Was kommt nach Tudjman?

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Ein Wahlbündnis von sechs Parteien kämpft in Kroatien gegen die Vorherrschaft von Franjo Tudjmans Regierungspartei.

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Ein Wahlbündnis von sechs Parteien kämpft in Kroatien gegen die Vorherrschaft von Franjo Tudjmans Regierungspartei.

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Derzeit stehen die Zeichen in Kroatien auf Umbruch. Der Mißmut über die triste wirtschaftliche Lage, sowie der stetige Druck aus dem Ausland führen zu einem drastischen Absacken der Popularitätswerte der regierenden HDZ (Kroatische Demokratische Gemeinschaft). Aber auch die Opposition hätte nach einem Wahlsieg ein schweres Erbe anzutreten.

Allein 14 Prozent des Bruttoinlandprodukts müssen für die Pensionsversicherung ausgegeben werden. Die Arbeitslosenrate ist über 19 Prozent gestiegen. Laut Einschätzung einer internationalen Agentur für Bonitätsfragen wird Kroatien mit Bulgarien knapp vor Rumänien und Kasachstan eingestuft. Grund für dieses niedrige Ranking ist die schlechte Wirtschaftssituation und die unsichere politische Lage.

Verletzungen der Grund- und Freiheitsrechte stehen auf der Tagesordnung. Bei den Printmedien erfolgt eine Einflußnahme seitens der HDZ über den staatlich kontrollierten "Tisak" Zeitungsvertrieb, der seine Schulden selektiv an ungeliebte Medien nicht bezahlt. Eine weitere Möglichkeit, die Berichterstattung der Presse zu manipulieren, ergibt sich durch die strenge straf- und zivilrechtliche Gesetzgebung. Personen des öffentlichen Lebens ist es leicht möglich, Journalisten wegen angeblicher Ehrenbeleidigung und Verleumdung zu verfolgen. Hohe Geldstrafen bedrohen die Lebensgrundlage kritischer Journalisten und dienen schon im vorhinein der Einschüchterung.

Was die Rückkehr serbischer Flüchtlinge angeht, gibt es keine Fortschritte; Belege für einen staatlich finanzierten Wiederaufbau der Häuser kroatischer Serben fehlen. Auch für die Zusammenarbeit mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal bei den Untersuchungen rund um die kroatischen Rückeroberungsaktionen erhält die Regierungspartei schlechte Noten. Einen ersten kleinen Erfolg bei der Zusammenarbeit mit dem Tribunal gab es mit der Auslieferungsbestätigung des Kriegsverbrechers Mladen "Tuta" Naletilic'. Dieser eine Fall reicht aber nicht aus, über die gehäufte Mißachtung des Völkerrechts und der Grundrechte hinwegzutäuschen.

Demokratie zuerst!

Die Rechnung dafür wurde der kroatischen Regierung bereits präsentiert: Kroatien befindet sich nicht im Pool der Beitrittswerber für die EU-Osterweiterung, und bis nach den Wahlen wird auch die Aufnahme in das PHARE-Hilfsprogramm der EU für Schwellenländer sowie die Aufnahme in die WTO verweigert. Auch nach den Wahlen wird eine neue Regierung erst ihre demokratische Gesinnung unter Beweis stellen müssen, um die Unterstützung der EU zu erhalten..

Die größten Chancen darauf, die neue Regierung zu stellen, hat das Wahlbündnis SDP/HSLS (Sozialdemokratische Partei Kroatiens/Kroatische Sozialliberale Partei). Mit ihrer "Vereinbarung über ein glücklicheres Kroatien" möchte es einen Ausweg aus der schweren wirtschaftlichen und sozialen Lage sowie der europäischen Isolation finden. Das die SDP in den neuesten Umfragen aussichtsreichste Oppositionspartei ist, haben die Ex-Kommunisten vor allem ihren Parteichef Ivica Racan zu verdanken. Von allen Parteivorsitzenden verfügt er über das größte Charisma und die ausgeprägteste Persönlichkeit; er neigt aber zu einem autoritären Führungsstil.

Die HSLS unter Drazen Budisa orientiert sich am sozialen und liberalen Gedankengut und setzt sich für Prosperität der Gesellschaft, basierend auf Unternehmertum, Bildung, Umweltschutz, moralischer Verantwortung und Arbeit ein. Das zweite Wahlbündnis besteht aus der Gruppe von Porec (IDS: Istrisches Demokratisches Parlament, HNS: Kroatische Bürgerliche Partei und LS: Liberale Partei) und der HSS (Kroatische Bauernpartei).

Die beiden Wahlbündnisse haben sich durch eine Vereinbarung zwischen allen sechs Oppositionsparteien dazu verpflichtet, keine Koalition mit der HDZ einzugehen und auf jeden Fall gemeinsam eine Regierung zu bilden. Außerdem wurde ein Verhaltenskodex für den Wahlkampf von allen akzeptiert.

Die bisherige Regierungspartei HDZ sieht sich als gesamtkroatische und -nationale Partei, als "Ausdruck der jahrhundertealten Sehnsucht des kroatischen Volkes nach Erlangen der Freiheit und Unabhängigkeit". Sie beruft sich auf die antifaschistische Tradition und soziale Gerechtigkeit der kroatischen Linken, hat jedoch zusehends einen rechtspopulistischen Kurs eingeschlagen.

Eine Neuheit stellt das in diesem Wahlgang praktizierte Verhältniswahlrecht dar, denn als stimmenstärkste Partei hat die HDZ eine Verhältniswahl bisher abgelehnt. Ursprünglich waren die Wahlen für den 22. Dezember vorgesehen, um den Auslandskroaten die Erfüllung ihrer staatsbürgerlichen Pflicht zu erleichtern. Daß es bei diesem unüblichen Termin in den Weihnachtsferien auch um wahltaktische Überlegungen geht, beweist die immer noch große Zahl an HDZ-Wählern in der Diaspora. Die Auslandskroaten haben weder den Willen noch die Möglichkeit, sich im Urlaub ein unverfälschtes Bild von der kroatischen Realität zu machen.

Die Amtsunfähigkeit des Präsidenten machte eine Verschiebung des Wahltermins nötig, aber auch der neu festgelegte Wahltag am 3. Jänner ist noch innerhalb der Weihnachtsferien. Somit könnte das Kalkül des sterbenden Präsidenten Franjo Tudman doch wieder aufgehen. Fraglich ist nur, ob das kroatische Volk noch einmal mitspielt?

Der Autor ist Dissertant am Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen an der Universität Wien.

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