Von der Würde des Menschen

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Letzter Teil der furche-Konzils-Serie: Mit der Erklärung zur Religionsfreiheit vollzog das II. Vatikanum eine Kehrtwendung bisheriger Auffassungen.

Das Zweite Vatikanische Konzil ist zum Ereignis einer fundamentalen Selbst-Vergewisserung der katholischen Kirche geworden. Diese innere Geschichte des Konzils geschah in der Linie der Intention Papst Johannes' xxiii., aber gegen den Widerstand wichtiger Repräsentanten und Institutionen der römischen Kurie. Das geschichtliche Ereignis einer vielgestaltigen Selbst-Vergewisserung der Kirche ist in einer konziliaren Dynamik hervorgebrochen; die Kirche musste es sich zugleich selbst abringen.

Dynamik des Konzils

Prozesse der Selbstvergewisserung führen dazu, dass bisher Selbstverständliches als begründungsbedürftig sichtbar wird; es kann dabei zu einem ziemlichen Neuaufbau des bislang Selbstverständlichen kommen. Dies ist im Fall der Religionsfreiheit geschehen. Sie war der Kirche lang bekannt: als ein Recht, das sie in der neuzeitlich-konfessionalisierten Wettbewerbssituation für sich beanspruchte und den Mitbewerbern absprach. Diese asymmetrische Reklamierung der Religionsfreiheit basierte auf dem Bewusstsein, die Verwirklichung der wahren Religion zu sein; dies hatte noch bis in die Konzilsarbeit hinein Bestand: Sollte doch die Religionsfreiheit nach der Vorstellung einiger in der Kirchenkonstitution im Zusammenhang des Verhältnisses von Staat und Kirche behandelt werden, und zwar als von der katholischen Kirche in mehrheitlich nichtkatholischen Staaten legitimerweise beanspruchtes Recht und als allen anderen Religionsgemeinschaften in katholisch geprägten Staaten abzusprechendes Recht.

Genau diese Asymmetrie war Anlass für viele Konzilsväter - genannt sei nur der Bischof von Brügge, Emiel-Jozef de Smedt -, eine eigene Würdigung der Religionsfreiheit zu fordern, sie also nicht der Kirchenkonstitution Lumen Gentium (lg) oder auch dem Ökumenismusdekret Unitatis redintegratio unterzuordnen (vgl. Teil iv bzw. v der Konzils-Serie). Bischof de Smedt und den anderen Vorbereitern der Erklärung zur Religionsfreiheit, insbesondere dem Sekretariat für die Einheit unter Kardinal Augustin Bea, war durchaus klar, was dies bedeutete: Eine Behandlung der Religionsfreiheit in einem eigenen Dokument würde es erfordern, eine eigene Begründung der Religionsfreiheit zu entwickeln, sie also nicht als bloßes Moment katholischen Selbstbewusstseins, aber auch nicht als Funktion des Ökumenismus zu betrachten. Das in diesem Reifungs- und Streitprozess gewonnene philosophische und theologische Fundament der Religionsfreiheit macht das entsprechende Dokument, die Erklärung Dignitatis humanae (dh), so kostbar - innerhalb der Geschichte des Konzils zumal, weil hier etwas gebündelt wurde, was das gesamte Konzil durchzieht.

Als Basis der Religionsfreiheit wird nämlich die Würde des Menschen als Person identifiziert (und nicht mehr die wahre, in der katholischen Kirche verwirklichte Religion; vgl. dh 2,1). Sie hat unbedingte Geltung. In seiner Würde ist der Mensch durch Vernunft und Freiheit ausgezeichnet (dh 2,2). Das Konzil führt keine philosophische Begründung dieses Personverständnisses durch. Entscheidend ist jedoch, dass die Kirche des Konzils dem Menschen diese prinzipiell unantastbare Würde zuspricht.

Das Gewissen, die Instanz

Das wird bereits im selben Absatz deutlich: In einer radikalen Weise kommt die Personwürde im irrenden Gewissen zum Tragen. In der Gewissensentscheidung, und sei sie irrig, vollzieht der Mensch sich im höchsten Maß selbst und ist aufgrund seiner darin zum Ausdruck kommenden Personwürde zu respektieren. Das bedeutet in einer letzten Konsequenz, dass auch die Entscheidung eines Menschen gegen den katholischen Glauben als Gewissensentscheidung Selbstvollzug der Person ist, deren Würde unbedingt zu wahren die katholische Kirche auf dem Konzil erklärt hat.

