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Vorhut der „viriprobati”?

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Mit der Weihe Verheirateter zögert die katholische Kirche, mit der Weihe von Witwern nicht.

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Mit der Weihe Verheirateter zögert die katholische Kirche, mit der Weihe von Witwern nicht.

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Am 29. Jänner dieses Jahres wurde in Freiburg (Schweiz) der fünffache Vater und 66jährige sehr angesehene Chefredakteur der „Freiburger Nachrichten” nach 34jähriger sehr glücklicher Ehe unter der größten Aufmerksamkeit im Freundeskreis wie auch in der breiten Öffentlichkeit zum römisch-katholischen Priester geweiht. Sein eigener Lebensrückblick liest sich wie ein Modellfall, der konstruiert wurde, um den Pflichtzölibat für die Priester zu hinterfragen, die außerhalb einer klösterlichen Lebensgemeinschaft leben.

Erich Camenzind hatte schon als Bub den Ruf zum Priestertum verspürt und sich schon im Jahre 1955 bei den Bethlehem-Missionaren in Immensee auf die Priesterweihe vorbereitet. Er hatte sich dort sehr wohl gefühlt und ist von dort schweren Herzens weggegangen, um . „Abschied zu nehmen von einem Ideal, das (er) während zwölf Jahren verfolgt hatte”, als ihm als 24jährigem klar wurde, daß er nicht zölibatär durch das Leben gehen, sondem eigentlich eine Familie gründen wollte. So habe er dann an der Universität Freiburg seine künftige Frau kennengelernt. Ihr Unfalltod im Jahre 1991 ließ den Ruf zum Priestertum wieder laut werden, der „irgendwie immer schon da war'.

Im Grunde genommen hat seine Tätigkeit immer zwischen öffentlichem und kirchlichem Engagement gependelt: Zunächst als glücklicher Lehrer, dann fast 20 Jahre lang als Leiter des Sekretariates des Missionsrates, in dessen Rahmen er an der Gründung des Laienhelfer-Werkes Interteam wesentlich beteiligt gewesen ist, das der Missionsund Entwicklungsarbeit viele Berufsleute vermittelt hat. Dabei konnte er mit seiner Familie die Zuversicht der jungen Kirche in Afrika und Asien erleben.

Während der folgenden sechzehn Jahr leitete er als Chefredakteur „mit gutem

Stil und hohem ethischen Verständnis” in der zweisprachigen Stadt die einzige deutschsprachige Tageszeitung „Freiburger Nachrich-ten'\

Erich Camenzind war stets bemüht, dem Leitspruch unserer gemeinsamen Studentenverbindung „Staufer” zu folgen: „Duc in altum!” -nach Lukas 5,4, wo Jesus seinen Jüngern befiehlt, weit ins offene Wasser hinauszufahren, um zu einem sicheren Fischfang zu gelangen.

Als Pfarrer von St. Michael und als Kaplan von Notre Dame im zweisprachigen Lausanne wird er zwar in seiner Pfarrei wohnen, seiner Kinder wegen aber behält er in seinem Haus in Freiburg, wo er die Hauptwohnung einem Sohn übergeben hat, zwei Zimmer. Wenn irgend möglich, wird er einmal in der Woche auch in Villars-sur-Gläne in „unserem Haus” sein, welches weiterhin „Eltern- und Vaterhaus” bleiben soll. Da die Kinder die Mutter verloren haben, möchte er ihnen nicht auch noch den Vater nehmen.

Die Tatsache, daß er Vater ist und daß er sich von den Kindern nicht zurückziehen möchte, ist auch der Grund, warum er Weltpriester wurde. Würde er in Zukunft seine Vaterrolle nicht wahrnehmen, dann würde er „etwas ganz Zentrales” in seinem Leben nicht erfüllen.

Für den nun lebens- und familienerfahrenen Neupriester ist die Kirche nicht einfach Hierarchie, sondern vor allem Basis, die eine ganzheitliche und menschenbefreiende Botschaft als Orientierungshilfe braucht. Er möchte sich besonders jener Menschen annehmen, die glauben, sich mit der Kirche nicht mehr identifizieren zu können, und die vor allem - wie er selbst - unter der disziplinaren Seite der Kirche leiden (zum Beispiel durch die Amtsenthebung von Bischof Gaillot).

Er möchte sich besonders der zwischenmenschlichen Beziehungen annehmen, die sich aus dem Zusammenwirken von Liturgie, sakramentalem Leben und persönlichem Alltag ergeben. Er hofft, daß sein Entschluß auch dazu beiträgt, daß die Kirche den Weg für die Weihe von „viri probati” vorantreibt.

Ist angesichts des so dringenden Bedarfes nach lebenskundiger Seel- und Sinnsorge und den wachsenden Problemen mit einer flächendecken-den Versorgung mit sakralen Diensten der Tod seiner Gattin wirklich die notwendige Voraussetzung dafür, daß dieser in Leben und Kirche bewährte Arbeiter den Weinberg betreten durfte? Mußte er erst Witwer werden? Dürfen wir Gott wirklich um mehr kirchliche Berufe- bitten, wenn wir nicht gleichzeitig unsere Ressourcen an geistlichem Humankapital voll genutzt haben?

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