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Was bleibt vom Glauben?

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Dr. Barta: Vor kurzem war die Stephanskirche an einem Sonntag gesteckt voll. Viele tausende Menschen, so viele wie schon lange nicht mehr, nahmen an einem Hochamt im melkitischen Ritus teil, das der Patriarch von Antiochien, Maxi-mos V. Hakim, feierte. Sie sind gekommen und sie sind geblieben, obwohl sie kein Wort der arabischen Liturgie verstanden haben, kein Wort auch von den griechischen Gesängen des Kirchenchores von St. Barbara. Was glauben Sie, Herr Kardinal, hat sie so fasziniert?

Kardinal König: Sie wissen, daß die Wiener gerne überall dabei sind, wo es etwas zu sehen und zu hören gibt. Dr. Barta: Das mag sicherlich mitgespielt haben, aber ich glaube nicht, daß man es nur daraus allein erklären kann. In den Gesichtern hat sich nicht nur Neugierde, sondern auch echte Ergriffenheit gespiegelt. Es scheint also, daß das rein verbale Verständnis nicht immer notwendig ist, auch nicht immer im Gottesdienst. Wozu dann die Liturgiereform, wozu dann die Muttersprache im Gottesdienst? Sind die Kirchen voller geworden, seitdem die Menschen jedes Wort, das am Altar gesprochen wird, auch verstehen? Kardinal König: So kann man das nicht sagen. Natürlich sind die Kirchen seither nicht voller geworden, es ist auch noch kein Mensch durch eine Synode gläubig geworden. Aber ich glaube, so kann man nicht argumentieren. Es wäre absolut falsch, vom Fehlen unmittelbarer Auswirkungen darauf zu schließen, daß Änderungen nicht notwendig, ja, daß sie schädlich gewesen wären. Dr. Barta: Woran soll man dann den Wert einer Aktion erkennen, wenn nicht an den Früchten, die sie trägt? Kardinal König: Ja, gewiß. Aber es wäre doch vermessen, Gott vorschreiben zu wollen, wann Er die Früchte wachsen läßt. Aber trotzdem: das Erlebnis, von dem Sie eingangs sprachen, volle Kirchen bei einem nicht verstandenen Ritus, sollte uns doch zu denken geben. Gewiß, die Liturgiereform war gut, der Gebrauch der Muttersprache ist sinnvoll, unser Ringen um ein neues Glaubensverständnis notwendig, aber all dies genügt noch nicht. Der Mensch ist zu sehr geneigt, wenn er etwas geändert hat, zu glauben, daß damit alle Probleme gelöst seien, daß eine neue Erkenntnis wie ein Zauberschlüssel alle bisher geschlossenen Türen öffnet, daß eine Antwort jedes weitere Fragen überflüssig mache. Das Leben bleibt aber nicht stehen, und auch die Erkenntnis nicht. Jede Antwort ist Anlaß zu neuen' Fragen und die Lösung eines Problems wirft immer neue Probleme auf.

Dr. Barta: Heißt das nicht, die Dinge allzu sehr relativieren? Ist der Relativismus, der keine absoluten Werte und keine absoluten Größen kennt, nicht eine tödliche Gefahr für die Religion? Wenn auch auf religiösem Gebiet alles nur relativ ist, wenn es keinen absoluten Fortschritt gibt, was bleibt dann von der Erneuerung des Konzils, von der Liturgiereform, von den neuen Strukturen der Kirche, von dem „aggiornamento“, vom Engagement in der Welt?

Kardinal König: Nichts, wenn das nicht bleibt, was die Grundlage all dessen ist: der Glaube. Der Glaube an den einen Gott, den allmächtigen Schöpfer, und an Jesus Christus, Seinen Sohn, der gestorben ist, um uns zu retten, und der zur Fortsetzung Seines Werkes die Kirche gegründet hat. Dieser Glaube ist das ganz persönliche Erlebnis, die ganz persönliche Entscheidung des einzelnen Menschen. Natürlich muß sich dieser Glaube auch nach außen hin dokumentieren, er muß präsent werden: in der Liturgie, in den Strukturen, in der Haltung zur Welt, im mitmenschlichen Engagement. Aber alle Auswirkungen, alle äußeren

Manifestationen sind sinnlos, wenn der innere Kern, der Glaube selbst, tot ist. Sie sind sinnvoll, wenn sie aus dem Glauben erwachsen und diesen Glauben v/ieder starken. Sie sind wertlos, ja sie sind schädlich, sie können zu einer inneren Vergiftung führen, wenn sie nur eine Fassade darstellen, hinter der nichts mehr lebt.

