Von der Revolution blieb nur Nostalgie

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Wie keine andere Revolution eines Volkes hat die nicaraguanische zu weltweiter Sympathie und Solidarität geführt. 30 Jahre danach ist das Allermeiste anders gekommen als erhofft. Der Sandinistenführer Daniel Ortega ist zwar wieder an der Macht. Doch sowohl sein Weg dorthin als auch sein Umgang mit der Regierungsgewalt sind heftig umstritten.

Wenn Nicolasa Loáisiga an die Zeit der Revolution in Nicaragua denkt, bekommt sie leuchtende Augen. Es war die aufregendste Zeit ihres Lebens, als sie bei der Kaffee-Ernte Menschen aus anderen Ländern kennenlernte und mit der sandinistischen Armee durch die Berge zog. Die Tochter landloser Bauern im Bergland von Matagalpa, die auf einer Kaffeeplantage aufgewachsen war, hatte plötzlich die Sicherheit, Teil eines großen Projekts zu sein. Die Revolution stand für soziale Gerechtigkeit und Überwindung der Armut, für staatliche Souveränität und Loslösung von der Dominanz der USA. Deswegen meldete sich die 16-Jährige auch freiwillig zum Wehrdienst, um dieses neue Gesellschaftsmodell gegen die von Washington finanzierte Konterrevolution zu verteidigen.

Heute lebt die Frau, krank und verarmt, mit ihrer Tochter Yelba und Enkelkind Milagros in einem schäbigen Häuschen unweit der Hauptstadt Managua. Selbst diese bescheidene Bleibe, die sie mit einer anderen Frau und deren beiden Kindern teilt, ist nur geborgt. Ihre Schwägerin, der das Haus gehört, kann jederzeit Eigenbedarf anmelden und Nicolasa hinauswerfen. Was sie dann macht, will sie sich lieber gar nicht fragen. Das Bisschen, was sie mit dem Verkauf selbst gemachter Tortillas verdient, reicht kaum zum Leben. Ein chronisches Leberleiden, das eine Folge jahrelanger Entbehrungen sein dürfte, erlaubt ihr keine geregelte Arbeit.

Dennoch freut sich die Frau mit dem traurigen Blick, dass mit Daniel Ortega wieder die Sandinisten regieren. Die Schule und auch das Gesundheitswesen sind wieder frei zugänglich. Aber wenn Nicolasa eine Röntgenuntersuchung braucht, muss sie zwei Monate warten. Die Schule ist zwar gratis, doch die Lehrer sind so schlecht bezahlt, dass sie einen Nebenjob brauchen und oft nicht zum Unterricht erscheinen. Die Klassen sind überfüllt, weil Schulraum fehlt.

Nach 17 Jahren neoliberaler Regierungen, die das soziale Netzwerk demontierten und vor allem die Unternehmer förderten, war der Reformbedarf groß. Die UNESCO bescheinigt Nicaragua, dass in zwei Jahren der Analphabetismus, der wieder auf 40 Prozent geklettert war, praktisch ausgerottet ist. Die FAO preist das Null-Hunger-Programm als das beste Nahrungssicherheitsprogramm in über 70 untersuchten Ländern. Bedürftige Familien bekommen eine trächtige Kuh, ein Zuchtschwein, Saatgut und Geld für landwirtschaftliche Beratung. Zielperson für dieses Paket im Gegenwert von 2500 US-Dollar ist immer die Frau. Die Begünstigten sollen sich zu Genossenschaften zusammenschließen, um langfristig effizienteres Wirtschaften zu ermöglichen.

Die falschen Schweine und Kühe geliefert

Das vom Ökonomen Orlando Núñez entworfene Programm hat allerdings einige Haken. Die Allerärmsten werden nicht erreicht, weil sie kein Land haben. Und die ausländischen Zuchtschweine brauchen Spezialnahrung, während sich die genügsamen einheimischen Hausschweine mit Lebensmittelabfällen zufriedengeben. Viele wurden daher aus Kostengründen geschlachtet, bevor sie Nachkommen in die Welt setzen und damit Einkommen erzeugen konnten. Dazu kommt, so Sinforiano Cáceres, Chef des Genossenschaftsdachverbandes FENACOOP, „dass 60 Prozent der Kühe nicht kalben“.

