"... von unserer Kirche im Stich gelassen ..."

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Noch bevor Bischof-Koadjutor Raul Vera dem legendären Oberhirten Samuel Ruiz nachfolgen konnte, wurde er ans andere Ende Mexikos versetzt.

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Noch bevor Bischof-Koadjutor Raul Vera dem legendären Oberhirten Samuel Ruiz nachfolgen konnte, wurde er ans andere Ende Mexikos versetzt.

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Der Zeitpunkt war gut gewählt. Während die Welt gebannt auf den bevorstehenden Jahreswechsel mit seinen medial hochgepuschten Gefahrenpotentialen schaute, landeten die vatikanischen Behörden einen wohl von langer Hand geplanten Coup: Per Dekret vom 29. Dezember 1999 wurde der Koadjutor der Diözese San Cristobal de Las Casas im mexikanischen Bundesstaat Chiapas, Bischof Raul Vera Lopez, seines an sich verbrieften Nachfolgerechtes beraubt und in die nordmexikanische Diözese Saltillo versetzt, oder sollte man sagen: verbannt. Na und, könnte da einer meinen, was geht uns eine Diözese in den Bergen Mexikos an und die bisherige Medienreaktion in Österreich entsprach dem ja auch.

In Chiapas allerdings geht es um mehr, als um irgendeinen kleinen in vatikanische Ungnade gefallenen Moraltheologen.

Der weltweit bekannte, aber politisch und auch innerkirchlich umstrittene Bischof Samuel Ruiz Garcia, 40 Jahre lang Bischof - genannt: "Tatic" (geliebter Vater) - der überwiegend von Indios bewohnten Diözese, hat erst vor wenigen Wochen, altersbedingt seinen Rücktritt eingereicht. Also, so meinte man wohl im Vatikan, müßte gründlich klar Schiff gemacht werden, um endlich die Beziehungen zwischen der Kirche und den Mächtigen des Landes zu verbessern, das durch die beiden bischöflichen Störenfriede stark gelitten hatte. Sie hatten die Optionen für die Armen einfach zu ernst genommen, sich uneingeschränkt an die Seite der bedrängten und in ihrer Existenz bedrohten "Indigenos" gestellt, versucht Frieden zu stiften, zwischen den zapatistischen Rebellen und der Regierung, statt, wie es sich für gute Bürger gehörte, bei deren Eliminierung zu helfen und endlich den in- und ausländischen Konzernen den Weg zur Ausbeutung der immensen Bodenschätze von Chiapas zu ebnen. Also weg mit ihnen, zwei bischöfliche Fliegen auf einen Streich. Das mag der Blickwinkel sein - und der andere?

Aufschrei in Chiapas Ein Aufschrei gellt in diesen Tagen durch die unter starkem politischen und militärischem Druck stehenden Diözese. Die Versammlung der pastoralen Mitarbeiter stellt fest: "Ohne unsere Bischöfe prüft diese Nachricht zutiefst unseren Glauben und unsere Kirchentreue. Wir spüren unsere Gebrechlichkeit und vereinen uns mit dem Kreuz Christi. Wir fühlen uns jetzt auch von unserer Kirche im Stich gelassen."

In einer Botschaft vom 1. Jänner 2000 schreibt die Indio-Gemeinschaft Las Abejas: "Wir sind in ein neues Millennium getreten, aber der Krieg in unserem Land geht weiter mit tausenden Flüchtlingen, mit Drohungen seitens paramilitärischer Gruppen, einer zunehmenden Militarisierung und einem Dialog der zugunsten heuchlerischer Phrasen aufgegeben wurde. Und heute erleben wir die Versetzung unseres Hirten Don Raul. Er hat mit uns gegessen, er hat bei uns gewohnt, er kannte uns. Man kann doch die Herde nicht ohne Hirten lassen, während der Frieden sich immer weiter von uns entfernt. Wir werden als Waisen zurückbleiben, wenn unsere Hirten uns verlassen."

Und die unabhängige Tageszeitung La Journada fragt auf der Titelseite am 4. Jänner: "Ob die Männer in den dunklen Gängen der vatikanischen Macht wissen, was sie tun?"

Im Dekret vom 29. Dezember ist von spirituellen und schweren kirchlichen Gründen die Rede, die zu diesem Schritt seitens des Vatikan geführt hatten. Was diese Gründe seien? - fragen die Mitarbeiter der Diözese und erbitten dringend Antwort, in einem Brief vom 6. Jänner. Auf die Antwort werden sie wohl vergeblich warten, so wie ihnen auch Justo Mullor Garcia, der Apostolische Nuntius in Mexiko jede Antwort verweigerte.

