Ware Kirche, Ware Religion

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Religion und ihre Institutionen im Spannungsfeld von Angebot und Nachfrage. Diskussionsbeitrag eines Management-Fachmanns.

Wir können heute nicht über die Ware "Religion" reden, sondern müssen über die Ware "Kirche" reden. Kein Produkt, keine Persönlichkeit, keine Idee, keine Region ist heute losgelöst zu sehen von der Institution, die sie anbietet. Natürlich lebt die Kirche nicht im luftleeren Raum, für sie gelten genauso die Prinzipien der Wahrnehmung durch die "Kunden" und die Gesellschaft. Also: Marketing.

Marketing ist nicht nur viel umfassender als Verkaufen - überhaupt ist es nicht eine spezialisierte Tätigkeit. Es umfasst alle Geschäftsbereiche. Es ist das gesamte Business vom Gesichtspunkt seines endgültigen Ergebnisses, d. h. aus dem Blickwinkel des Kunden, gesehen. So der kürzlich verstorbene Managementguru, der Altösterreicher Peter F. Drucker.

Ist Marketing schlecht?

Nein. Es erforscht und beschreibt nur, wie die Menschen auf ein Angebot reagieren. Es schließt alle Bereiche der Gesellschaft mit ein, also nicht nur Produkte in der Wirtschaft. Persönlichkeiten, Ideen, Regionen, Institutionen. Es ist nicht "Verkaufspsychologie", sondern umfasst viele neue Aspekte aller Wissenschaften (von Gesellschafts-bis Naturwissenschaften).

Daher ist es nur recht, sich als Kirchen diesen Ansprüchen zu stellen. Dies hat nichts mit einer "Popularisierung, Opportunisierung, Verwässerung der Inhalte" zu tun. Ganz im Gegenteil.

Einige Prinzipien des Marketing

• Perception is Reality (Michael Porter, 1986). Nicht das beste Produkt gewinnt, sondern das als das beste Wahrgenommene. Die angestrebte Positionierung kann allerdings nicht über Werbung und Marketing-Kommunikation allein hergestellt werden, sondern nur durch konsistentes, glaubwürdiges Verhalten entlang der ganzen Wertschöpfungskette. Eine Studie des Cranfield Institute of Technology über viele Branchen weist nach: Das "Kernprodukt" macht durchschnittlich 80 Prozent des Wertes, das "Produktumfeld" (Verpackung, Auftreten, die Marke, die Beziehung zum Kunden) nur 20 Prozent des Wertes aus, aber 80 Prozent der Wirkung.

• Value Proposition (Treacy/Wiersema, 1995). Kunden kaufen nicht mehr Produkte nach den Produkteigenschaften, auch nicht mehr nach der Dienstleistungsqualität. Sondern: nach den Werten, die sie in die Beziehung zum Lieferanten hineinlegen. Also ganz stark, wie sie die Marke wahrnehmen (Brand Image). Daher muss der Lieferant dem Kunden Werte für die Beziehung anbieten. Dies gilt für Hofer genauso wie für BMW wie für die Grünen. Amerikas Management-Wort des Jahres 2004 ist das Wort Alignment, also gemeinsame Ausrichtung. Auch wenn der Vogelschwarm jedem einzelnen Vogel genug Freiheit zum "Schwänzeln" zugesteht, so werden sie doch alle als in die gleiche .Richtung fliegend wahrgenommen.

• Attention Economy (Tom Davenport, 1997). Seit Aristoteles steht Wirtschaften für "Umgang mit Knappheit". In den verschiedenen Zeitaltern waren etwa die Rohstoffe knapp, dann die Menschen, dann die Finanzmittel (welcher Anachronismus!). Heute ist das knappste Gut die Aufmerksamkeit - der Kunden, der Kollegen, auf sich selbst. Traurig, aber wahr! Wer es nicht schafft, die richtige Aufmerksamkeit zu erlangen, fällt mit dem Guten, das er anzubieten hat, nicht auf. Doing well by doing good ist auch so ein neuer Ausdruck! So nennt der Freizeitforscher Peter Zellmann die "Lange Nacht der Kirchen" durchaus respektvoll "klassisches Eventmarketing".

