"Wachs auf dem Schuh"

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Als "Kind des Lichtermeers" bezeichnet sich Philipp Sonderegger. Zehn Jahre nach dieser seiner gesellschaftspolitischen Initialzündung ist er Sprecher von SOS Mitmensch.

Die Furche: Wie haben Sie das Lichtermeer vor zehn Jahren erlebt?

Philipp Sonderegger: Mich hat dieses Ereignis sehr geprägt. Es war die Initialzündung für mein gesellschaftspolitisches Engagement, insofern bin ich gewissermaßen ein Kind des Lichtermeers.

Die Furche: Damals sind Sie noch in Dornbirn zur Schule gegangen ...

Sonderegger: ... und wir haben in den Religionsstunden im Gymnasium sehr viel über das Ausländerthema diskutiert. Wir fassten den Entschluss, als Klasse hinzugehen. Zweieinhalb Tausend Leute waren versammelt - für Vorarlberg eine Riesendemo. Ich besitze heute noch Schuhe, mit Kerzenwachs von damals darauf.

Die Furche: Welches Gefühl hatten Sie?

Sonderegger: Es war eine Art Befreiung. Was da an ausländerfeindlichem Angriff gekommen ist, hat Bekannte von mir betroffen. In unserer Klasse gab es einen Migranten. Und ich hab' gewusst: Das will ich nicht. Und wie ich gemerkt habe, da sind noch mehr Menschen, die so denken - da war natürlich schon Aufbruchsstimmung und Euphorie.

Die Furche: War diese Euphorie in der Rückschau berechtigt?

Sonderegger: Eher nicht. Der Punkt ist nicht, ob die FPÖ jetzt marginalisiert ist, sondern welche Politik gemacht wird. Einem Asylwerber ist es egal, ob er von einem FPÖ-, SPÖ- oder ÖVPMinister auf die Straße gestellt wird. Und heute ist Politik, die man früher noch als ausländerfeindlich qualifiziert hat, in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt.

Die Furche: War das Lichtermeer demnach umsonst?

Sonderegger: Auf keinen Fall! Es war in Österreich die Initialzündung für ein starkes Engagement der Zivilgesellschaft. Eine solche Mobilisierung - unabhängig von Parteien, Kirchen etc. - war erst- und einmalig und hat das Bewusstsein einer ganzen Generation geprägt.

Die Furche: Ist das Engagement der Zivilgesellschaft nicht wieder sehr schnell eingeschlafen?

Sonderegger: Die Zivilgesellschaft kann nicht mehr machen als sich hinstellen und sagen: Das wollen wir nicht. Wenn die Politik dann ihren Teil verbockt, dann kann man nichts dafür.

Die Furche: Hat die Politik die Sache verbockt?

Sonderegger: Mit dem Lichtermeer sollte der SPÖ-ÖVPKoalition der Rücken gegenüber der ausländerfeindlichen Politik der FPÖ freigehalten werden. Damit man auf legislativer Ebene die Voraussetzungen schafft, dass das Zusammenleben von In- und Ausländern funktioniert. Für eine Politik der Vernunft, lautete die Devise. Aber SPÖ und ÖVP haben die Vereinbarung gebrochen, den Geist des Lichtermeers verraten und stattdessen den des Ausländer-Volksbegehrens umgesetzt.

Die Furche: SOS ist ein Hilferuf in letzter Minute, wenn die Not am größten ist. Passt der Name Ihrer Organisation also nach wie vor?

Sonderegger: Ja, und mehr als zuvor. In einigen Bereichen, in denen SOS Mitmensch sich engagiert, hat sich die Situation noch verschlechtert.

Die Furche: Beispielsweise?

Sonderegger: Die Rechte von Asylwerbern werden von Jahr zu Jahr weniger - dieser Trend ist europaweit feststellbar. Das fängt bei der Unterbringung an, geht über die Möglichkeiten, im Verfahren zu bestehen, bis hin zum Arbeitsrecht. Die Leute haben ja faktisch kein Recht zu arbeiten und sitzen den ganzen Tag untätig herum. Dieses Warten ist eine sehr große psychische Belastung. SOS Mitmensch betreibt ein Gassenlokal, in dem Asylwerber Computerkurse machen können. Da kommt es vor, dass plötzlich einer da steht und sagt: Ich brauch jetzt Arbeit, sonst werde ich wahnsinnig. Ich kann nicht ständig herumsitzen und mich dann arbeitsfaul schimpfen lassen.'

Die Furche: Der Arbeitsmarkt sei voll, wird in dieser Frage als Gegenargument genannt.

Sonderegger: In gewissen Segmenten des Arbeitsmarktes gibt es großen Arbeitskräftemangel - das sieht man doch am Schwarzmarkt. Aber der Bedarf wird nicht legal befriedigt, bzw. allein über das Saisoniersmodell, sodass der Aufenthaltsstatus mit keinen sozialen und politischen Rechten verbunden ist. Hier schafft man eine Unterklasse, die schutzlos ausgebeutet wird. Die legale Migrationsschiene ist völlig zu. Das übt enormen Druck auf die Asylschiene aus: Die Asylbehörden sind überlastet und letztlich müssen die Asylwerber das Schlamassel ausbaden.

Die Furche: Dann sind Sie mit dem Innenminister einer Meinung, der ebenfalls eine drastische Verkürzung des Asylverfahrens anstrebt?

Sonderegger: Nicht ganz. Ihm schweben 48 Stunden vor - das ist viel zu schnell. Wir sind nicht dafür, dass da kurzer Prozess gemacht wird. Es muss ein faires Verfahren geben, aber in einem halben Jahr sollte es bei angemessener personeller Ausstattung möglich sein, ein Asylverfahren ordentlich abzuwickeln.

Die Furche: Was halten Sie davon, die Betreuung von Asylwerbern an private Firmen zu übertragen?

Sonderegger: Mir ist egal, ob das eine Firma macht oder eine NGO - solange die Qualität stimmt. Ich werde aber stutzig, wenn eine solche Firma gewinnorientiert ist, und einen weiteren Nachteil sehe ich darin, dass ein privater Anbieter nicht den Menschenrechten verpflichtet ist.

Die Furche: NGOs wie SOS Mitmensch werden dafür gerne als "Gutmenschen" verunglimpft.

Sonderegger: Der Vorwurf lautet ja, dass unser Engagement naiv ist und wir politische Auseinandersetzungen mit der Moralkeule führen. Diese Kritik mag teilweise berechtigt sein. Die Methode der politischen Auseinandersetzung darf nicht die Moral sein. Und es kann nicht so sein, dass jemand den Alleinbesitz der Moral für sich reklamiert. Das ändert aber nichts daran, dass es für politisches Engagement ein moralisches Fundament braucht.

Die Furche: Braucht es auch ein zweites Lichtermeer?

Sonderegger: Es gäbe genügend Anlässe dazu, aber wir sollten nicht künstlich irgendwelchen Formen nachtrauern.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

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