Vom Vorbild dieses Märtyrers

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Der Linzer Bischof riet ihm nachdrücklich davon ab, den Wehrdienst zu verweigern: Folgte Franz Jägerstätter einem "irrenden" Gewissen?

In meinem Furche-Artikel vom 5. Juni "Der Stachel im Fleisch" führte ich aus, dass Jägerstätter seinen - den Linzer - Bischof aufgesucht hatte und ihm seinen Entschluss mitteilte, den Wehrdienst zu verweigern. Alle wesentlichen Informationen über Jägerstätter verdanke ich den beiden Büchern des Amerikaners Gordon C. Zahn, auf die mich mein Freund Friedrich Heer aufmerksam machte. Im ersten, "Deutschlands Katholiken und Hitlers Kriege", rollt Zahn die moraltheologische Frage auf, welche Berechtigung die Teilnahme an diesen Kriegen für einen Christen habe.

Jägerstätter kam für sich zu dem Schluss, dass es keinen Grund gäbe, bei diesem Krieg mitzumachen. Natürlich war er sich darüber im Klaren, dass ihn dies im NS-Staat das Leben kosten würde. Im Angesicht dieser Konsequenzen suchte er eben seinen Bischof auf, um dessen Meinung dazu zu hören. Dieser riet ihm von diesem Schritt eindeutig und nachdrücklich ab. Er verwies ihn auf die unausweichliche Tatsache, dass er Frau und Kinder habe, für die zu sorgen seine Pflicht sei. Wenn er tot wäre, so könne er seine Pflicht nicht mehr erfüllen.

Das stimmt natürlich, doch war es alles andere als sicher, dass er nach einer Kriegsteilnahme lebendig zurückkäme, im Gegenteil, es war sogar sehr gut möglich, dass er im Krieg umkommt, er also nicht mehr in die Lage käme, für Frau und Kinder zu sorgen. Weiterhin gibt es apodiktische Aussagen von Jesus von Nazareth, die etwa die Liebe zu ihm als Prinzip über die Liebe zu allem anderen stellt.

Geht die Familie absolut vor?

Und sollte man nicht auch die von einem Soldaten gemäß seinem "Fahneneid" und den danach zu befolgenden Taten in Rechnung stellenden toten "Feinde" beachten? Dass im Gewissen des Bischofs die zu tötenden Feinde gar keine Rolle spielen sollten, kann ich nicht glauben. Aber das Sorgen für Frau und Kind schlugen beim Bischof als höherer Wert zu Buche als tote Feinde, die man eben in Kauf nehmen müsse. Im Bestreben, den Bischof vor Jägerstätter zu verteidigen, suchten seine Verteidiger verzweifelt nach Gründen.

Und so fanden die Apologeten des Bischofs bei Jägerstätter ein "irrendes Gewissen" - und keineswegs beim Bischof. Darunter versteht man hier bei einem redlich nach seinem Gewissen handelnden Menschen, dem dieses Gewissen jedoch falsche Direktiven liefert.

Konkret meine ich, dass nach 1945 in Oberösterreich ruchbar wurde, dass der Amerikaner Gordon Zahn nach Österreich gekommen war, um sich mit Jägerstätter und ähnlichen Personen zu beschäftigen. Es war auch ruchbar, dass Zahn wusste und auch in seinem Buch über Jägerstätter besprach, dass er seinen Bischof aufgesucht hatte, um mit ihm seine Absicht zu besprechen, den Kriegsdienst zu verweigern. Er hatte jedoch, wie schon erwähnt, keinerlei Unterstützung bei ihm gefunden.

Tatsächlich gab es wohl einen inneren Gewissenskonflikt beim Bischof und zwar zwischen dem bei Jägerstätter dominanten heroischen Anteil des Gewissens und dem opportunistischen.

Wir alle haben es gewusst …

Ich kann auch nicht glauben, dass, wie unser gegenwärtiger Herr Kardinal glaubt, Jägerstätter einfach früher merkte, dass es zwischen Christentum und Nationalsozialismus keine Brücke gäbe, das haben wir auch längst gewusst. Wir zogen nur nicht die entsprechenden Konsequenzen oder nicht alle. Ich zum Beispiel hatte mich schon Jahre vor meinem "Einrücken" zur deutschen Wehrmacht in der österreichischen Widerstandsbewegung mit erheblichen persönlichen Risiken betätigt. Aber war dies genug?

