Von "zeitlos" bis "zeitgemäß"

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Eine groß angelegte Studie über Priestersein in Europa brachte überraschende Ergebnisse: Die befragten Priester sind grundzufrieden und haben viel weniger Probleme mit dem Zölibat, als manche Beobachter des Kirchengeschehens annehmen.

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Eine groß angelegte Studie über Priestersein in Europa brachte überraschende Ergebnisse: Die befragten Priester sind grundzufrieden und haben viel weniger Probleme mit dem Zölibat, als manche Beobachter des Kirchengeschehens annehmen.

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Die vatikanische Kleruskongregation hatte über die Nuntien den Bischöfen Anweisung gegeben, die Priester von einer Beteiligung an der Studie Priester 2000 abzuhalten: Sie sollten sich dafür einsetzen, "von der Kirche die Schäden abzuwenden, die von der Durchführung einer solchen Initiative zu befürchten sind". Wovor hatte die Kleruskongregation Angst? Es gab auch andere Töne. Ein deutscher Bischof forderte seine Priester auf, sich zu beteiligen: Es sei ein mitbrüderlicher Dienst, den sie dadurch leisten. Und die befragten Priester selbst? Sie haben die Hoffnung, dass ihnen die Umfrage gut tut: für die Entwicklung ihres Dienstes und ihres Lebens.

Das war das Ziel der Arbeitsstelle für kirchliche Sozialforschung in Wien, mit der Studie Grundlage für eine verantwortliche Personalentwicklung der Priester zu leisten. Mit 51 Priestern wurden Tiefengespräche geführt. Die Texte umfassen über 1.200 Seiten. Dann wurde der Fragebogen entwickelt, getestet, mit Priestern durchgesprochen. Schließlich wurden Priesterräte für die Mitarbeit gewonnen. Vereinzelt haben jene, die dann mitgemacht haben, die Unterstützung ihres Ortsbischofs erhalten. In anderen Fällen wollte der Ortsbischof den einhelligen Wunsch des Priesterrates nicht behindern.

Allein die Vorgänge vor der Umfrage sind eine Lesehilfe, wohin sich das Klima in der Kirche entwickelt. 1971 waren in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz die Priesterumfragen im Auftrag der Bischofskonferenzen erfolgt. Jetzt gab es keine einzige Bischofskonferenz, die sich der Umfrage anschloss. Wenn man bedenkt, dass der Sinn sorgfältiger empirischer Forschung nichts anderes ist, als überprüfbar hinzuschauen, dann gewinnt man den Eindruck, dass die offizielle Devise Wegschauen heißt. Wie soll man aber dann fundiert Personalentwicklung betreiben?

Die Umfrage Fast 2500 Priester haben den Fragebogen beantwortet. Das sind etwa 40 Prozent der ausgeschickten Fragebögen. Die eingesandten Fragebögen bilden den Klerus der einzelnen Diözesen gut ab. Die Ergebnisse besitzen hohe Aussagekraft. Beteiligt haben sich Priester aus Österreich, Deutschland West und Ost, der Schweiz, Kroatien und Polen. Eine Kontrollgruppe von Priesteramtskandidaten aus Deutschland und Österreich rundet das Bild.

Grundzufrieden Auf der Folie der Angst der Kleruskongregation und des in der katholischen Kirche als ganzer und im Klerus besonders beliebten Jammerns überrascht, dass zwei Drittel der Priester grundzufrieden sind: Zufrieden sind sie mit ihrer beruflichen Arbeit. Sie würden - stünden sie neuerlich vor der Entscheidung, wieder Priester werden. Sie raten jungen Menschen (von sich aus beziehungsweise auf deren Frage) Priester zu werden.

Grundlage für solche Zufriedenheit sind die Stärken des Priesterberufs, denen die Studie hohe Aufmerksamkeit gewidmet hat. Natürlich kennen Priester auch Belastungen. Aber die Balance zwischen Irritation und Gratifikation ist bei den Priestern positiv. Sie erleben bei allen Irritationen mehr "Belohnungen": Sie können ihren Berufsalltag weithin selbst bestimmen, haben gutes soziales Ansehen, ihre Arbeit kreist um Gott ebenso wie sie an der Seite der Biographie der Menschen stehen. Sie sehen zwar Widerstände in der Kultur und einen hohen Reformbedarf in der Kirche. Aber das ändert wenig an ihrer Grundstimmigkeit.

Zölibat Auch der Zölibat beschädigt ihre Grundstimmung nicht. Natürlich gibt es einige, die diese Lebensform nicht aushalten. Auch sind unter den befragten Priestern einige "liiert". Aber diese Gruppe hatten wir größer eingeschätzt. Voyeuristische Medien wie Zölibatsgegner werden ziemlich enttäuscht sein. Natürlich sagen nicht wenige Priester, dass der Zölibat für die Jungen eine hohe Hürde ist. Ähnlich stark aber wirkt bei den jungen das Gefühl, dass der Beruf des Priesters sie lebensmäßig überfordert.

