Von Mystik bis Geschichte

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Ich dachte dich. Sog dich in meine Seele, / mein Herzgedächtnis [ ] Ergründen wollt ich, was ich mit dir habe. / Ich wog die Texte, die um dich gewoben. (Huub Oosterhuis)

Sei hier zugegen Jesus von Nazaret nacherzählt. Von Huub Oosterhuis. Hg. und übertragen von Cornelis Kok. Patmos 2017.128 Seiten, geb., € 16,50

Sprachen des Helfens Von Franz Küberl. Styria 2017.160 Seiten, geb., € 19,90

Der längste Winter Die vergessene Geschichte der Juden im besetzten Rom. Von Andrea Riccardi. Theiss 2017.462 Seiten, geb., € 30,80

Die Reformation des Bildes Von Joseph Leo Koerner. Aus dem Englischen von Rita Seuß. C.H. Beck 2017.598 Seiten, zahlr. Abb., geb., € 41,10

Seit den 1950er-Jahren hat Huub Oosterhuis in den Niederlanden versucht, die religiöse Sprache zu revolutionieren. Des bald 85-Jährigen Bildsprache sowie der Primat der Poesie in Liedtexten und lyrischen Formen für Gottesdienst und Gebet tragen immer noch. Cornelis Kok, engster Mitarbeiter von Oosterhuis in Amsterdam, hat im Band "Sei hier zugegen. Jesus von Nazaret nacherzählt" dessen "dichterische summa" zusammengestellt und übersetzt. 60 poetische Exkurse sind in dem Buch aneinandergereiht, die man ebenso gut als ein großes Gedicht lesen kann wie als einzelne Fragmente. Betrachtungen in knapper Form, die einen sprachlich nicht loslassen, und die sich an den Bildern und Begrifflichkeiten der Schrift orientieren.

Die biblischen Dichter etwa der Psalmen waren und sind für Oosterhuis immer die Richtschnur, an der er auch sein eigenes Sprechen ausgerichtet hat. Und auch das Wissen, dass nicht die Dogmenverkünder, sondern die Dichter Gott in die Herzen der Menschen zu bringen vermögen: Ich dachte dich. Sog dich in meine Seele, / mein Herzgedächtnis So klingt das, beispielsweise: Ergründen wollt ich, was ich mit dir habe. / Ich wog die Texte, die um dich gewoben. Oosterhuis hält sich an die überlieferten Geschichten von Jesus, er beginnt mit den Kindheitsgeschichten bei Lukas, die er poetisch verkürzt und verdichtet. Und das Ende dieses Lieds ist ja auch altbekannt, aber die mystisch-lakonische Überhöhung rührt auch den heutigen Leser an. Tausend und eine Geschichte entstanden, so paraphrasiert Oosterhuis das Ende des Johannesevangeliums: Wären sie alle auf Blätter geschrieben, / die Welt wär zu klein für so viele Bücher. Die Conclusio dieses Kleinods von einem Buch: Doch diese mussten aufgeschrieben werden, / damit die Hoffnung uns nicht mehr verlässt.

Grammatiken des Helfens

Ein Zug im Salzburgischen. Eine Frau liegt am Boden und röchelt. Ein 20-Jähriger bestiehlt sie. Ein Ehepaar steigt über die Daliegende hinweg und aus dem Zug aus. Nur eine Schülerin tut, was zu tun ist: Sie lagert die Bewusstlose hoch, verständigt Lokführer und Rettung : Schon das erste Beispiel, dass Franz Küberl im Buch "Sprachen des Helfens" anführt, lässt den Leser beklommen zurück. Küberl erspart auch nicht die Frage, ob man sich sicher sei, im Fall des Falles wie die Schülerin zu handeln. Man kann nicht, so die nüchterne Replik des langjährigen Caritas-Präsidenten, dem mit diesem Buch eine kleine, aber wichtige Reflexion über das Helfen gelungen ist.

In elf Kapiteln nähert sich der Autor ganz unterschiedlichen Aspekten -von Haltung, Struktur, aber auch Verirrungen des Helfens. Schon zu Beginn setzt er sich im treffend mit "Lautes Rufen und stummer Schrei" überschriebenen Abschnitt mit der Vielschichtigkeit des Helfens auseinander. Dabei ist es Küberl auch darum zu tun, "Helfen" als "professionelles Tun, gepaart mit einer menschenzugewandten Herzlichkeit" zu beschreiben. Wichtig ist ihm, dass es eben nicht bloß um das mitfühlende Herz, sondern auch um eine Kunst geht, die man erwerben und sich aneignen muss. Natürlich ist beides nötig: Das beherzte Zupacken wie beim geschilderten Beispiel im Salzburger Zug, und der Einsatz eines "gelernten" Helfers.

