Was ist "letzte Süße" des Lebens?

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Vor Kurzem waren wir wieder einmal in der Südsteiermark wandern. Man muss kein Romantiker sein, um das Farbenpanorama des Herbstes, das dort Wiesen, Wälder und Weingärten entwickeln, in einer Intensität zu erleben, die einfach überwältigt. Der Herbst ist eine Zeit der Intensität: die Düfte, der Wind und paradoxerweise selbst die immer schräger stehende Sonne: Alles ist stärker und dichter. "Im Herbst werden die Farben voller" - heißt es - und das gilt vielleicht auch vom Herbst des Lebens.

Es ist bekanntlich eine Intensität des Späten, des beginnenden Verfalls. An die Stelle des Blattgrüns treten nach und nach gelbe und rote Farben: der Anfang vom Ende der Blätter. Wann herrscht im Leben Intensität? Was überhaupt ist Intensität des Lebens? Wann spüren wir sie? Wenn es zu Ende mit uns geht? Viele berichten davon. Auch vorher schon? Sicher, wenn Neues, Vielversprechendes beginnt, bei Erfolgen im Beruf, im Geschenk der Liebe und Ekstase, im Erleben großer Kunst und, natürlich, im Naturerleben. Und auch in den kleinen Dingen des Alltags, wenn man aufmerksam und offen genug für die Stunden und Minuten der wahren Empfindung ist.

Es gibt schließlich aber auch in jedes Menschen Leben die Intensität der Trauer und des Tragischen, der hereinbrechenden Katastrophen und aufbrechenden Ängste. Viele Menschen sehnen sich da dann nach der Normalität des Durchschnittlichen, des kleinen Glücks.

Der Herbst lässt spüren: Man kann den Intensitäten nicht entgehen, den schrecklichen nicht und auch nicht den herrlichen. Sie ereignen sich einfach und manchmal sind sie in eigenartiger Weise verschränkt. "Jage die letzte Süße in den schweren Wein", heißt es in Rilkes berühmtem Herbstgedicht. Da stellt sich natürlich die Frage: Was in unserem Leben hatte diese "letzte Süße"? Und: Haben wir es geliebt?

Der Autor ist katholischer Pastoraltheologe an der Universität Graz

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