Was für ein Bild von Kirche...

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Peter Godman rettet in seinem Buch "Der Vatikan und Hitler" Eugenio Pacelli/Pius XII. vor dem Vorwurf, ein NS-Freund gewesen zu sein. Als Seligen mag man sich den päpstlichen Diplomaten dennoch nicht vorstellen.

Daniel Goldhagen soll ebenso widerlegt werden wie John Cornwell, der 1999 gleichfalls eine Abrechnung mit Pius XII., dem "schweigenden" Papst, veröffentlicht hat. Auch Rolf Hochhuth und sein einstiges Skandalstück "Der Stellvertreter" sollen in neuem Licht erscheinen - jedenfalls war, so Peter Godman, Pius XII. keineswegs "Hitlers Papst".

Der in Rom lehrende neuseeländische Historiker Peter Godman - eigentlich Mittelalter- und Renaissance-Gelehrter - hat jene Vorgänge innerhalb des Vatikans bis zum Jahr 1939 untersucht, die zur oberstkirchlichen Haltung zum NS-Regime geführt haben. In seinem Buch "Der Vatikan und Hitler. Die geheimen Archive" weist schon der Titel darauf hin, dass Godman Zugang zu vatikanischem Archiv-Material hatte, das bislang noch unaufgearbeitet ist. Leicht lesbar, vieles erhellend, jedoch, weil die Ausgangsthese so nicht stimmt, das Ziel einer "Entschuldung" des Pacelli-Papstes verfehlend.

Anklage nicht entkräftet

Von der völlig überzogenen und unbelegten Qualifizierung Pius XII. als "Antisemit" in Goldhagens Abrechnung mit der Kirche ("Die katholische Kirche und der Holocaust", 2002) abgesehen geht es bei der öffentlichen Bewertung Pius XII. heute nicht um allfällige Sympathien für NS-Ideologie oder Rassismus, sondern um sein Zögern, Appeasement und Schweigen, obwohl er von den Gräueltaten im NS-Reich wusste. (Dass er schon vor 1939 genug wusste, belegt gerade Godman Seite um Seite.)

Diese - nicht zuletzt von Rolf Hochhuth formulierte - Grundanklage kann Godman nicht entkräften, im Gegenteil erscheint Eugenio Pacelli, nachmals Pius XII., hier als Protagonist eines Systems, das an den Opfern des NS-Terrors mitschuldig wird, weil es weder in der Analyse noch in der Strategie und der daraus resultierenden Politik irgendwie zukunftsweisend agierte.

Godmans Buch behandelt im Wesentlichen die Zeit zwischen dem Reichskonkordat 1933 undPapst Pius XI. Tod 1939 - Eugenio Pacelli war in diesen Jahren Kardinal-Staatssekretär, also die Nummer zwei der Hierarchie: Er hatte das Konkordat mit dem Deutschen Reich nicht nur verhandelt und begrüßt, sondern er klammerte sich auch dann noch daran, als kein Zweifel mehr bestand, dass die Nazis sich keinen Deut darum scherten.

Pacelli blieb aber nicht der einzige Fehlbare in diesem unglückseligen System: So war Papst Pius XI. laut Godman ein unangenehmer Zeitgenosse, dem ein konzises Urteil über das heraufdräuende NS-Unheil gleichfalls abging, gar nicht zu reden von den deutschen Kardinälen Faulhaber und Bertram oder von Nuntius Orsenigo, deren Rolle vis-à-vis dem NS-Regime einmal mehr ruhmlos erscheint.

Godman gelingt ein Einblick in die Verworrenheit des vatikanischen Systems der Dikasterien mit ihren supergeheimen Vorgängen, die der Intrige wie der Schwerfälligkeit Tür und Tor öffneten. Er beschreibt so etwa, wie das Heilige Offizium, die oberste Glaubensbehörde, zunächst den Nudismus bekämpfte, anstatt sich mit den menschenverachtenden Lehren der Nazis auseinanderzusetzen.

Weil das Heilige Offizium derart im Geheimen operierte, wusste niemand, dass man dort dann doch über eine Verurteilung der Hitlerei nachzudenken begann. (Sprechend auch die lang vorherrschende, naive Einschätzung, Hitler sei der Kirche wohlgesonnen, er stünde aber unter dem Druck der radikalen, "heidnischen" Nazis à la Alfred Rosenberg...!). Godman beschreibt, wie die Jesuiten Franz Hürth und Johannes Rabeneck sowie der Soziologe Louis Chagnon 1934/35 einen Katalog von 47 "Thesen zu Nationalismus, Rassismus und Totalitarismus" für das Heilige Offizium verfassten. Diese Thesen ließen - auch wenn sie die Judenverfolgung nicht direkt thematisierten - wenig an Klarheit zu wünschen übrig.