Die praktischen Probleme werden durch politische Gängelung noch potenziert. Denn wer in den Genuss der Segnungen kommt, bestimmen die sogenannten Volksbeteiligungskomitees (CPC), die landauf landab als parteihörige Parallelstrukturen zur öffentlichen Verwaltung eingerichtet wurden. Sie unterstehen Ortegas Ehefrau Rosario Murillo, die den Parteiapparat lenkt. Die CDC haben den Auftrag, zu 50 Prozent sandinistische Klientel zu bedienen und zur Hälfte Familien auszuwählen, die politisch auf der anderen Seite stehen aber meinungsbildend im Lager der Liberalen sind. Was Sinforiano Cáceres besonders ärgert, ist das unprofessionelle Vorgehen: „Die Leute in den CDC verstehen nichts von Landwirtschaft. Sie schaffen nur 18 bis 25 Prozent der Umsetzung.“

Die politische Kontrolle ist dem Paar Ortega/Murillo besonders wichtig, denn die beiden wollen auch nach den nächsten Wahlen an der Macht bleiben. Ortega versucht, eine Verfassungsreform durchzudrücken, die die unmittelbare Wiederwahl erlaubt. Sollte er am Widerstand der Liberalen scheitern, würde er seine Frau ins Rennen schicken. Dass dafür auch Wahlbetrug eingesetzt wird, kann man seit den Kommunalwahlen vom vergangenen November unterstellen. In 40 von rund 140 Gemeinden sei ein sandinistischer Erfolg einzig durch grobe Manipulationen erzielt worden, behauptet die Opposition. Selbst bei den Präsidentschaftswahlen 2006, die Daniel Ortega knapp für sich entschieden hat, wurde bis heute kein offizielles Ergebnis verlautbart. Der Zentrale Wahlrat ist der Öffentlichkeit die Auszählung von acht Prozent der Stimmen schuldig geblieben. Die könnten den Unterschied machen, ob eine Stichwahl erforderlich gewesen wäre.

Murillo, die für die Kommunikation der Regierung zuständig ist, hat die rotschwarzen Farben der Sandinisten gegen ein modisches Pink ausgetauscht, das besser zu den pseudoreligiösen Botschaften der Plakate passt, auf denen Ortega allgegenwärtig ist. „Dem Volke dienen, heißt Gott zu dienen“, verkündet ein Slogan. Das Wohlwollen der Bischöfe wurde mit dem rigorosesten Abtreibungsverbot des Kontinents erkauft. „Sie haben aus Nicaragua einen Gottesstaat gemacht“, wettert Hugo Torres, einst einer der wagemutigsten Guerillakommandanten, heute Mitglied der dissidenten Sandinistischen Erneuerungsbewegung (MRS), die sich 1994 abgespalten hat und von den bekanntesten Intellektuellen des Landes unterstützt wird, darunter die Schriftsteller Ernesto Cardenal und Sergio Ramírez. Vor den Kommunalwahlen wurde die MRS mit einer fadenscheinigen Begründung verboten.

Petrodollars von Chávez und Ahmadinejad

Ortega finanziert sein Sozialprogramm mit venezolanischen Petrodollars, die nicht in das ordentliche Budget eingehen, sondern getrennt und ohne jede Transparenz verwaltet werden. Das ist einer der Vorteile, die Ortega aus der Mitgliedschaft in der alternativen Wirtschaftsunion ALBA zieht. Das von Venezuelas Hugo Chávez gegründete Bündnis strebt neben wirtschaftlichem Austausch auch enge politische Integration an. Diese enge Anbindung an Chávez, die kumpelhafte Komplizenschaft mit Irans Mahmud Ahmadinejad und die radikale antiimperialistische Rhetorik der ALBA-Wortführer haben auch das politische Establishment in Honduras in Schrecken versetzt, das Präsident Manuel Zelayas ALBA-Beitritt nicht mittragen wollte und die Armee für einen Putsch einspannte.

In Nicaragua werden am 19. Juli 30 Jahre Revolution gefeiert. Ortega preist seine eigene Regierung als „Revolution, Phase 2“. Doch von der Revolution ist nur der Diskurs geblieben. Die Familie Ortega ist heute an fast allen lohnenden Geschäften des Landes beteiligt. Parteigrößen kontrollieren den Energiesektor und wichtige Banken weiten ihren Einfluss im profitträchtigen Wohnbau und im privaten Gesundheitswesen aus.

Nicolasa Loaísiga weiß davon nicht oder hält diese Informationen für böswillig in die Welt gesetzte Gerüchte. Ihr Leben wäre ohne Revolution noch trister verlaufen. Deswegen wird sie sich am Sonntag wie Tausende andere am Platz einfinden, um Daniel Ortegas Festansprache zu hören. Da kann man sich gemeinsam in Erinnerung rufen, wie großartig diese Revolution vor drei Jahrzehnten begonnen hatte.

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