Nicht die Ehelosigkeit bedrängt also die Priester, auch wenn manche besorgt sind, im Alter zu vereinsamen (das ist aber ein Problem auch vieler verwitweter Menschen). Aber sie haben das Gefühl, dass diese Lebensform weder gesellschaftlich noch kirchlich Unterstützung findet. Daraus lassen sich Schlüsse ziehen. Wenn der Zölibat nicht unterstützt wird, dann bedeutet dessen "Freistellung" seine Abschaffung. Zudem: Fehlt die Unterstützung, dann wird die Bindung des Priesteramts an die ehelose Lebensform zunehmend zynisch. Denn die Kirche sagt dann (in ihrem Amt): Lebt ehelos! Zugleich sagt die Kirche (in ihrem Volk): Wir unterstützen euch dabei nicht. Wird es in unseren Breiten - in dieser Kultur! - der Kirche gelingen, ehelos Lebenden Unterstützung zu geben? Die Priester sagen nicht zu Unrecht mit großer Mehrheit, dass auch dann, wenn der Zölibat freigestellt würde, junge ihn nicht wählen würden, weil sie niemand dabei unterstützt.

Amtstypen Man könnte meinen, in der katholischen Kirche gebe es lediglich ein einziges Amtbild. Dieses ist lehramtlich definiert. Es findet sich in den zahlreichen und dicken Priesterbüchern von Dogmatikern. Dieses eine Amtsverständnis sollten alle haben, die Priester in der katholischen Kirche sein wollen.

Genau das spielt das Priesterleben nicht. Jeder Priester, so die Studie, ist ein "Sonderfall". Zugleich gibt es unter Priestern Verwandtschaften. Rechnerisch lassen sich die amtsbildverwandten Priester gruppieren. Je mehr Typen gebildet werden, desto geringer sind die Unterschiede zwischen den Typen. Um die Trennschärfe zwischen den Priestertypen zu erhalten, haben wir vier Typen herausgearbeitet.

* Da ist zunächst der zeitlose Kleriker. Er stützt sich auf Weihe, auf die Berufung durch Christus. Sein innerstes Wesen wird vom Priesteramt erfasst. Dieses sein Priesteramt verdankt sich unmittelbar Christus. Es ist das gleiche Amt seit seiner "Einsetzung durch Christus" - zeitlos also. Sie haben - fachlich formuliert - ein "christomonistisches" Amtsverständnis.

* Daneben gibt es Priester, die ebenso stark in Weihe und Berufung verwurzelt sind. Aber sie sind offen für eine historische Entwicklung des priesterlichen Amtes. Wir haben sie die zeitoffenen Gottesmänner genannt. Ihre Offenheit dehnt sich auch aus auf die Offenheit hin zur Welt und zur kirchlichen Gemeinde. Sie schaffen es, Brücken zu bauen zwischen der Herkunft und der Gegenwart, zwischen Christus und der Gemeinde. Ihr Amtsverständnis kann somit als "pontifikal", brückenbauend gelten.

* Der dritte Typ hat von uns die Bezeichnung zeitnaher Kirchenmann erhalten. Er fühlt sich auch persönlich berufen und geweiht, aber weniger auf eine Gemeinde hin. Sein Dienst spielt sich mehr auf der Ebene der Kirche, der Institution ab. Er macht aus der Berufung einen Beruf. Sein Amtsverständnis wird von uns deshalb als "vokativ" charakterisiert.

* Und dann der zeitgemäße Gemeindeleiter. Er denkt geschichtlich, weiß sich gemeindlich gebunden. Er schätzt das Priestertum, das aus der "Christenweihe" der Taufe kommt, hoch ein, er weiß sich als Bruder unter Brüdern und Schwestern. Den alten Bildern der Christus-Repräsentation wie der Gemeinde-Repräsentation traut er wenig. Wichtig ist ihm das kirchengemeindliche Leben. Er hat ein "ekklesiales Amtsverständnis".

Diese Vielfalt führt zu einem ersten markanten Ergebnis: Erst alle vier Typen zusammen ergeben das Presbyterium in einer Diözese. Je nach Land und Region sind die Priester auf diese vier Typen unterschiedlich verteilt. In den nachkommunistischen Kirchenregionen (Kroatien, Polen, Deutschland Ost) gibt es mehr zeitlose Kleriker und zeitoffene Gottesmänner als zeitgemäße Gemeindeleiter. Die zeitnahen Kirchenmänner wiederum verlangen nach guten finanziellen Möglichkeiten und sind daher am ehesten in Westdeutschland oder in der Schweiz anzutreffen.

