Wallfahrt nach St. Hanappi

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Sie opfern für ihre Leidenschaft Geld, Freizeit - und manchmal auch ihren guten Ruf: Österreichs Fußballfans. Eine Typologie anhand von Beispielen.

Fan zu sein ist hart: Mehr als zwei Stunden lang tingeln Thomas und Ingolf vom nördlichen Waldviertel ins ferne Wien. Endlose 167 Kilometer liegen zwischen ihrem Heimatort, Nagelberg bei Gmünd, und jenem Schauplatz, der ihnen Woche für Woche zur zweiten Heimat wird: das Gerhard Hanappi-Stadion in Wien-Hütteldorf. Als treue Rapid-Fans nehmen der 29-jährige Zollwachebeamte und der fünf Jahre jüngere ÖBB-Bedienstete diese Mühen jedoch mit Freude auf sich - auch für die wenig spektakuläre Begegnung mit dem FC Kärnten am 28. Februar: "Wenn möglich, fahren wir zu jedem Match", gesteht Thomas. Ein Bekenntnis, das sich angesichts seines Äußeren erübrigt: Mit grün-weißer Zipfelmütze, grün-weißem Schal und grünem Rapid-Leibchen ausstaffiert, gibt es hinsichtlich seiner fußballerischen Konfession keine Zweifel.

Wie eine Familie

Während die beiden Waldviertler im Zugabteil alle möglichen Spiel-Szenarien erörtern, macht sich auch im südlicheren Mostviertel der Bus des Fanklubs Grün-Weiß Winklarn auf die Reise Richtung Wien. Über 30 grün-weiße Anhänger hat Gernot Lechner, Bürgermeister der 1.500-Seelen-Gemeinde Winklarn und Obmann des Fanklubs, für die Fahrt zum ersten Rapid-Heimspiel in diesem Jahr zusammengetrommelt - trotz Schnee und Kälte. "Wir sind wie eine Familie", meint Lechner, "Fußball verbindet."

Tatsächlich steht die Rapid-Familie derzeit in Blüte: Rund 13.600 Fans stürmen bei Heimspielen das Hanappi-Stadion - der höchste Zuseher-Schnitt seit 1963. Österreichweit zählt der 1899 gegründete Traditionsverein knapp 5.000 Mitglieder. Hartnäckig klatschen sie das Team um Trainer Josef Hickersberger in die "Rapidviertelstunde", hoffen (wie anno 1941 beim Spiel um die deutsche Meisterschaft) zum Schluss auf einen Torregen - und pflegen mit Leidenschaft ihr Feindbild: die Wiener Austria.

In Wien angekommen fällt den Fans von Grün-Weiß Winklarn freilich jemand anderer in den Rücken: die Bundesliga. Nur eine Stunde vor Anpfiff wird das Match wegen des vereisten Spielfeldes abgesagt. Nicht nur die Wald- und Mostviertler, auch die Wiener sind über diese späte Entscheidung empört: "Wir sind schon in Hütteldorf im Wirtshaus gesessen", ärgert sich Roman Horak, Professor für Kultur- und Sozialwissenschaften an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Seit Kindheitstagen ist der Fußballforscher ein Rapid-Anhänger - und unterscheidet diesen Begriff vom bloßen Konsumenten oder Fan: "Konsumenten wollen sich ein gutes Spiel ansehen - egal wer spielt. Fans können einem Verein heftig anhängen - aber später auch austrocknen. Bei Anhängern geht es um eine Lebensgeschichte."

Rapid ist Religion

Dieses Zugehörigkeitsgefühl quasireligiös zu interpretieren - nach dem Motto "Rapid ist Religion" -, hält Horak für überzogen. "Natürlich hat Josef Hickersberger das Stadion in gewisser Weise geweiht, indem er es St. Hanappi nennt. Aber ich würde das nicht überbetonen." Eine "Konversion" von einem Verein zu einem anderen sei dennoch heikel, meint Horak ironisch: "Man kann leichter vom Katholizismus zum Islam wechseln als den Fußballverein."

Ein solches Sakrileg zu begehen, käme Max Haller, Professor für Soziologie an der Universität Graz, niemals in den Sinn - obwohl er als Sturm Graz-Anhänger schon bessere Zeiten gesehen hat: 1998 und 1999 durfte er mit den "Blackys" noch über den Meistertitel jubeln. Mittlerweile sind sie auf Platz 8 der Tabelle abgerutscht.

Dass er wegen seiner Fußball-Leidenschaft von Kollegen oft belächelt wird, ist für Haller ein unseliges, österreichisches Spezifikum: "In Cambridge ist es angesehen, wenn ein Professor eine Jahreskarte von Arsenal hat." Überhaupt gehe das "Proleten-Image" des Fußballsports an der Wirklichkeit vorbei: Im Rahmen einer Befragung im Jahr 1998 stellte Haller fest, dass 34 Prozent der Zuseher über Matura- und acht Prozent über Hochschulabschluss verfügen - mehr als im Bevölkerungsdurchschnitt. Immerhin 25 Prozent der Gesamtzuschauer sind mittlerweile Frauen.

Über 70 Prozent gehen zudem nicht allein, sondern mit Freunden oder Familienangehörigen ins Stadion. Dass bei diesem Gemeinschafts-Erlebnis Inszenierungen nötig sind, versteht sich von selbst: bengalische Feuer in den Fan-Sektoren gehören ebenso dazu wie Musik-Einlagen in der Pause und - zumindest für die Grün-Weißen - der Besuch des Rapid-Dorfes beim Hanappi-Stadion.

Nach der verpatzten Premiere sehnen auch Thomas, Ingolf und die Fans von Grün-Weiß Winklarn dieses Spektakel sehnsüchtig herbei. Tatsächlich ist ihnen am 13. März der Wettergott gnädig. Dafür wird ihr Verein vom Glück verlassen: Trotz 22 Torschüssen schafft Rapid gegen Pasching nur ein klägliches 0:0 - und bleibt damit auf dem dritten Tabellenplatz. "Momentan zwickt's uns bei den Toren", ärgert sich Gernot Lechner, bevor er in den Fanbus steigt. "Aber ich hoffe trotzdem, dass wir Meister werden." Es wäre das 31. Mal.

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