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Wer christliche Wahrheitsansprüche um der Toleranz willen abschaffen will, hebt den Glauben und jede vernünftige Kommunikation auf. Replik auf Peter Pawlowskys These von der "Freiheit der je eigenen Interpretation".

Das Grazer Musikfestival "Psalm 2003" füllte Kirchen und Konzertsäle. Darin sieht Peter Pawlowsky im Furche-Beitrag "Keine Dogmen-Reiterei" (24. 4. 2003) ein "Paradebeispiel zeitgenössischer Religiosität". Aber der "Megatrend Religion", der sich hier zeige, gehe an den Kirchen vorbei. So stelle sich die Frage: "Was kann und soll Religion bieten?"

Pawlowsky: "Religiös bewegte Menschen setzen sich der inquisitorischen Frage nach dem rechten Glauben' nicht mehr aus". Es müsse möglich sein, "sich der Aura des Heiligen zu nähern, ohne zuerst dogmatische Bekenntnisse abzulegen". Das sei in der "Unbestimmtheit der Musik" und der "Freiheit der je eigenen Interpretation" besonders gut möglich. Sie transportiere "Texte und Erzählungen, aber keine Lehren und Vorschriften": "Nicht was sie fordert, sondern was sie bietet, wird auch die Religion gefragt. Der Begegnung mit dem Heiligen dürfen keine Bedingungen vorgeschaltet werden. Gemeint und gewählt sein und darauf vor allen anderen Zumutungen frei zu antworten, darin besteht das Angebot, auf das Menschen heute antworten."

Gerne will ich zustimmen: Für die Begegnung mit dem Heiligen gibt es keine Bedingungen und kein Monopol. Ein vielleicht unerwarteter Kronzeuge: Auf die Frage, wie viele Wege es zu Gott gibt, hat Kardinal Ratzinger geantwortet: So viele wie es Menschen gibt.

Bei Gott gibt es Bedingungen

Trotzdem ist der zitierte Satz unbefriedigend. "Der Begegnung mit dem Heiligen dürfen keine Bedingungen vorgeschaltet werden." Ich möchte ergänzen: außer den Bedingungen, die das Heilige von sich aus stellt. Darin liegt der Ernst der Religion. Wem Religion wichtig ist, der kann nicht einfach voraussetzen, dass es bei Gott/dem Göttlichen keine Bedingungen gibt. Die Rede von Gottes bedingungsloser Liebe, die vielen nahe liegt und auf die man an dieser Stelle vielleicht zurückgreifen will, ist eine dogmatische (!) Aussage des Christentums; sie ist aber keine Selbstverständlichkeit. Damit zeigen sich zwei Aspekte, die einer Überlegung wert sind.

1. Es wird der Sinn christlicher Dogmen erkennbar. Sie sollen markieren, bewahren, absichern, was Gott in der Geschichte mit seinem Volk und besonders in Jesus Christus an Möglichkeiten der Begegnung und des Erkennens eröffnet hat. Wer das Christentum von außen betrachtet, soll wissen, was Christen glauben und wofür sie einen Wahrheitsanspruch erheben. Aber niemand wird daran gehindert, einen anderen Weg zu suchen.

Anders für die Christinnen und Christen selbst. Sie müssen sich zwar der schwierigen Frage stellen, welche Interpretation der Offenbarung die richtige ist, sind aber an die Offenbarung gebunden. Sosehr es notorische Problemfelder gibt und persönliche Nuancen im Verstehen immer eine Rolle spielen, das Wesentliche lässt sich durchaus in einem gemeinsamen Bekenntnis zum Ausdruck bringen.

Selbstbedienungsladen?

2. Wo steht eigentlich die Religiosität, die sich im "Megatrend Religion" zeigt? Damit wir uns verstehen: Wenn ich aus katholischer Sicht Fragen stelle, dann steht für mich außer Streit, dass die Anfrage nicht abgeschwächt werden darf, warum ein religiöser Trend an der Kirche vorbei geht. Das Christentum, das ja immer die Anknüpfungspunkte in der allgemeinen Religiosität gesucht hat, darf diese Frage nicht überheblich zurückweisen.