• Experiential Marketing - Erlebnismarketing (Bernd Schmitt, 1999). Neueste neurophysiologische Er-kenntnisse beweisen: die rationale Argumentationskette allein funktioniert nicht im menschlichen Gehirn (Analysiere>Denke>Handle!), sondern nur wenn ergänzt um die affektive (Spüre>Fühle>Denke> Handle>stelle Beziehung her!). Warum mögen meine Kinder so sehr die ökumenische Gemeinschaft von Taizé? Warum freut mich mein Christentum? Weil ich die Gnade habe, jeden Sonntag in einer guten Gemeinde lebendige, freudige Eucharistie erleben zu dürfen! Der frühe Johannes Paul II. war auch nicht uncharismatisch in seinen Auftritten. Leider gilt das auch für die andere Seite der Medaille: Als Peter F. Drucker (der fast alles Neue im Management erfunden hat - die Globalisierung, die Wissensgesellschaft, die Teamorganisation …) kurz vor seinem Tod gefragt wurde, welcher Trend ihn (in seinen 95 Jahren) am meisten beeindruckt hat, sagte er, das dramatische Wachstum der Megakirchen in den USA. Heute sind die Bekenner der eigenartigen "evangelikalen" Kirchen zusammengezählt bereits die größte Religionsgemeinschaft in den USA.

Das Dilemma.

Günther Nenning: Die Sehnsucht boomt, die Kirchen schrumpfen. 83 Prozent der Österreicher(innen) "glauben an Gott", 75 Prozent deklarieren sich als "religiös" (Wertestudie 2000, Denz/Friesl/Zulehner). Regelmäßig "kirchlich" üben dies im Glauben an einen "menschgewordenen Gott" gerade 17 Prozent aus (Zulehner 2001).

Anamnese.

Die Kirchen werden nicht mehr authentisch, kongruent mit ihren Heilsbotschaften wahrgenommen! Amnesty International, Greenpeace, ja die Wiener Polizei haben höhere Glaubwürdigkeitswerte!

Die Marke ist verwaschen, verschwommen, es gibt keine einheitliche Markenwahrnehmung!

Genau die Aufmerksamkeit, die am besten zu erzeugen ist, funktioniert auch mit der (katholischen) Kirche, nämlich die negative (averse attention)! Ich meine hier die der "Krenns", den schlampigen Umgang mit Pädophilie, instinktlose Ansprachen an die Indios …

Die affektive Beziehung (das "Erlebnis") zum Glauben bekommt man nur aus der Nähe, von innen, nicht in der Wahrnehmung von außen!

Diagnose.

In Lumen Gentium, dem Konzilsdekret des II. Vatikanums über die Kirche, kommt 45-mal das Wort "Einheit" vor. So viel zu Alignment.

Insofern dieses Kollegium (Bischöfe) aus vielen zusammengesetzt ist, stellt es die Vielfalt und Universalität des Gottesvolkes, insofern es unter einem Haupt versammelt ist, die Einheit der Herde Christi dar (Lumen Gentium 22). Bei einigen bisherigen uns bescherten Bischöfen ist das ein Hohn!

Der Bischof von Rom ist als Nachfolger Petri das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen (Lumen Gentium 23). Unser Papst ist nicht ein Papst der Einheit, sondern der Einheitlichkeit, nicht der Universalität, sondern der Uniformität! Und das, obwohl Benedikt XVI. beim Weltjugendtag in Köln sagte: Einheit und Vielfalt sind keine Alternative, sie gehören zusammen. Die Kirche soll Zeichen der Einheit unter den Völkern sein, so hat es das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) gesagt. Das kann sie nur, wenn sie selbst weiträumig genug ist, wenn sie also katholisch ist und bleibt.

Meine Schlussfolgerung:

Die Formel von der Einheit in der Vielfalt, die mich seit dem II. Vatikanum so begeisternd begleitet hat, funktioniert nicht mehr! Die Welt hat sich 50 Jahre weiterentwickelt. Johannes 17: Alle sollen eins sein: Wie Du, Vater, in mir bist und ich in Dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass Du mich gesandt hast. Das Beispiel von der Wiese, auf der so viele schöne Blumen blühen, ist vorbei: es gibt zuviel Unkraut!

Lösung aus Marketingsicht?

So wie viele Konzerne (Unilever, Nike …) und Institutionen (Parteien, sogar die Kath. Aktion) diszipliniert mit Subbrands (fokussierten Marken) auf die unterschiedlichen Bedürfnisse Rücksicht nehmen, so könnten wir vielleicht unter der Megabrand "Christliche Kirchen" mit unterschiedlichen, klar voneinander abgegrenzten Submarken auftreten, die Karl Rahners Ansprüchen des anonymen Christentums entsprechen:

• einer Kirche der Caritas, Diakonie

• einer Kirche der Frömmigkeit und Mystik, der Heiligen

• einer Kirche der Befreiung und des öffentlichen Gewissens …

Es kann sich ja einer auch für mehrere Marken entscheiden.

Dies nur, um es den Menschen auf der Suche nach dem Sinn einfacher zu machen, sich den Kirchen zu nähern. Weil die Freude an der Erfahrung des Erlöstseins ohnehin erst in der Tiefe geschieht.

Der Autor war über 30 Jahre im internationalen Management tätig, ist jetzt Unternehmensberater und Professor an Business Schools.

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