Von Gott(los) bis Kirche

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Der Titel ist irreführend: "Eine bessere Welt -ohne Religion?" heißt der von der Grazer Religionswissenschafterin Theresia Heimerl und dem Bamberger Neutestamentler Joachim Kügler herausgegebene Sammelband. Aber schon der Beitrag von Heimerl konterkariert den Titel auf produktive Weise, weist doch die Autorin darin nach, dass die Welt der Popkultur ohne Religion "langweilig" wäre. Analog stellen die 22 Autor(inn)en auf ihre je eigene Weise Zugänge zur Religionskritik von der religiösen Seite her dar.

Religionskritik von religiöser Seite

Anlass für die Publikation war der 60. Geburtstag der Grazer Religionswissenschafterin und Exegetin Ulrike Bechmann. Die kurzen Essays bieten eine Fundgrube an theologischen Zugängen zur Verortung der Religion (und des Christentums) in der Gesellschaft von heute. Paradigmatisch dabei ist der Beitrag des Tübinger Pastoraltheologen Ottmar Fuchs, der in seinen Ausführungen zum Schluss kommt, Religionen, deren Berechtigung er natürlich alles andere als bestreitet, täten gut daran, die Solidarität mit jenen zu lernen, die nicht glauben können - weil, so Fuchs, "es als Beleg für den Glauben nur den diesseitigen Glauben gibt. Es ist ein verrückt schwacher Glaube." Originell, dass er die Religion gleichzeitig zum Verzicht auf die Theodizee, die Rechtfertigung Gottes durch den Menschen angesichts des Leids, auffordert, denn die Theodizee sei der "Kern des Fundamentalismus".

Komplementär dazu beleuchtet Pastoraltheologe und FURCHE-Kolumnist Rainer Bucher das Phänomen der Religion an sich. Natürlich setzen sich Autorinnen auch mit der Frauen-und der Genderfrage (die Neutestamentlerin Irmtraud Frischer oder die Pastoraltheologin Maria Elisabeth Aigner) auseinander. Auch die Mystik kommt in dem Band zu Wort -der Religionswissenschafter Franz Winter redet mit dem postmodernen Denker E. M. Cioran einer "Konvergenz von Skepsis und Mystik" das Wort und fragt gar nach einer "atheistischen" Mystik. Alles in allem ein Band, der zum Weiterdenken und zur Auseinandersetzung mit weiterführender Literatur einlädt.

Eine Summa von Huub Oosterhuis

Gar nicht wissenschaftlich, sondern - wie gewohnt -poetisch verdichtet ist "Alles für alle", das neueste Buch des religiösen Sprachreformers aus den Niederlanden, Huub Oosterhuis. "Ein Glaubensbuch für das 21. Jahrhundert" will das Opus des mittlerweile 85-Jährigen sein. Und dessen Anspruch, das alles gerade für ",Ungläubige', für Suchende und Skeptiker" vorzulegen, wird auch eingelöst. Längst sind nicht mehr nur Oosterhuis' Landsleute, die "ketzerischen" Holländer, religiös unmusikalisch: Auch im deutschen Sprachraum ist christliches Glaubenswissen undfühlen beinahe oder wirklich nur mehr minderheitsfähig.

Dass dieser Verdunstungsprozess wesentlich mit der sorgsamen Pflege religiöser Sprache und Sprachformen zu konterkarieren ist, macht Oosterhuis seinen Lesern wie den Sängern der von ihm getexteten religiösen Lieder seit 60 Jahren klar. "Alles für alle" bietet in dieser Hinsicht eine Summa dieser Bemühungen, in denen er sich in einem Drei(faltigkeits)schritt Gott, Jesus von Nazareth und dem "Leben aus dem Geist" widmet.

Nur als Beispiel, Oosterhuis' Zugang zu Jesus: "In einer jahrhundertealten Tradition von Überleben und Hoffnung gegen Verzweiflung wurde die Jesus-Geschichte eingesetzt im täglichen Kampf gegen Tod in all seinen Gestalten [ ] Die Geschichte einer lebenden, aber bedingungslosen Liebe. In einer Zeit ohne 'Normen und Werte' bekenne ich mich zu dieser Geschichte als einem wehrlosen, unbeweisbaren letzten Maßstab." Schon derartige Zeilen genügen als Leseempfehlung.

Manfred Lütz' "Skandal!"-Buch

Sprachlich kraftvoll und populär verständlich erweist sich der katholische Bestseller-Autor Manfred Lütz im Buch "Der Skandal der Skandale". Der Psychiater und Theologe nimmt sich mit solch schreierischem Gestus der "Geheimen Geschichte des Christentum" an. In gewohnt prägnanter Sprache will Lütz den Erkenntnissen des Münsteraner Kirchenhistorikers Arnold Angenendt zur Geltung verhelfen, der schon vor elf Jahren in seinem Opus "Toleranz und Gewalt" mit Klischees über die Gewalttätigkeit dieser Religion aufgeräumt hat. Für Lütz' Geschmack wurden diese Erkenntnisse viel zu wenig rezipiert, weshalb er nun Ketzerverfolgung, Inquisition oder "abenteuerliche Mythen" zu den Hexenverfolgungen zurechtrückt.

All das hat als Gegenposition zu einer auch vorurteilsbehafteten "Geschichte" des Christentums seine Meriten: Ja, die Inquisition war eine Justizreform, die der Willkür vor Gericht ein geordnetes Verfahren entgegensetzte. Ja, die Hexenverfolgung der Neuzeit wurde im katholischen Europa nur minimal praktiziert usw. Im Endeffekt betreibt Lütz dies alles aber aus einer apologetischen Position heraus.

Heikel wird das im Kapitel über die Unheils-Geschichte der Christen mit den Juden, in der er etwa den Einsatz mittelalterlicher Päpste für die Juden stark betont, aber über das antijüdische, ja antisemitische katholische Schrifttum im 19. Jahrhundert kein Wort verliert.

Auch beim Missbrauchs-Thema versucht Lütz "kirchliche" Schuld in den Kontext von seiner Meinung nach zu wenig beachteten Vorgängen im Bereich von Sportverbänden oder säkularen Bildungsstätten zu stellen. Das Buch ist zwar vor den jüngsten Missbrauchsaufregungen in den USA oder Deutschland erschienen. Aber die Betrachtung mit weniger apologetischem Impetus -und das gilt dem Buch als Ganzes -wäre hilfreicher als der "Skandal!"-Schrei, den Lütz schon im Titel bemüht.

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