Von Glauben und Recht im Islam

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Drei Millionen Muslime in Deutschland, 360.000 in Österreich: Die Herausforderung ist groß. Zwei Bücher geben Einblicke in die Vielfalt des Islams.

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Drei Millionen Muslime in Deutschland, 360.000 in Österreich: Die Herausforderung ist groß. Zwei Bücher geben Einblicke in die Vielfalt des Islams.

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Scharia, Schleier, Muezzin: Das Wissen um den Islam, weltweit mit über einer Milliarde Anhängern hinter dem Christentum immerhin zweitgrößte Religion, bescheidet sich oftmals auf Schlagworte. Für den bekannten Islamwissenschafter Adel Theodor Khoury aus Münster Grund genug, sich gemeinsam mit seinem Berliner Fachkollegen Peter Heine und dem Münsteraner Juristen Janbernd Oebbeke an ein Handbuch zu wagen, das Probleme ansprechen und Schauermärchen den Garaus machen will: "Recht und Kultur des Islams in der deutschen Gesellschaft" ist ihr Opus übertitelt - und trotz seiner Konzentration auf Deutschland auch hierzulande aufschlussreich. Dem umfangreichen Glossar sei Dank.

Vor einem Streifzug durch die einzelnen Rechtsbereiche skizziert Khoury die Grundzüge des Islams. Er gründet zum einen auf dem Koran, der mit seinen 114 Kapiteln (Suren) jene Offenbarung enthält, die dem Propheten Muhammad zwischen 610 und 632 in Mekka und Medina durch den Engel Gabriel zuteil wurde. Zum anderen basiert er auf der so genannten Sunna, in der die Gesamtheit der überlieferten Aussprüche Mohammeds aufgezeichnet ist. Aus dem Koran wie auch aus der Sunna nährt sich schließlich die Scharia, das religiöse Recht des Islams.

Die Offenbarungsgeschichte dieser Religion ist lang und reicht von Abraham über Mose, den Bringer der Tora, bis zum Propheten Jesus Christus mit seinem Evangelium. In Muhammad (570 - 632), seiner Abwanderung von Mekka nach Medina im Jahr 622 (Hidschra) und dem 653 kodifizierten Koran findet die Offenbarung schließlich nach muslimischem Glauben ihren Höhepunkt.

Nach dem Koran sind dem gläubigen Muslim religiöse Grundpflichten aufgetragen - die fünf "Säulen des Islams": Neben der wichtigsten, dem Glaubensbekenntnis (Schahada) - "Es gibt keinen Gott außer Gott, und Muhammad ist der Gesandte Gottes" - verpflichten sich die Gläubigen fünfmal täglich zum Gebet (Salat) mit vormaliger Waschung, ebenso zum Freitagsgebet. Almosen geben (Zakat) ist ebenso verpflichtend wie das Fasten im Monat Ramadan (Saum) und die Wallfahrt nach Mekka (Hadsch).

Weniger die religiösen Pflichten als vielmehr die Vorschriften für die Lebenspraxis der Muslime stoßen im Westen oftmals auf Unverständnis: So beschreibt das Handbuch die Speiseverbote von Schweinefleisch, Blut und Alkohol ebenso umfassend wie die für Frauen zwingende Kleidung und Verschleierung. Vor allem das Strafrecht birgt mit seinem ius talionis ("Auge um Auge") für westliche Ohren so manche Grausamkeit. Bedauerlicherweise lassen die Autoren hier weiterführende Erläuterungen vermissen - und den Leser recht ratlos mit den Korantexten allein. Nur bedingt aufschlussreich ist auch das Kapitel über das deutsche Recht und den Islam. Anders als in Österreich ist etwa in Deutschland (wie in den meisten EU-Staaten außer Belgien) der Islam nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt, sondern besitzt nur privatrechtlichen Status. Die Folgen machen sich spätestens in den deutschen Schulen bemerkbar, wo kein adäquater Religionsunterricht angeboten werden muss.