Angedachte Verurteilung

Sogar ein "Syllabus", eine Verurteilung solcher "Irrlehren", war angedacht. In einer zweiten Stufe waren 1936 die 47 Thesen auf 25 geschrumpft, wobei auch der "Kommunismus" unter die "Irrlehren" explizit aufgenommen wurde. Doch auch diese Liste blieb geheim. Denn inwischen hatten sich Papst Pius XI. und sein Staatssekretär Pacelli darauf verständigt, vor allem gegen den Kommunismus vorzugehen. Kein Syllabus also, 1937 erschien vielmehr die - im Vergleich zu den vorherigen Papieren - durch und durch zahme Enzyklika "Mit brennender Sorge" gegen den Nationalsozialismus; doch schon wenige Tage danach folgte eine ungleich schärfere Verurteilung des Kommunismus in einer weiteren Enzyklika.

Die Abgründe Bischof Hudals

Am interessantesten wird Godmans Spurensuche beim österreichischen Bischof Alois Hudal, dem Rektor der Anima-Kirche in Rom. Hudal - schon seit langem als NS-Sympathisant geschichtlich eingeordnet - ist bei Godman der Sündenbock: Er, so der Tenor des Buches, nicht Pacelli, sei "Hitlers Mann" im Vatikan gewesen. Dabei sei Hudal Anfang der 30-er Jahre im Heiligen Offizium noch mit Vehemenz für eine Verurteilung der NS-Ideologie eingetreten, aber da er sich nicht durchsetzte, habe er die Seiten gewechselt und sich zum Brückenbauer zwischen den Berlin und Rom stilisiert.

Unglaublich, dass dieser Bischof 1936 mit seinem Buch "Die Grundlagen des Nationalsozialismus" den NS-Ideologen sogar einen "ideengeschichtlichen" Unterbau lieferte - und damit die Diplomatie Pacellis desavouierte, denn die Nazis benutzten Hudals Buch postwendend als Legitimation, wenn sich Kirchenvertreter in Berlin über Konkordatsverletzungen beschwerten.

Godman zeichnet ein inferiores Bild von der der obersten Kirchenebene: Hudals Buch war ohne Imprimatur erschienen (in jener Zeit eine, gelinde gesagt, äußerst ungewöhnliche Tatsache), er wurde dafür dennoch nicht belangt. Auch wenn Hudal durch die Anbiederung ans Dritte Reich seine innerkirchlichen Karrierechancen zunichte machte, entfernte ihn der lavierende Pacelli nicht von seinen Posten.

Godman beschreibt einen Schattenkampf zwischen Pacelli und Hudal, der für letzteren zwar nie zu gewinnen war. Weil aber Rom nichts so ängstigt wie ein Skandal, blieb Hudal bis 1952 dort, wo er war (und verhalf bekanntlich etlichen Nazigrößen zur Flucht aus Europa). Als verbitterter alter Mann habe Hudal, so Godman, seine Memoiren geschrieben, die seien Rolf Hochhuth in die Hände gefallen, und der habe daraus habe sein Drama "Der Stellvertreter" gebastelt. Kurz: Der verbitterte Nazi-Bischof habe Pacelli/ Pius XII. das schlechte Image, das ihm bis heute anhängt, verpasst.

Drückende Geschichtslast

Sei dem, wie es sei: Die Mosaiksteine, die Godman zusammenträgt, verdichten die römischen Strukturen und die in ihnen Handelnden zu einem Konglomerat aus Opportunismus, Fehleinschätzung, Weltfremdheit, Intrige und gähnender Langsamkeit. All das ist eine drückende Last der Geschichte, die noch lang aufzuarbeiten sein wird.

Godmans Buch vermittelt so eine Ahnung der Zusammenhänge, warum Rom zwischen 1933 und 1939 so und nicht anders reagierte.

Unter dem heutigen Papst, der auch den Begriff "Strukturen der Sünde" geprägt hat, und der für die Fehler von Christen um Vergebung gebeten hat, ist das Buch aber noch brisanter - als Hinweis darauf, dass im eigenen Haus noch viel aufzuräumen wäre. Dass gerade ein Hauptprotagonist dieser Zustände - Eugenio Pacelli/Pius XII. weiter zur Seligsprechung ansteht, mag man sich trotzdem nicht ausmalen.

Übrigens: Hudal erhielt für seine "Grundlagen des Nationalsozialismus" 1937 doch noch das Imprimatur: Der Wiener Kardinal Theodor Innitzer erteilte, so Godman, ihm schließlich die kirchliche Druckerlaubnis...

DER VATIKAN UND HITLER. Die geheimen Archive. Von Peter Godman. Verlag Droemer, München 2004. 368 S., geb. e 20,50

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