40 Jahre Kampf Aus der Entwicklung der letzten Jahre kann man sich allerdings einen Reim darauf machen: Die indigene Bevölkerung war immer unterdrückt und an den Rand gedrängt. 40 Jahre kämpfte Bischof Samuel Ruiz an der Seite des Volkes um Gerechtigkeit. Mit der NAFTA, dem Wirtschaftsbündnis der drei nordamerikanischen Staaten, wurde allerdings eine weitere Verschlechterung für die Armen und eine Stärkung der Großgrundbesitzer wie ausländischer Konzerne befürchtet, da auch die Verfassung zu deren Gunsten geändert worden war.

Dagegen stand in der Nacht zum 1. Jänner 1994 die Rebellenbewegung der Zapatistas auf. An diesem Tag wurde der NAFTA-Vertrag unterzeichnet. Ein bewaffneter Aufstand im Land - dem schwächsten Glied der neuen Kette - war der PRI, der in Mexiko seit mehr als 70 Jahren uneingeschränkt regierenden Partei, verständlicherweise peinlich. Man brauchte einen schnellen Frieden. Samuel Ruiz bot sich als Vermittler an, man griff sein Angebot auf und wenige Wochen später hatte man einen Vertrag mit weitgehenden Zugeständnissen an die indigene Bevölkerung, vor allem was den Schutz ihrer Identität und die autonome Gestaltung ihres Lebens und ihres Gemeinwesens angeht.

Dann aber stellte sich schnell heraus, daß der sogenannte "Acuerdo de San Andres" das Papier nicht wert war, auf dem er geschrieben war. Die Hinhaltetaktik begann, der ausgerufene Dialog verwässerte und ein dicht gewebtes Lügengespinst verdüsterte die Lage mehr und mehr, bis sogar Don Samuel aufgab und sich zurückzog: Nicht eines der großen Versprechen wurde bis heute erfüllt. Im Gegenteil, die Unterdrückung wurde härter, die Militarisierung mit tatkräftiger Unterstützung der USA verstärkt. Mehr als 70.000 bestausgerüsteter Soldaten wurden in den Bergen von Chiapas stationiert, die die Menschen mehr und mehr verängstigten und in die Enge drängten mit dem Ziel, die Kämpfer des EZLN, des "Ejercito zapatisto para la liberacion nacional" aus der Reserve zu locken und zu Gewaltakten zu provozieren. Dies blieb bis heute ohne Erfolg.

Massaker von Acteal Da die Armee sich die Hände aber nicht wirklich schmutzig machen wollte - die Regierung hatte ja in San Andres einen einseitigen Waffenstillstand erklärt - wurden immer mehr der verängstigten, verarmten jungen Bauern und Landarbeiter in paramilitärischen Gruppen rekrutiert und zu reißenden Bestien ausgebildet, wie am Beispiel des Massakers von Acteal am 22. Dezember 1997 deutlich wurde: 45 Menschen, Angehörige der gewaltfreien Organisation Las Abejas, 21 Frauen, 15 Kinder und neun Männer wurden während eines Friedensgebets regelrecht geschlachtet.

Damals schrie die Welt auf, ausländische Journalisten kamen ins Land, und auch ich stand am 31. Dezember 1997 auf dem blutgetränkten Boden des Dörfchens Acteal, als mehr als 2.000 Indigenos zu einer katholisch-indigenen Totenfeier zusammengeströmt waren. Spätestens damals wurde mir und vielen anderen klar, daß diese armen und bedrängten Menschen in diesem Land niemanden haben, der sie stärkt und schützt, als die Männer und Frauen ihrer Kirche, der Kirche von Chiapas, mit ihren Bischöfen Samuel Ruiz und Raul Vera.

Jetzt stehen sie alleine da und ohne jeden Schutz, denn den Mächtigen und Reichen der mexikanischen Oligarchie geht es nicht um sie und ihr Schicksal. Ihnen und den potenten und ungeduldig gewordenen amerikanischen Konzernen geht es um den freien Zugang zu den Bodenschätzen, zum Erdöl vor allem. Die vielversprechendsten Vorkommen liegen just unter jenen Waldgebieten, in die sich die Zapatisten zurückgezogen haben.

