Was eine freie Kirche nicht ist

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Das Mariazeller Manifest vom Mai 1952 war eine bahnbrechende politische Positionierung der katholischen Kirche Österreichs.

Der erste gesamtösterreichische Katholikentag nach dem Zweiten Weltkrieg fand im September 1952 in Wien statt. Zu seiner Vorbereitung wurde vom 1. bis 4. Mai 1952 in Mariazell eine Studientagung über das Thema des Katholikentages "Freiheit und Würde des Menschen" veranstaltet. Zwei einleitende Grundsatzreferate bildeten die Basis der Beratungen in 20 Arbeitskreisen, an denen Priester und Laien, die hervorragendsten Experten in allen das katholische Leben betreffenden Fragen, aus sämtlichen Diözesen teilnahmen. Karl Rahner (1904 bis 1984), der nachmalige bedeutendste Konzilstheologe, der aus Deutschland stammende, an der Innsbrucker Universität Dogmatik und Dogmengeschichte lehrende Jesuitenpater, sprach über das zentrale Tagungsthema, der Tiroler Volksbildner und Herausgeber der Trakl- und Brenner-Studien Ignaz Zangerle (1905 bis 1987) über "Die Situation der Kirche in Österreich". Der damalige Konsistorialrat Otto Mauer (1907 bis 1973), Akademiker- und Künstlerseelsorger und zu jener Zeit auch Geistlicher Assistent der Katholischen Aktion Österreichs, fasste in seinem Abschlussreferat die Ergebnisse der intensiven Beratungen zusammen.

Dieser Bericht über eine "freie Kirche in einer freien Gesellschaft", oder das "Mariazeller Manifest", geht knapp auf alle wichtigen Beratungsthemen und Beschlüsse ein, von den Aufgaben der freien Kirche und der freien Gesellschaft, von der Familien- und Wohnungspolitik über den Schutz der Würde der Frau und den Schutz des Kindes bis zur Integration der Heimatvertriebenen und der Bitte um Frieden am Beginn und am Ende der Tagung.

Die historisch-politisch wichtigsten Aussagen sind jedoch jene, in denen formuliert wird, was die freie Kirche nicht ist, bzw. was sie bedeutet (diese Absagen "keine Rückkehr ..." sind im Kasten links unten abgedruckt).

Die Absagen enthalten auch die Geschichte von Kirche und Staat in Österreich - von der Habsburgermonarchie über die Erste Republik bis zum "Christlichen Ständestaat". Die Verwirklichung dieser ist in den folgenden Jahrzehnten von Kardinal Franz König, von 1956 bis 1985 Erzbischof von Wien und Vorsitzender der Bischofskonferenz, im Zusammenwirken mit den anderen Diözesanbischöfen durchgesetzt worden Sie hat auch ein neues Verhältnis zwischen Kirche und Sozialdemokratie ermöglicht und der Kirche - jedenfalls - in der Ära König neues allgemeines Ansehen verschafft.

Da Otto Mauer dieses Manifest in Mariazell vorgetragen hat, haben viele - auch ich - lange geglaubt, er sei auch der Verfasser gewesen. Jahrzehnte später, schon nach dem Tod Otto Mauers, hat mir der langjährige Chefredakteur der Kathpress und einer der engsten Mitarbeiter Kardinal Königs, Richard Barta (1911 bis 1985), gesagt, er habe in der Nacht vor der Schlusssitzung in Mariazell Mauers Bericht geschrieben. Ich war Mauer und Barta freundschaftlich verbunden. Als Zeithistorikerin und Zeitzeugin und natürlich auch als österreichische Katholikin erachte ich es für eine Pflicht, beider und aller Teilnehmer an der Mariazeller Studientagung 1952 ehrend zu gedenken.

Die Autorin ist emeritierte Universitätsprofessorin für Zeitgeschichte.

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