile Vorlage gab Anas Schakfeh, Präsident von Österreichs islamischer Glaubensgemeinschaft letztes Wochenende in Graz den über 100 versammelten Imamen und Leitern islamischer Zentren Europas. In der Schlusserklärung der ersten Zusammenkunft dieser Art in Europa fand sich Schakfehs Anliegen klar wieder: "Die mittelalterliche Einteilung in eine Welt der Gegensätze von Dar al-islam - Haus des Islam' und Dar al-harb - Haus des Krieges' ist abzulehnen. Sie hat weder eine Grundlage im Koran, noch in der Sunna und ist als historisch längst überholtes Phänomen von keinerlei heutiger Relevanz." Solche Aussage war überraschend klar, ebenso wie die Absicht, den "Mainstream des Islam" in Europa als gemäßigt zu präsentieren (vgl. Interview unten).

Die bosnisch-österreichische Initiative unter Patronanz des Außenministeriums und einiger internationaler islamischer Organisationen brachte Vertreter(innen) verschiedener Richtungen des Islam ins Gespräch und vermittelte das Bemühen von Muslimen, sich einerseits als Bürger im säkularen Europa zurechtzufinden und andererseits selbstbewusst für die religiösen und kulturellen Rechte der Muslime in Europa einzutreten. Auch im Gespräch mit der Furche zeigten sich Imame und Seelsorger(innen) dieser Auseinandersetzung verpflichtet.

Schiitisches Denk-Plädoyer

Vorsichtig blieb dabei Hosseini Nassab, Leiter des islamischen Zentrums Hamburg: Er sah das Treffen primär als Begegnungsmöglichkeit. Viele Probleme entstünden dadurch, dass Menschen und Kulturen einander nicht kennen lernten. In der Auseinandersetzung zwischen Islam und moderner Welt betonte der schiitische Geistliche vor allem die Weisheit als eine Quelle des Glaubens: Durch sie könnten viele Gegenwarts- und Zukunftsfragen gelöst werden. In seinem Referat vor der Konferenz hatte Nassab zuvor das "Gebot zum freien Denken" ebenso aus dem Koran abgeleitet wie das "Gebot zum Dialog mit den anderen Religionen": "So ist es undenkbar, dass Muslime den Propheten anderer Religionen beleidigen oder ihre Anhänger schmähen oder verletzen würden", so Nassab. Der "dringende Appell an die Vernunft" sei ebenfalls beim Propheten Muhammad überliefert.

Frauenthema innerislamisch

Auch beim innerislamischen Gespräch in Graz war die Stellung der Frau ein Thema. Fawzia Al Ashawi von der Universität Genf brachte das der Furche gegenüber zur Sprache: Die Frau habe auch im Islam das Recht zur Meinungsäußerung und zur Teilhabe an Entscheidungen. Frauen sei es auch keineswegs verboten, den Koran zu lesen und auszulegen. Al Ashawi konstatierte aber klar: "Bis jetzt haben allerdings die muslimischen Männer Frauen davon ausgeschlossen den Koran zu lesen und auszulegen." Und weiter: "In den wichtigsten islamischen Organisationen, die die Möglichkeit haben, die Umma, die islamische Welt zu führen, haben die Männer das Sagen."

Al Ashawi ließ also keine Zweifel daran, dass Lobbying für die Sache der Frauen unter den Muslimen noch dringend nötig ist. Sie selbst tritt für dieses Anliegen auch als stellvertretende Generalsekretärin der Europäischen Islamischen Konferenz ein. Und sie begründet ihr Engagement religiös: Zur Zeit des Propheten hätten Frauen an wichtigen Entscheidungen teilgehabt, die das islamische Leben in Mekka und in Medina betrafen. Daraus folgert Ashawi, muslimische Frauen dürften nicht passiv bleiben, sondern müssten sich bemühen, Entscheidungsträgerinnen zu werden.

Gleichzeitig ortet Al Ashawi im Westen Unverständnis gegenüber den Musliminnen: Etwa wegen des Kopftuches falle es diesen schwer, in der Gesellschaft eine aktive Rolle zu übernehmen. Dabei verbiete der Koran, so Al Ashawi, den Frauen weder Bildung, noch irgendeinen Beruf, noch außerhäusliche Aktivitäten.

Zivilisatorischer Beitrag

Nadeem Elyas, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, wies auf die Herkunft vieler Muslime in Westeuropa hin: "Die Realität zeigt, dass die Muslime zumeist aus den unteren Schichten der islamischen Herkunftsländer stammen." Daher dürften die Erwartungen nicht zu hoch sein. Wenn aber islamische Denker in Europa zunähmen und auch in den islamischen Zentren tätig würden, dann könnten sie einen "zivilisatorischen Beitrag" leisten - und die Muslime könnten sich mehr in die Gesellschaft einbringen - etwa bei der Begutachtung von Gesetzen, aber auch in den Problemen der Konsumgesellschaft, bei der die Muslime sich als Gläubige engagieren könnten.

Generell tritt auch Elyas für einen positiven Zugang zur säkularen Gesellschaft ein: Man könne in der freien Gesellschaft seine Religion praktizieren. Aber die Muslime müssten lernen, sich in dieser Gesellschaft zu behaupten. Elyas: "Auch wenn die europäischen Verfassungen Religionsfreiheit garantieren, so heißt das nicht, dass einem diese Rechte auf dem Silbertablett serviert werden. Wir haben in Deutschland das bitter erlebt, als nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Muslimen das Recht zum Schächten zuschreibt, die Behörden das weiter verhindert haben: Da müssen die Muslime versuchen, dem entgegenzuwirken."

"Europäischer Islam"?

Der britische Imam Abduljalil Sajid zeigte keine Berührungsängste beim Begriff "europäischer Islam": "Muslime drücken damit aus, dass sie stolz sind, gleichzeitig Muslim und den europäischen Werten verpflichtet zu sein." In Großbritannien seien bereits 60 Prozent der Muslime im Land geboren: "Diese haben nicht mehr das kulturelle Stigma ihrer Herkunftsländer. Auch wenn die islamische Gemeinschaft noch Schwierigkeiten mit dem Wort europäischer Islam' hat, so wird er wohl Anerkennung finden."

Im Schlussdokument von Graz wird der Ausdruck "europäischer Islam" aber klar abgelehnt: nur der Begriff "Islam in Europa" gebe treffend wieder, "dass ein Islam europäischer Prägung sich selbstverständlich aus dem dynamischen Selbstverständnis der einen Religion Islam heraus" entwickle, heißt es dort.

In Graz herrschte also nicht nur Einigkeit. Was Sajid kaum beunruhigt haben dürfte: "Die Verschiedenheit der Menschen ist gottgegeben", hatte der Imam der Furche gegenüber argumentiert: "Wichtig ist, wie wir diese Verschiedenheit fruchtbar machen und garantieren können, dass jedem Menschen die gleiche Würde zukommt. Das müssen wir auch in der innermuslimischen Debatte gewährleisten."

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