Schlag gegen Diözese Juan Banuelos, ein aus Chiapas stammender, hoch dekorierter Literat, urteilt zornig: "Der Vatikan folgt der Politik des wilden Kapitalismus, der alles beiseiteschiebt, was nicht produziert und konsumiert. Und da diese Menschen nicht produzieren und konsumieren, haben sie kein Recht. Sie zählen nicht und dafür ist das, was jetzt geschieht, ein deutliches Zeichen."

Und sogar die als eher regierungsfreundlich bekannte Zeitung Proceso titelte am 2. Jänner: "Schlag gegen die Diözese San Cristobal" und schrieb unter anderem: "Nach langen Jahren des Drucks und der Intrigen triumphieren jene Kräfte der Kirche und der Regierung, die von Anfang an mit der Option für die Armen Schluß machen wollten."

Chiapas liegt längst hinter einem Vorhang des Verschweigens. Ausländische Priester wurden ausgewiesen, oder wie der Leiter des Menschenrechtszentrums P. Pablo Romo, unter Druck von seinem Orden, den Dominikanern, nach Rom zurückbeordert. Zeugen von außen will man nicht mehr, Fremde werden bei der Einreise oft peinlich befragt, ob sie denn ja nicht nach Chiapas fahren. Und jetzt werden auch die unangenehmen Zeugen und Mahner von ihnen, wie Don Samuel und Don Raul nicht mehr aufschreien und die Welt informieren können. Man hat den Armen mit der Entfernung ihrer Bischöfe, ihre Stimme genommen. Der Vorhang fällt über Chiapas und die Kirche wird sich den Vorwurf gefallen lassen müssen dies nicht verhindert zu haben, wer immer der neue Bischof sein mag.

Zum Thema Chiapas: Daten zum (Kirchen-)Konflikt 1994: Am 1. 1. beginnt der Zapatisten-Aufstand in Chiapas. Schon wenige Tage später versucht Bischof Samuel Ruiz Garcia zwischen Rebellen und Regierung zu vermitteln.

1995: Samuel Ruiz, der sich - trotz Todesdrohungen - für die Rechte der Indios einsetzt (und dafür auch für den Friedensnobelpreis nominiert ist), wird auf verschiedene Weise politisch und innerkirchlich denunziert. So beschuldigt ihn Bischof Javier Lozano im Fernsehen der Veruntreuung von deutschen Spendengeldern zur Unterstützung der Guerilla. Kardinal Juan Sandovan Iniguez behauptet öffentlich, der Vatikan habe Don Samuel zum Rücktritt aufgefordert. Bischof Ruiz tut jedoch nichts dergleichen. Daraufhin wird im August Bischof Raul Vera Lopez zum Koadjutor mit Nachfolgerecht ernannt. Der eingesetzte Koadjutor schwenkt - nach dem Kennenlernen der Situation - jedoch ganz auf die pastorale und politische Linie von Bischof Ruiz ein.

1996: Am 16. 2. wird der "Acuerdo de San Andres" über Rechte und Kultur der indigenen Bevölkerung von Chiapas abgeschlossen. Allerdings wird der Vertrag von der Regierung nicht eingehalten; auch in der Folge gelingt es nicht, der Gewalt ein Ende zu bereiten.

1997: 22. 12.: Massaker von Acteal.

1998: Bischof Ruiz tritt wegen der Erfolglosigkeit seiner Bemühungen als Vorsitzender der Vermittlungskommission für Chiapas zurück.

1999: Am 3. 11. wird Samuel Ruiz 75 und reicht in Rom den Rücktritt ein. Die mexikanische Bischofskonferenz veröffentlicht ein vom Nuntius mitunterzeichnetes Schreiben, in dem angedeutet wird, daß Bischof Vera nicht Nachfolger Ruiz' wird. Am 29. 12. gibt Rom die Versetzung Veras nach Nordmexiko bekannt. Gleichzeitig - völlig unüblich - erläutert der Vatikan: "Die Tatsache, daß Bischof Vera Lopez San Cristobal des las Casas verläßt, bedeutet keineswegs, daß die Kirche ihr Engagement für den Frieden ... in Chiapas verringert."

2000: Am 5. 1. erklärt Bischof Vera der französischen Tageszeitung "La Croix" zu seiner Versetzung: "Ich bin traurig, aber das Kreuz ist Teil unseres Lebens." Das Rücktrittsgesuch von Bischof Ruiz liegt weiter in Rom.

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