"Was habt ihr wissen können?"

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Der Medienhistoriker Fritz Hausjell über das Projekt NachRichten. Was es bewirken kann und was nicht.

Die Furche: Herr Hausjell, man hat oft den Eindruck, die Menschen sind bezüglich der NS-Zeit "overnewsed but underinformed": sie haben das Gefühl, zu viel davon zu hören, wissen aber im Detail dennoch nicht viel. Wie wollen Sie bzw. Ihr Team diese Blockaden überwinden?

Fritz Hausjell: Es sind ganz unterschiedliche Zielgruppen, die wir ansprechen, von Schülern bis Wissenschaftlern. Publizistisch diesen Spagat zu schaffen, ist sicher nicht einfach. Zum einen haben wir uns nicht gescheut, auch ein paar Schmankerl in die Zeitung zu geben, so nach dem Motto "Wussten Sie, dass …" Es gibt sicher einige, die sich sagen: Das habe ich nicht gewusst, das ist ein interessanter Aspekt. Zum anderen bieten wir etwas, das die bisherige zeitgeschichtliche Aufklärungsarbeit nicht geboten hat: Vollständige Nachdrucke von Original-Zeitungen des Exils und des Regimes. Bisher hat man sich vorwiegend auf politische Propaganda konzentriert. Wir zeigen, wie Propaganda in Unterhaltung und in den Alltag eingebettet war. Es lässt sich so erklären, wie manche, die sich von der Politik abgewendet haben, dennoch Opfer der Propaganda wurden, weil gerade im Lokal- und Kulturbereich diese viel dosierter gemacht wurde und nicht sofort erkennbar war.

Die Furche: Besteht die Gefahr, dass manche nach der Lektüre der Originalzeitungen sagen: Man hat damals doch recht wenig über den NS-Terror erfahren können?

Hausjell: Das ist ja die zentrale Frage, die wir als Jüngere der älteren Generation gestellt haben: Was habt ihr gewusst oder wie konnte es sein, dass ihr es nicht gewusst habt? Wir versuchen in den Expertenbeiträgen herauszuarbeiten, bis wohin Wissen möglich war. Es gab in etlichen Bereichen dosierte Information über den NS-Terror. Durch die Lageberichte der SS wusste das Regime genau, welche Gerüchte in der Bevölkerung im Umlauf waren, auf die das NS-Regime dann reagierte.

Die Furche: Zum Beispiel?

Hausjell: Das November-Pogrom (1938), das wir in der Nummer 7 der NachRichten thematisieren: Es gab strikte Anweisungen an die Redaktionen, dass man über Details nicht berichten dürfe, auch nicht darüber, wie die Synagogen in Flammen gesetzt wurden. So entstanden Formulierungen, die fast schon provokant waren und wo das Regime damit rechnen musste, dass einige wussten, dass das nicht stimmt ("Sie haben sich selbst entzündet"). Auch wenn viele Meldungen in der Bevölkerung aufgrund des starken Antisemitismus akzeptiert worden wären, musste oft auch Bedacht auf die Reaktion des Auslands genommen werden.

Die Furche: Was konnte man also erfahren?

Hausjell: Ich erfahre sehr wohl, dass Konzentrationslager existierten, ich erfahre Details über Gewalt gegen Juden, auch durch zynische Andeutungen: "Es wurde ihnen kein Nasenbein gekrümmt" und ähnliches. Die Sprache war durchaus verräterisch, nicht einmal zwischen den Zeilen, sondern direkt. Die österreichischen Nazis wollten beispielsweise gleich im März 1938, dass auf allen Zeitungen das Hakenkreuz abgebildet ist. Das wurde von Gauleiter Josef Bürckel dann untersagt, weil er funktionierende und nicht sofort als solche erkennbare Propagandainstrumente haben wollte.

Die Furche: Wie weit geht der Bildungsauftrag, wollen Sie auch Ewiggestrige erreichen?

Hausjell: Ich glaube, das ist mit dem Projekt nicht leistbar. Das sage ich ganz nüchtern. Aber diese Gruppen werden es sicher durch dieses Projekt schwerer haben, neue Menschen für ihre revisionistischen Positionen zu gewinnen. Denn das Projekt liefert die Mittel der Propaganda und dazu das Hintergrundwissen, wie diese Propaganda organisiert wurde. Neben den zeitgeschichtlichen Themen werden wir stets den medienkritischen Aspekt behandeln. Es wird in jeder fünften bis sechsten Nummer eine explizite Mediengeschichte geben, z. B. anlässlich des November-Pogroms. Das ist auch ein Punkt, der uns von anderen zeitgeschichtlichen Aufklärungsbemühungen der letzten Jahrzehnte unterscheidet. Die Medien wurden bisher meist ausgeklammert; auch aus der Angst heraus, da könnten Kollegen oder Ausbildner darin verstrickt sein.

Die Furche: Erwarten Sie sich kontroversielle Diskussionen?

Hausjell: Wir wollen Neugierde wecken und hoffen, Fragen zu bekommen. Nach den ersten Nummern registrieren wir, dass die Leser sehr sorgfältig lesen und nachfragen.

Die Furche: Glauben Sie, dass festgefahrene Mythen aufgebrochen werden können?

Hausjell: Das ist sicher ein Ziel jeglicher zeitgeschichtlicher Aufklärung. Beispielsweise schrieb am 15. Jänner 1940 der Wiener "Völkische Beobachter" auf der Titelseite ganz groß, dass der Spatenstich für die Reichsautobahn Wien-Ostsee erfolgt sei. Die Autobahnen sind bei vielen Menschen als positiver Mythos haften geblieben, in Wirklichkeit wurde aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gebaut. In Österreich waren zu Ende des NS-Regimes im Übrigen gerade einmal 16,8 Kilometer Autobahn fertiggestellt.

Die Furche: Wurde auch Unbehagen geäußert, dass in der Nummer 3 der NachRichten der "Völkische Beobachter", das Nazi-Parteiorgan, nachgedruckt wurde?

Hausjell: Bisher gab es nur wenige kritische Stimmen, die dazu Unbehagen geäußert haben, dies aber nicht öffentlich sagen wollten. Das ist schade, weil ich gerne diese Diskussion geführt hätte. Denn ich glaube, gute Argumente dafür zu haben, warum man sich davor nicht fürchten muss. Jegliche zeitgeschichtliche Aufarbeitung und jeglicher Journalismus kann missbraucht werden. Diese Zeitungen haben heute nur mehr beschränkte Symbolik und propagandistisches Potential, denn sie erscheinen in einem völlig anderen Kontext als damals. Es ist unwahrscheinlich, dass jemand trotz der Expertenbeiträge erneut Opfer der Propaganda wird, dass jemand erneut in diese Falle tappt, trotz des historischen Wissens, das wir inzwischen haben.

Das Gespräch führte Regine Bogensberger.

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