Aber die Frage ist zu präzisieren: Ist nicht vieles im "Megatrend Religion" das Ergebnis einer sehr subjektiven Auswahl unter den Dogmen des Christentums und darüber hinaus? Wird die Frage, was in der Religion richtig ist, nicht zu sehr daran festgemacht, ob es "mir gut tut"? Aber wird damit nicht der/die Glaubende zum Maß des Glaubens?

Im 20. Jahrhundert haben gerade deshalb protestantische Theologen wie Karl Barth das Christentum den Religionen pointiert gegenübergestellt. Diese Auffassung muss man nicht teilen. Aber die kritische Frage dahinter verdient Beachtung: Gibt es nicht innerhalb und außerhalb von Religionsgemeinschaften Formen der Religiosität, die Gott nicht mehr zu seinem Recht kommen lassen? Gibt es nicht so etwas wie eine "religionsförmige Gottlosigkeit" (J. B. Metz)? Diese Frage darf gewiss nicht inquisitorisch missbraucht und den jeweils anderen als Vorwurf präsentiert werden. Aber man muss sich ihr stellen.

Der Offenbarung treu bleiben

Nicht zuletzt: "Freiheit der Interpretation" ist alles andere als ein Allheilmittel. Die vom II. Vatikanum spät, aber doch bestätigte Religionsfreiheit ist die eine Sache. Und sie gilt uneingeschränkt. Eine andere Frage ist, wie man im Gewoge der Interpretationen und durch die Jahrhunderte einer Einsicht treu bleiben kann, die wir göttlicher Offenbarung verdanken. Gottes bedingungslose Liebe - wie bewahrt man eine solche, zwar wohltuende, aber durchaus nicht evidente Aussage in ihrer Hoffnungskraft, in ihrem Trost, in ihrer Herausforderung - auch gegen allen Anschein und alle Erfahrung? Selbst dann, wenn die Praxis zu wünschen übrig lässt, wird man die Frage nach dem "rechten Glauben" nicht als inquisitorisch abtun können. Und die Kirche hat dieser Aufgabe mit verbindlichen Lehrentscheidungen zu entsprechen versucht, also mit Dogmen.

Vom Umgang mit Wahrheit

Noch grundsätzlicher wird es, wenn zwar Texte und Erzählungen akzeptiert werden, nicht aber Lehren und Vorschriften. Selbstverständlich: Jeder Text kann Ausgangspunkt religiöser Suche und Inspiration werden. Eine Offenbarungsreligion wird aber ihre Texte immer mit einem Wahrheitsanspruch, also als Lehre und gegebenenfalls als Vorschrift vortragen - sonst gibt sie sich selbst auf. Und sie wird (wie jeder, der einen Wahrheitsanspruch erhebt, etwa mit dem Satz: "Es regnet") davon ausgehen, dass das, was für mich wahr ist, auch für andere wahr ist. Wer meint, solche Wahrheitsansprüche müssen um der Toleranz und des Religionsfriedens willen abgeschafft werden, der hebt nicht nur den Glauben auf, sondern auch jede Form vernünftiger Kommunikation. Wenn einander widersprechende Aussagen gleichzeitig wahr sind, dann hat die Idee der Wahrheit jeden Wert verloren, und Aussagen verkommen zu Äußerungen über die eigene Befindlichkeit.

In Summe: Keine Dogmen-Reiterei. Aber auch keine zu einfache Polemik. Ein besonnener Umgang mit Wahrheitsansprüchen und nicht deren leichtfertige Entsorgung ist gefragt. Der Umgang mit Dogmen hat seine Tücken und Gefahren - aber eben in mehrfacher Hinsicht. Es ist leicht, sie als inquisitorisch zu brandmarken. Aber sie sind - nicht zuletzt - ein Signal, dass mit der Preisgabe von Wahrheitsansprüchen nichts gewonnen ist.

Der Autor ist Professor für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz.

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