Dass dabei auch jede Menge ethischer (etwa rund um die Begleitung Sterbender) oder politischer (Wie bekämpft man Armut?) Fragen aufpoppen, versteht sich von selbst. Auch religiöse Grundlagen wie spirituelles Unterfutter sucht dieses luzide Buch gleichermaßen zu vermitteln.

Judenrettung in Rom 1943/44

Ein bewegendes historisches Kapitel hat sich Andrea Riccardi in dem spannenden Band "Der längste Winter" vorgenommen. Der Historiker, Karlspreisträger und Gründer der Gemeinschaft Sant' Egidio beleuchtet in dieser Frucht jahrzehntelanger Forschungsarbeit "Die vergessene Geschichte der Juden im besetzten Rom".

Zwischen September 1943, als die Deutsche Wehrmacht Rom besetzte, und Juni 1944, als die Alliierten die Ewige Stadt befreiten, herrschte nicht nur, aber gerade für die Juden ein "langer Winter": Die Deutschen suchten aller Juden habhaft zu werden und sie in die Vernichtungslager zu transportieren. Gleichwohl gelang es mehr als 10.000 Juden, in Rom zu überleben - oft auch versteckt in katholischen Klöstern und Einrichtungen.

Riccardi erzählt in beinahe journalistischem Stil (der ob der Fülle der Ereignisse, die das Buch beschreibt, manchmal mühsam zu lesen ist), unzählige der Geschichten von Überleben und Ausgeliefertsein. Es gelingt dem Autor, ein Panorama einer bunten, ja verschworenen Welt zu zeichnen, von der Nichtrömer bis heute wenig Ahnung haben. Das Buch ist von daher ein unabdingbares Zeugnis über Menschlichkeit und Gewitztheit, den deutschen Besatzern eins auszuwischen.

Naturgemäß widmet Riccardi auch dem Verhalten von Pius XII. viel Raum; wahrscheinlich macht er sich bei jenen, die den Pontifex als Papst des Schweigens vor den NS-Gräueltaten verdammen wollen, wenig Freunde. Es ist Riccardi jedoch keineswegs darum zu tun, Pius XII. von irgendetwas "reinzuwaschen". Aber er versucht, die Handlungen des Papstes, auch sein Schweigen und sein gleichzeitiges, von den Römern dieser Tage überaus geschätztes Wirken im Hintergrund, zu beleuchten.

In zweifacher Hinsicht -als Darstellung einer funktionierenden Solidargemeinschaft mitten im Wahnsinn der Jahre 1943/44 und als Ausleuchten des Handelns der katholischen Kirchenspitze jener Jahre -gelingt Riccardis Monografie eine wichtige historische Klarstellung, die kaum genug zu würdigen ist.

Bilder und Reformation

Als Nachschlag zum Reformationsjubiläum kann schließlich die umfängliche Auseinandersetzung "Die Reformation des Bildes", die der in Harvard lehrende Kunsthistoriker Joseph Leo Koerner anstellt, empfohlen werden, die nun, zehn Jahre nach der englischsprachigen Ausgabe, auch auf Deutsch verfügbar ist. Ausgehend vom Reformationsaltar Lucas Cranachs dem Älteren in der Stadtkirche Wittenberg, der ins Jahr 1547 datiert, analysiert Koerner die Auswirkungen des Bildersturms der Reformation auf die Bilderwelt und Ikonografie danach.

Die Frage, wie ein verborgener Gott fortan bildlich darzustellen ist, trieb die Künstler rund um die Reformatoren um. Koerner kommt in seinen reich bebilderten und argumentierten Ausführungen zu überraschenden Ergebnissen: Die Reformatoren propagierten einen Primat des Wortes, sie gaben vor, die spätmittelalterliche, oft handgreiflich dargestellte Bilderwelt durch Verinnerlichung und Verborgenheit auch im visuellen Ausdruck zu ersetzen.

Interessanterweise kommt Koerner zur Erkenntnis, dass dies misslungen ist: "Nach Jahrhunderten, in denen Bilder, dem Wort untergeordnet, der Unterweisung dienten, brachte die lutherische Kultur ein Bild hervor, das über Worte hinausgeht." Allein um diese These zu überprüfen, zahlt es sich aus, dem Buch "Die Reformation des Bildes" Aufmerksamkeit zu schenken.

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