Geschichte Wie aber können in einem einzigen Klerus - zur selben Zeit, womöglich mit demselben Dogmatikprofessor - die Priester so unterschiedliche Amtsauffassungen haben? Wir sind dabei - neben unbekannten Ursachen - auf zwei Hauptfaktoren gestoßen: die Geschichte der Amtstheologie sowie die Auseinandersetzung mit der modernen Welt.

Theologische Positionen, die in der Kirche einmal erreicht werden, bleiben. Und geht die Entwicklung weiter, dann bleibt das frühere wie eine tiefere Schicht erhalten. Die Amtstheologie des Zweiten Vatikanums baut auf jener des Konzils von Trient auf, und sie entwickelt sich nach dem Konzil weiter. Die Überraschung der Studie ist, dass in einem einzigen Presbyterium diese Schichten an die Oberfläche kommen. Sie liegen nicht mehr übereinander, sondern nebeneinander. So stützen sich die zeitlosen Kleriker mehr auf das Amtbild des Tridentinums. Die zeitoffenen Gottesmänner sind dem Zweiten Vatikanum verbunden. Die zeitnahen Kirchenmänner spiegeln die Professionalisierungsdebatte der achtziger Jahre wider. Die zeitgemäßen Gemeindeleiter sind Abbild zeitgenössischer Gemeindetheologie.

Die Bindung an eine legitime Schicht der Geschichte des Priesteramts verleiht den einzelnen Typen ihren Wert. Ihre Stärke ist aber die mögliche Ursache einer tiefen Gefährdung. Der zeitlose Kleriker kann "klerikal" werden, der zeitoffene Gottesmann hält die Spannung zwischen Christus und Gemeinde nicht durch, der zeitnahe Kirchenmann verkommt zum liberalen Pfarrherrn, der zeitgemäße Gemeindeleiter weiß vor lauter Brüderlichkeit nicht mehr, wozu er geweiht ist.

Modernisierungsstress Aber warum wird der eine Priester zeitloser Kleriker, ein anderer hingegen moderner Gemeindeleiter? Hier ist maßgeblich, wie es ein Priester mit der heutigen Kultur hält. Fast alle erleben zwischen der "modernen" Kultur und dem kirchlichen Leben eine Spannung. Priester - aber nicht nur sie, sondern wohl auch alle ChristInnen - positionieren sich in diesem Spannungsfeld "alte" Kirche und "moderne" Welt. Zeitlose Kleriker leben dann weltabgewandt, zeitoffene Gottesmänner weltzugewandt. Zeitnahe Kirchenmänner erweisen sich als weltgewandt, zeitgemäße Gemeindeleiter als weltverwandt.

Das Amtsbild der Priester bildet sich also nicht nur in der Begegnung mit der Geschichte des kirchlichen Amtes. Eine Schlüsselrolle spielt die Begegnung mit der "modernen" Kultur. Die Zeitlosen stilisieren ihr Amtsbild anders als die Zeitgemäßen. Dazwischen stehen die Zeitoffenen und die Zeitnahen. Priester leben im Modernisierungsstress.

Auch dieses Ergebnis ist tröstlich und herausfordernd in einem. Denn während die Zeitlosen gute Anwälte der Tradition sind, sind die Zeitgemäßen verlässliche Anwälte der Situation. Beide brauchen einander.

Personalentwicklung In der knappen Veröffentlichung "Sie gehen und werden nicht matt" (Zulehner/Hennersperger) steht am Beginn ein Selbsttest für Priester. Er kann auch dazu genutzt werden, annähernd das Amtsbild eines Priesters zu erkennen, mit dem man arbeitet oder in einer Gemeinde zu tun hat. Am Ende des Buches findet sich ein "Priesterspiegel". Priester sollen gewonnen werden, ihre (begrenzten) Stärken deutlich(er) wahrzunehmen. Noch mehr: Sie sollen in die Schule eines Priesters mit einem anderen Amtsbild gehen. Dann würde die Vielfalt nicht in Lagerbildung und destruktive Belagerung ausarten. Die Vielfalt an begrenzten Amtsbildern könnte für eine Ortskirche zum belebenden Reichtum werden.

Der Autor ist Professor für Pastoraltheologie und Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

Tipps "Sie gehen und werden nicht matt" (Jes 40,31). Priester in heutiger Kultur. Von Paul M. Zulehner und Anna Hennersperger. Schwabenverlag, Ostfildern 2001. 100 Seiten, geb., öS 145,-/e 10,50 Priester im Modernisierungsstress. Ergebnisse der Studie PRIESTER 2000. Von Paul M. Zulehner. Schwabenverlag, Ostfildern 2001. Erscheint im November.

CD-ROM mit den Linearergebnissen der Studie PRIESTER 2000. Zu beziehen bei der Arbeitsstelle für kirchl. Sozialforschung, 1090 Wien, Maria-Theresienstr. 2/24-25, E-Mail: afks.pastoraltheologie@univie.ac.at

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