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Vorrang für das Gewissen

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Die Kirche bemüht sich seit dem Zweiten Vatikanum wieder, mit den Wissenschaften und vor allem mit der Medizin ins Gespräch zu kommen.

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Die Kirche bemüht sich seit dem Zweiten Vatikanum wieder, mit den Wissenschaften und vor allem mit der Medizin ins Gespräch zu kommen.

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Unter welcher Voraussetzung tritt die Kirche in das Gespräch über ärztliche Ethik ein? Diese Frage scheint wichtig zu sein, da nicht selten gerade in der Naturwissenschaft die Angst besteht, die Kirche käme zunächst mit einem Katalog von Normen, die sie nach ihrer Art aus dem Naturrecht und dem Göttlichen Recht, wie es uns in Ansätzen in der Heiligen Schrift geoffenbart wurde, ableitet und ziehe allzu schnell Konsequenzen für Einzelbereiche des menschlichen Lebens, sogar der Wissenschaft. Diese Angst ist berechtigt, wo immer die Kirche sich allzu bald in eine Kasuistik eingelassen hat. Am Zweiten Vatikanischen Konzil hat man dies, in der Pastoralkonstitution „Über die Welt in der Kirche von heute“, sehr offen zugegeben. Es heißt dort: „Nun scheinen viele unserer Zeitgenossen zu befürchten, daß durch eine engere Verbindung des menschlichen Schaffens mit der Religion die Autonomie des Menschen, der Gesellschaft und der Wissenschaft bedroht werde“. (GS 36) Gerade aus den Grundsätzen des Zweiten Vatikanums möchte ich drei herausgreifen, die, wie ich meine, das Gespräch der Kirche über ärztliche Ethik und mit Ärzten legitimiert.

1. Die Kirche erkennt den Eigenstand der Wissenschaft und damit im rechten Sinn verstanden ihre Autonomie an. (Siehe Kasten Punkt 1)

So plausibel diese nebenstehende Feststellung klingt, war sie doch am Konzil selbst umstritten. Allzu deutlich gibt hier die Kirche ihren bisher oft krampfhaft festgehaltenen Stand

punkt auf, selbst immer nur „Magistrą“, Lehrerin zu sein. Nicht zuletzt standen für diese Konzilsentscheidung peinliche Erfahrungen aus der Geschichte Pate, in denen die Kirche, wenn sie ihre Kompetenz nicht genau beachtete, auch zu Urteilen in wissenschaftlichen Rereichen kam, die unrichtig waren. In den Konzilsdebatten selbst wurde konkret der Fall Galilei angeführt. Man wollte Galilei sogar damals schon „rehabilitieren“, was aber keine genügende Zustimmung fand.

Das heißt also, daß die einzelnen Wissenschaften, hier konkret die ärztliche, ihre Autonomie hat, aber gebunden an die Forderungen wissenschaftlicher Redlichkeit und unter Beachtung von Normen der Sittlichkeit. Wobei diese Normen nicht mehr kasuistisch vorgegeben sind,

sondern offenbar eben von einigen Grundprinzipien abgesehen, den Experten selbst zu ständiger Reflexion anvertraut werden.

DIE BILDUNG DES GEWISSENS

2, Die Kirche betont die Funktion des eigenen Gewissens, das recht gebildet über die Sittlichkeit menschlichen Handelns entscheidet.

In der neuen Anthropologie, die das Konzil in dem erwähnten Dokument „Über die Kirche in der Welt von heute“ darlegt, wird die wohl alte Lehre vom Gewissen, die aber durch allzu starke Betonung objektiver Normen in den Hintergrund getreten war, wieder deutlich ins Licht gerückt. (Siehe Kasten Punkt 2)

Wenngleich die Kirche nicht unterläßt, auf den notwendigen Dienst

bei der Bildung des Gewissens hinzuweisen, betont sie doch die Letztverantwortung des Menschen selbst. Vorab geht es der Kirche also gar nicht so sehr darum, auf die Einhaltung bestimmter objektiver Normen zu verpflichten, sondern den Menschen herauszufordem und ihm auch zu helfen, selbst immer verantwortungsbewußter zu werden und in seiner Arbeit an sich selbst zu einer immer größeren „Gewissenhaftigkeit“ zu kommen.

3. Die Kirche sucht den Dialog mit den Wissenschaften.

Hatte man früher den Eindruck, Kirche würde einseitig oder ausschließlich dozieren, hätte beim Eintritt in ein Gespräch schon stets die fertigen Antworten parat, so weiß sich heute die Kirche zu jenem bescheidenen, aber doch auch unersetzlichen Dienst verpflichtet, in Gesellschaft und Wissenschaft beharrlich, wenn nötig auch unnachgiebig, das Gespräch zu suchen und zu führen. Das setzt aber voraus, daß man sich gegenseitig als Partner anerkennt und wertschätzt. Das bedeutet aber nun auch, daß die Akzeptanz kirchlicher Lehre in einer pluralen Gesellschaft jeweils von der Überzeugungskraft ihrer Argumente abhängen wird und nicht mehr vom Verweis auf den göttlichen Ursprung vieler ihrer Lehren. Kirche gibt an anderer Stelle des Konzils sogar zu, daß nicht nur sie der Welt Hilfe anbieten kann, sondern von der Welt (gemeint ist natürlich hier wiederum auch die Summe der Wissenschaften) wertvolle Hilfe erfahren hat und heute noch erfährt.

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