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Von der Dienerin des Mannes

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Die religiöse Rolle der Frau ist in Indien durch die patriarchale Gesellschaft bedingt. Hervorragende Frauengestalten sind eine Ausnahme.

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Die religiöse Rolle der Frau ist in Indien durch die patriarchale Gesellschaft bedingt. Hervorragende Frauengestalten sind eine Ausnahme.

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Nach der Volkszählung des Jahres 1991 weist Indien ein Frauendefi-zit von etwa 30 Millio-nen auf. Diese gesellschaftliche Erschei-nung korrespondiert mit der bei Frauen vergleichsweise höheren Analphabetenrate und mit einer vorherrschenden patriarchalen Gesellschaftsform. Dies ist zu betonen, weil davon auch die religiöse Rolle der Frau bestimmt wird. Denn obwohl die mythisch-epische Überlieferung Indiens grundsätzlich eine Wertschätzung einzelner Frauen zeigt, hat die männlich bestimmte Gesellschaft die Rolle der Frauen auch in religiöser Hinsicht negativ beeinflußt.

In gewisser Weise kann die Welt der zahlreichen Götter und Göttinnen als Abbild der religiösen Stellung der Frau in den Hindu-Religionen gelten. Die ursprünglich unabhängige Göttin Lakshmi wird durch ihre Verbindung mit dem zentralen Gott Vishnu zum Abbild der göttlichen Ehefrau und zur Göttin derer, die sich standesgemäß verhalten und ihrem Ehe-Herrn bedingungslos zugetan sind.

In diesem Sinn ist eine der populären Darstellungen der Göttin erwähnenswert, wie sie vor Vishnu kniet, um ihm die Füße zu massieren, ein Bild, das die völlig untergeordnete Dienerin-Bolle der Hindu-Frau theologisch begründet. Das Aufgehen der Ehefrau in ihrem Gatten kann bis zur Witwenverbrennung führen, wel -che Praxis in der Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. zur Norm und im Jahr 1829 offiziell verboten worden ist, in Einzelfällen aber bis heute vorkommt.

Wie stark dabei herrschende hierarchisch-patriarchalische Interessen eine Rolle spielen, denen aus der Sicht der Betroffenen jede „Idealisierung" als Selbstopfer fehlt, zeigen Fälle in der jüngsten Vergangenheit. Lakshmi als religiöses Vorbild der idealen Frau wird bis heute in vielen indischen Dörfern verehrt. Die Menschen bitten sie um eheliche Treue oder langes Leben des Gatten beziehungsweise um Fruchtbarkeit.

Wenn dadurch die Hindu-Frau sich selbst primär in Beziehung zu ihrem Gatten sieht und ihr Leben danach auszurichten hat, was andere von ihr erwarten, liegt es nahe, daß eine solche Auffassung Frauen vom Studium der vedisch-brahmanischen Überlieferung (shruti) ausschließt. Daß die älteren Epochen der indischen Beligionsgeschichte noch ein weniger restriktives Verhältnis zum Studium der Frauen hatten, zeigt eine Episode in der Brihad-Aranyaka-Upanishad (Mitte 1. Jahrtausend v. Chr.) über den Weisen Yajnavalkya und seine beiden Frauen: Maitreyi weiß mit ihm über das Brahman zu sprechen, während Katyayani sich lediglich bei den „Dingen der Frauen" auskennt. Wenn hier bereits anklingt, daß die meisten Frauen in religiösen Belangen ungebildet sind, so gewinnt diese Vorstellung im Laufe der Jahrhunderte an Gewicht bis zur sexisti-schen Formulierung, daß Frauen nur den „fünften Veda" kennen, das heißt nur über Erotik und Verführung Bescheid wissen. Trotz dieser klaren Ne-gativierung wird Frauen jedoch die Erlösungsmöglichkeit theoretisch nicht abgesprochen.

Die episch-mythologische Überlieferung und Praktiken der Askese sind jene Bereiche, die für Frauen in erster Linie zugänglich sind, das heißt Strömungen der indischen Beligionsgeschichte, die den Wert der vedischen Opfer minimieren oder „traditionskritisch" eingestellt sind. Gerade die Bhaktifrömmigkeit, die mythologisch auf das Liebesverhältnis zwischen Radha beziehungsweise den Hirtinnen und Krishna aufbaut, konnte, indem die erotischen Komponenten als Liebe der Seele zu Gott umgedeutet wurden, alle gesellschaftlichen Schranken in der Hingabe an den Gott als „Herrn" überschreiten. Daß diese Form der Frömmigkeit für Frauen Möglichkeiten der religiösen Selbständigkeit geboten hat, zeigen die Überlieferungen von mystisch-religiösen Dichterinnen.

Eine besondere Position nehmen Frauen im Shaktismus ein, der dem Weiblichen eine selbständige Aktivität zubilligt. Die Existenz der Welt hängt dabei von der schöpferischen „Energie" der Göttin ab. Der sexuelle Bereich wird positiv in dieses Energiefeld einbezogen, wobei der Vollzug sexueller Praktiken ein Weg zur Überwindung des Dualismus zwischen Seele und Gott ist. Dadurch gilt der Shaktismus den Massen eher als fragwürdig, was - auf falsche Weise verallgemeinert - zur gesellschaftlichen Negativierung des Frauenbildes benutzt wurde.

Als Zusammenfassung muß man feststellen, daß einzelne hervorragende Frauengestalten der indischen Beligionsgeschichte eher als Ausnahmefälle zu werten sind. Doch mit fortschreitender Verbesserung der Bildung der Frauen der Oberschicht und der gehobenen Mittelschicht tun sich Möglichkeiten auf, daß auch auf religiösem Gebiet Frauen im Hinduismus sich der gesellschaftlichen Bedingtheit ihrer religiösen Lage entledigen können.

Der Autor ist

Professor für Religionswissenschaft an der Universität Graz.

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