Dr. Barta: Soll das heißen, daß man an all diese Dinge nicht rühren soll, daß man besser alles beim Alten lassen soll: in der Liturgie, in der Theologie, in den Strukturen, daß man keine neuen Wege beschreiten soll, um nur ja nicht in die Gefahr zu kommen, auf neuen Wegen in die Irre zu gehen?

Kardinal König: Das soll es absolut nicht heißen. Bis zu einem gewissen Grad müssen sich die äußeren Formen wandeln, muß das Kleid der Kirche der Zeit angepaßt werden, soll es nicht zu einem Panzer, zu einer Kruste werden, hinter der das Leben erstickt. Wandeln, ändern heißt nicht zerstören. Wir haben unser Gespräch mit der Liturgie begonnen. Liturgiereform ist gut und notwendig, wenn sie zu einer Verlebendigung und Verinnerlichung des Gottesdienstes führt, sie ist aber tödlich, wenn sie den Kultus zerstört. Mit der Entleerung des Kultus beginnt auch die Zerstörung der Religion. Wir feiern in der Messe ein Geheimnis. Wenn nichts mehr von einem Geheimnis spürbar wird, besteht die Gefahr, daß sie zu einem Theater, zur Inszenierung einer großen Leere wird. Wir haben unseren Verstand bekommen, um ihn zu gebrauchen, wir sollen rational mit dem Verstand durchdringen, durchleuchten und erklären, was sich durchdringen, durchleuchten und erklären läßt, auch in der Religion, auch im Glauben, auch in der Kirche. Aber gleichzeitig müssen wir wissen, daß sich nicht alles mit dem Verstand erklären läßt. Ein Geheimnis, das sich restlos aufklären läßt, ist kein Geheimnis mehr, eine Religion, die restlos „entmythologisiert“ wird, ist keine Religion mehr, ist vielleicht soziale Ethik, aber kein religiöser Glaube, der in seinem innersten Kern immer etwas Unauflösbares, ein Geheimnis enthält, das uns geoffenbart wurde, das wir nicht aus eigenem finden konnten. Wir sollen die Bibel gewiß nach allen Seiten hin untersuchen, auch nach ihren literarischen Formen. Aber wenn dann nur noch Literaturkritik übrigbleibt, worin unterscheidet sich dann noch die Bibel von einem anderen literarischen Zeugnis, beispielsweise vom Nibelungenlied? Wir können die Wundererzählungen in der Bibel nach natürlichen Erklärungen untersuchen, wenn wir aber die Möglichkeit eines Wunders überhaupt leugnen, wo bleibt dann der Glaube an einen allmächtigen Gott, der über den Naturgesetzen steht? Dr. Barta: Herr Kardinal, ich weiß nicht, ob ich Sie richtig verstehe, aber stellen Sie hier nicht einen Großteil der modernen Theologie in Frage? Sind das, was Sie hier anführen, Erscheinungen einer Flucht vor dem Glauben, einer Auflösung des Glaubens, oder sind das nicht doch vielmehr Versuche, ein neues Verständnis für den Glauben zu wecken, ihn transparant zu machen, die Menschen von einem mehr tmbe-wußten zu einem reflektierten Glauben zu führen?

Kardinal König: Die Theologie Ist eine Wissenschaft und die Wissenschaften bedienen sich der Methoden auch ihrer Zeit. Das sind heute Analyse, Empirie, Rationalismus, Soziologie. Aber Wissenschaft ist nicht identisch mit Glaube. Die Theologie hat noch niemals Glauben geschaffen.

Dr. Barto: Aber rie könnte den Glauben stören, zerstören, meinen Sie?