Historisch-kritisch Weniger rechtlich als vielmehr religionswissenschaftlich ist die Perspektive Karl-Heinz Ohligs in seiner informativen Islam-Einführung. Der Saarbrückener Theologe und Religionswissenschafter präsentiert überraschende Forschungsergebnisse seines historisch-kritischen und deshalb für Europäer nachvollziehbaren Zugangs: So soll die Vorstellung von der Hidschra erst nach Muhammads Tod gebildet worden sein. Auch sei nicht Mekka, sondern eine Stadt in Nord-West-Arabien das Ursprungsheiligtum des Islams gewesen. Schließlich sei Muhammad nicht schon 632, sondern erst 634 gestorben und habe die Eroberung Palästinas noch selbst angeführt. Selbst der Name "Muhammad" (arabisch: "der Gelobte") werde nur an vier Stellen erwähnt und damit fraglich. Wie auch andere Religionsstifter bleibt also auch die Gestalt Muhammads im historischen Dunkel. In der Folge liefert Ohlig eine umfassende Entstehungsgeschichte und Theologie des Korans sowie eine Analyse der fünf Säulen des Islams. Weitere Kapitel über die Frauenrolle, die Ausbreitung des Islams, Wissenschaft und Philosophie sowie die islamische Mystik (Sufismus) runden die Einführung ab.

Schlichtweg erschütternd ist jedoch Ohligs Beschreibung der Beschneidung von Mädchen: Obwohl meist offiziell verboten, ist sie noch heute in mehr als 20 islamischen Staaten, vor allem in Schwarzafrika, üblich.

Handbuch Recht und Kultur des Islams in der deutschen Gesellschaft.

Von Adel Th. Khoury, Peter Heine, Janbernd Oebbecke. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2000. 336 Seiten, geb., öS 569,-/e 41,35 Weltreligion Islam. Eine Einführung.

Von Karl-Heinz Ohlig. Matthias Grünewald Verlag/Edition Exodus, Mainz/Luzern 2000. 384 S., kt., öS 350,-/e 25,44 Unterschiedliche Sicht der (säkularen) Welt Wenn Kardinal Christoph Schönborn vom 17. bis 22. Februar in den Iran reist, so sind die Dienste des in Mödling-St. Gabriel lebenden Religionstheologen Andreas Bsteh SVD unabdingbar: Bsteh engagiert sich seit Jahren im offiziellen Dialog zwischen Christentum und Islam.

1993 fand in Wien die erste Dialogkonferenz "Frieden für die Menschheit" statt, 1996 folgte eine ähnliche Veranstaltung in Teheran. Das letzte Großtreffen dieser Art beschäftigte sich 1997 - wiederum in Wien - mit der Frage des gesellschaftlichen Pluralismus aus der Perspektive beider Religionen. Dabei sind - ebenso wie beim Problem der Menschenrechte - die Sichtweisen unterschiedlich. Auch die jeweiligen politischen Hintergründe spielten bei diesen Gesprächen eine große Rolle. Im Herbst vergangenen Jahres fand auf Initiative von Andreas Bsteh - in kleinerem Rahmen - ein "christlich-islamischer runder Tisch" statt, der regelmäßig zusammentreten soll.

Bei aller Problematik offizieller Begegnungen ist es lohnend, sich mit dort dargelegten Positionen auseinandersetzen. So zeigt die Dokumentation der Wiener Dialogkonferenz 1997 die Unterschiedlichkeit in der Beurteilung der Politik: Islamische Gelehrte wie der iranische Ayatollah Sayyed M. Khamenei brandmarkten dort den "Säkularismus" als Übel der Welt. Gesprächspartner aus dem westlich-demokratischen Kontext werden solcher Weltsicht entgegentreten müssen. ofri Eine Welt für Alle-. Grundlagen eines gesellschaftspolitischen und kulturellen Pluralismus in christlichen und islamischer Perspektive.

Hg. von Andreas Bsteh (Dokumentation der Zweiten Internationalen Christlich-Islamischen Konferenz. Wien, 13. bis 16. Mai 1997. Verlag St. Gabriel, Mödling 1999. 434 Seiten, PB, öS 364,-/e 26,45

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