Sigmund Freud fand in seinen Forschungen im Menschen eine psychische Instanz, welche als Kontrollorgan der Triebwelt fungierte, die er Über-Ich nannte. Dieses Über-Ich entsteht durch Identifikation, etwa mit den Eltern und deren Verhaltensmustern, darunter auch Aussagen verschiedener mehr oder weniger autoritativer Personen. Die Sache wird komplizierter, weil es innerhalb dieses Über-Ichs Konflikte gibt, so etwa schon zwischen den vertretenen und den gelebten Prinzipien einer Person mit Vorbildcharakter oder einer Person mit einer anderen. Das kann sich fortsetzen bis zu Prinzipien einer Menschengruppe mit jener einer andern.

Sowohl in Jägerstätter als auch innerhalb des Bischofs gab es Prinzipienkonflikte und in beiden waren sie noch nicht bis zum Ende ausgetragen - das heißt, durchdacht und anschließend entschieden worden. Denn zwischen den verschiedenen Aspekten des Über-Ich vermittelt und schließlich entscheidet das Ich, das über das Denken und über den Willen verfügt. Hat eine Über-Ich-Tendenz die überzeugenderen Argumente für sich, schlägt sich das Ich auf seine Seite. Diese Prozedur hat häufig einen viel umfangreicheren und detailreicheren Ablauf. Außerdem wird sie praktisch in jedem Fall von mehr oder weniger intensiven Affekten, Gefühlen etc. begleitet.

Dabei sind solche Begleiterscheinungen oft entscheidend für den Ausgang des gesamten Entscheidungsprozesses. Wir haben schon begriffen, dass es sich beim Über-Ich weitgehend um jene Instanz handelt, die wir Gewissen nennen. Auch wir haben schon begriffen, dass es sich bei den verschiedenen Komponenten um jene handelt, die letztlich für das Ergebnis des Entscheidungsprozesses verantwortlich sind.

Über-Ich namens Gewissen

Aber eine Beurteilung durch die rationale Instanz erfolgt auf jeden Fall und es muss damit gerechnet werden, dass sich das Ich irrt, und so haben wir dann ein irrendes Gewissen vor uns. Innere Einwände etwa gegen eine Richtung, die der Entscheidungsprozess einschlägt, werden dann auf die verschiedenste Art entwertet. Solchen Entwertungsprozess nennen wir auch Abwehrmechanismus. Wir sind nun wohl auch in der Lage, uns Näheres unter irrendem Gewissen vorzustellen. Denn die "Gewissenserforschung" ist ein sehr subtiler und gleichzeitig aufwändiger Prozess, der sehr viel Energie und vor allem Ehrlichkeit erfordert, besonders dann wenn er, wie in unserem Fall als mögliche Konsequenz, die eigene Opferung zur Debatte stellt.

Wenn man dann als Bischof sich fragen muss, ob man dies "ganz gewöhnlichen Menschen" - zu denen man genau genommen auch selbst gehört - zumuten darf, mag die Antwort darauf nicht leicht sein.

Das verlangte Martyrium

Aber im alten Rom war alles klar, man verlangte das Martyrium. Dabei standen die christlichen Soldaten im Zentrum der Debatte, wobei der römische Staat für eine dialektische Position gegenüber den Christen gar nicht so schlecht dastand. Denn wer in das römische Heer eintreten wollte, musste sich verpflichten, auf 12 Jahre die Pflichten eines Soldaten zu erfüllen. Da das Heer auch die Funktion der Polizei hatte, hieß dies, dass sie auch foltern und töten mussten.

Das durften sie als Christen nicht oder nicht mehr, wenn sie während des 12-jährigen Militärdienstes dem Christentum beitraten. Dann mussten sie ihrem Fahneneid entsprechend mit ihrer nunmehr besseren Einsicht brechen, womit das Unheil, wie bei Franz Jägerstätter, seinen Lauf nahm. Wohl mehr Mythos als historische Wahrheit ist die Behauptung, dass Sebastian, der Kommandant der Prätorianergarde, erschossen wurde - mit Pfeilen. Weil er eben dies alles getan hatte. Ob Mythos oder Wahrheit ist dabei eine sekundäre Frage, denn in beiden Fällen zählt vor allem die Vorbildwirkung im Kirchenvolk. Von den Märtyrern heißt es nun, dass sie die Basis für den späteren Sieg des Christentums gewesen wären. Das hat viel für sich.

Um diese Vorbildwirkung geht es ja auch bei der Seligsprechung des Franz Jägerstätter. Ich bin gespannt, wie der deutsche Papst uns dies im Detail erklären wird.

Der Autor, Jg. 1923, ist Psychotherapeut und hat 1963 gemeinsam mit Friedrich Heer und August Maria Knoll das Buch "Kirche und Zukunft" herausgegeben.

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