Kardinal König: Das habe ich nicht gesagt. Das kann sie nicht, wenn sie ihrer Aufgabe treu bleibt, auch dann nicht, wenn sie die Sonde des Zweifels ansetzt. Auch der Zweifel gehört zur Wissenschaft, aber die Wissenschaft und gerade die Theologie darf diesen Zweifel nicht absolut setzen, sie muß auch an ihrem Zweifel zweifeln und sich immer der Begrenztheit ihrer wissenschaftlichen Erkenntnis bewußt bleiben. — Sie sagten etwas von der Transparenz. Sicherlich ist es notwendig, gewisse äußere Formen der kirchlichen Strukturen „transparent“ werden zu lassen, durchschneidend, hineinzuleuchten in manches Dunkel überholter Herrschaftsansprüche, die zum Selbstzweck geworden sind. Aber den Glauben transparent, durchscheinend werden zu lassen, das kann niemals dem Verstand, das kann nur der restlosen Hingabe eines gläubigen Herzens an Gott gelingen. Die Mystiker haben um diese Transparenz gerungen, in Leid, in Verzweiflung, in Verzückung. Und wir tun so, als ob dies ein Thema für eine Wochenendtagung wäre.

Dr. Barta: Entschuldigen Sie, Herr Kardinal, ich fürchte, unser Gespräch könnte den Eindruck erwecken, als ob Sie all das für sinnlos, ja für schädlich und gefährlich hielten, was mit dem Konzil begonnen und nach dem Konzil fortgesetzt wurde: Versuche, in Experiment und Diskussion ein neues Bild der Kirche zu entwerfen, um jenen, die am Rande, oder schon außerhalb des Randes der Kirche stehen, den Zutritt zur Kirche zu erleichtern. Sind das alles wirklich Erscheinungen einer Flucht vor dem Glauben, einer Auflösung der Kirche?

Kardinal König: Man hätte mich vollkommen falsch verstanden, wenn man das annehmen wollte. Die Erneuerung der Kirche ist notwendig, aber gewisse Formen dieser Erneuerung, in die sich manche verrannt haben, können zu einer Gefahr werden. Wir können das, was wir alle wollen, die Erneuerung der Kirche, nur retten, wenn wir das, was im Gefolge des Konzils an guten und richtigen Ansätzen aufscheint, wieder zurückbinden an den persönlichen Glauben. Das ist die große Sorge des Papstes, die wir verstehen sollten, wenn vielleicht manche auch nicht immer die Art und Weise verstehen, in der sich diese Sorge äußert. Die permanente Revolution ist die Verhinderung, ja die Zerstörung jeglicher Reform. Wenn wir das Geheimnis aus dem Glauben hinausargumentieren, was bleibt vom Glauben? Wenn wir den Kultus „transparent“ machen wollen, dann werden wir uns in endlose Experimente verlieren, die zu Inszenierungsversuchen verhinderter Regisseure werden. Wenn wir alles in unserem Glauben rational erklären könnten, was bliebe uns da noch zu glauben übrig? Das Engagement in der Welt, die soziale Revolution, so unabwendbar sie sein kann, so notwendig auch die Mitarbeit der Christen an einer sozialen Veränderung der Welt ist, die Kirche braucht man dazu nicht.

Dr. Barta: Wozu braucht man dann die Kirche?

Kardinal König: Um den Glauben zu lehren, zu bewahren und weiterzugeben, den Glauben an Gott, an Jesus Christus; um das Werk Jesu Christi fortzusetzen; um die Sakramente zu spenden, diese äußeren Zeichen der Geheimnisse des Glaubens. Dieser Glaube ist persönlichste Angelegenheit des einzelnen. Er wird wirksam in der Gemeinschaft, in der Gemeinschaft der Kirche und in der Gemeinschaft der Menschen. Er kann aber nur wirksam werden, wenn er stets bezogen ist auf den persönlichen Glauben des einzelnen. Dem Gebot „Liebe deinen Nächsten“ ist das Gebot „Liebe Gott“ vorangestellt. Beide sind miteinander unlösbar verbunden. Der Glaube, der sich nicht manifestiert, ist ein toter Glaube. Manistationen aber ohne Glauben sind letztlich Schall und Rauch. Es wäre gefährlich, würde man dies heute vergessen.

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