Die Kirche hat damit keineswegs ihren Wahrheitsanspruch aufgegeben. Weiterhin gilt: Die "einzig wahre Religion ... ist verwirklicht in der katholischen, apostolischen Kirche" (dh 1,2; vgl. lg 8). Steht aber dieser Anspruch nicht in einem direkten Widerspruch zur Grundaussage der Erklärung von der unbedingten Geltung der Personwürde, die also auch für den Menschen noch gilt, der sich (irrigerweise) gegen die katholische Kirche oder sich ihr nicht zuwendet?

Gottes Ebenbild Mensch

Wiederum - keineswegs: Entnimmt doch das Christentum der biblischen Überlieferung die Gottebenbildlichkeit (Gen 1,26f) als anthropologische Basisaussage. In seiner das Heil der Menschen wollenden Zuwendung öffnet Gott sich dem Menschen als einem frei Antwortenden. Der Glaube muss Freiheitsgeschehen sein und damit personaler Selbstvollzug (dh 10). Erzwungener oder verführter Glaube ist keiner, weil der Mensch nicht in seiner Personmitte, in seinem Herzen, Akteur ist. In einer bemerkenswerten Lektüre der Evangelien entdeckt das Konzil Jesus als Anreger und Beförderer des Glaubens, der nie die Menschen in ihrer Eigenwürde überwältigt hat, der sich vielmehr für sie hingegeben hat (dh 11).

Die Wertschätzung der menschlichen Person widerspricht also der wahren Religion nicht, sondern gehört zum Kernbestand ihres Glaubensschatzes. Darin, dass die Kirche dieser Glaubenshinterlassenschaft Jesu auch in Hinwendung zu den ihr Fernstehenden die Treue wahrt, verwirklicht sie in einer heute vielleicht besonders geforderten Weise ihre Sendung in der Welt und unter den Menschen.

Der Glaubensakt ist kein bloß innerliches Geschehen, sondern hat eine öffentliche Dimension. Sie hat ihren Grund in der "Sozialnatur" des Menschen (dh 3,3). Deswegen kommen nicht nur die Einzelnen in den Genuss der Religionsfreiheit, sondern auch die religiösen Gemeinschaften. Gilt das Menschenrecht der Religionsfreiheit unbedingt, ist seiner Ausübung eine Grenze gesetzt: die Wahrung der "gerechten öffentlichen Ordnung" (dh 3,4; dh 7). Damit ist grundsätzlich die gesellschaftliche Dimension der Religion angesprochen.

Säkularer Staat anerkannt

Angesichts der diesbezüglichen neuzeitlichen Konfliktgeschichte ist zunächst festhaltenswert, dass die Kirche des Konzils durch ihre Neubegründung der Religionsfreiheit Staat und Gesellschaft in ihrer säkularen Eigenständigkeit anerkennt. Darüber hinaus ist aber die Erklärung insgesamt von der Bekundung der Anteilnahme der Kirche am Geschick der modernen Welt gerahmt: Die Kirche greift zustimmend und unterstützend die Entwicklung eines weltweit wachsenden Bewusstseins der Menschen für die eigenen Freiheitsrechte und deren aktive Beanspruchung auf (dh 1); sie weist abschließend auf die Dynamik der weltweit wachsenden Einheit der Völker und Menschen hin (dh 15).

Es ist diese "Globalisierung" der in Geltung gesetzten und beanspruchten Freiheitsrechte und der fruchtbaren Einheit der Völker, in deren Rahmen das Konzil seinen Begriff von Religionsfreiheit setzt. Es macht damit geltend, dass die Religionsfreiheit genuiner Teil dieses Globalisierungsprozesses der Freiheit und Einheit der Menschen ist, und zugleich, dass die Kirche wesentliche Mittlerin desselben sein will und von Gott her ist.

Der Autor ist Dozent für Dogmatik an der Universität Regensburg.

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