Weg schauen verboten

Werbung
Werbung
Werbung

Ob österreichischer Rassismus Report oder EU-Erhebung zu Minderheiten und Zuwanderern - das Bild ist erschreckend gleich: Wer anders aussieht, wird anders, schlechter behandelt.

Die Anti-Rassismuskonferenz der UNO ist noch keine Woche vorbei - was ist in Erinnerung geblieben? Ein iranischer Präsident, der sich wieder auf Israel eingeschossen hat, und ganz Aufmerksame haben vielleicht auch noch etwas von einem Schlussdokument mitbekommen. Rassismus, Diskriminierung und Intoleranz müssen überall bekämpft werden, heißt es in dem Dokument. Nicht nur die niederländische Tageszeitung de Volkskrant stellt angesichts dieses Ergebnisses die Frage: "Ist es wirklich der Mühe wert, bei den Vereinten Nationen jahrelang an immer mehr Texten über Rassismus und Diskriminierung zu werkeln, die mit ihren aneinandergereihten allgemeinen und zwitterhaften Formulierungen eigentlich wenig Wert haben?"

Ja, die Mühe lohnt sich, sagt Botschafter Christian Strohal, der Leiter der österreichische Delegation in Genf. Das Dokument stelle "eine gute Basis für die zukünftigen Bemühungen im Kampf gegen den Rassismus dar" und "enthalte alle Elemente, die im Laufe der schwierigen Verhandlungen wesentliche Anliegen Österreichs und der EU waren". Auch von Nichtregierungsseite kommt Lob für die Genfer Erklärung, Durban II genannt: ZARA, die österreichische Anlaufstelle für Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit, begrüßt die UN-Bemühungen: "Damit werden die Mitgliedsstaaten der UNO an ihre Verpflichtungen im Kampf gegen Rassismus erinnert und die Aufmerksamkeit auf das Phänomen Rassismus gelenkt", sagt ZARA-Geschäftsführerin Barbara Liegl. Darüber hinaus zeigt sie sich jedoch über die positive Darstellung der österreichischen Lage durch die Bundesregierung verwundert. Für ZARA bestehen nach wie vor erhebliche Mängel: "Problematisch ist vor allem, dass es nicht einmal ein Bekenntnis zu einer Anti-Rassismus-Politik gibt." ZARA kritisiert unter anderem, dass die Regierung nach wie vor keinen Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus verabschiedet hat; sieht schwere Versäumnisse bei der Präventionsarbeit vor allem in Schulen und bedauert die mangelnde Einbeziehung der Zivilgesellschaft bei der Erarbeitung von Maßnahmen gegen rassistische Diskriminierungen.

Letztere ist entscheidend, sollte der Anti-Rassismus seinen Weg aus UN-Dokumenten hinaus in das von Rassismus, Diskriminierung und Diffamierung (auch) geprägte soziale Miteinander finden. Wie sehr das notwendig ist zeigt eine ebenfalls letzte Woche präsentierte Studie der EU-Agentur für Grundrechte (FRA) - siehe Kommentar von FRA-Direktor Morten Kjaerum.

82 Prozent der Opfer erstatten keine Anzeige

Migranten und ethnische Minderheiten werden laut dieser Studie innerhalb der EU erheblich stärker diskriminiert als angenommen. Die Dunkelziffer bei rassistisch motivierten Straftaten ist "extrem hoch". Unter Minderheiten und Zuwanderern herrscht Resignation; das "Vertrauen in die Mechanismen des Opferschutzes" fehlt. Die schlimmste Diskriminierung erfahren die zwölf Millionen Roma, gefolgt von schwarzen, afrikanischen Migranten.

82 Prozent der Befragten, die nach eigenen Angaben diskriminiert wurden, hatten dies nicht bei den Behörden gemeldet. Und 64 Prozent der Diskriminierungsopfer meinten, sie seien davon ausgegangen, dass auch im Falle einer Meldung ohnehin nichts unternommen worden wäre. Gleichzeitig kannten 80 Prozent keine Organisation, die Diskriminierungsopfer unterstützt.

In Österreich ist ZARA Anlaufstelle für Rassismus- und Diskriminierungsopfer. Vor zehn Jahren (auch als Reaktion auf den Fall Omofuma) gegründet, erstellt ZARA jährlich den Rassismus Report. Eine wichtige Datenquelle für staatliche Stellen und Menschenrechtsorganisationen - trotzdem leidet ZARA permanent unter öffentlicher Unterdotierung und Finanzierungssorgen.

Zivilcourage ist leider die Ausnahme

2008 dokumentierte ZARA 704 rassistische Vorfälle - Tendenz fallend (siehe Grafik). Daraus lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass Rassismus in Österreich abnimmt. Eher trifft auch in diesem Fall das Ergebnis der FRA-Studie zu: Die meisten Opfer erstatten keine Anzeige, weil sie nicht wissen, wo sie sich hinwenden können oder weil sie der Anzeige keine Erfolgsaussichten geben. Die Mehrheit der Fälle im ZARA-Report betrifft rassistische Übergriffe gegen Ausländer. Es sind aber auch Einzelfälle festgehalten, in denen Österreicher wegen ihrer Herkunft beschimpft werden.

Ein Fall, in dem beide Seiten verknüpft sind und in dem Zivilcourage die entscheidende Rolle spielt, wurde von Herrn E. an ZARA gemeldet: Der Österreicher machte sich 2008 mit seiner Freundin per U-Bahn auf den Heimweg von der Wiener Donauinsel. Im Zug hören sie rassistische Bemerkungen gegen einen Mann mit schwarzer Hautfarbe. "Du Scheiß-N…, ihr fickt unsere Frauen!", beschimpfen mehrere Männer den Schwarzen. Der versucht zu beruhigen, will weggehen. Die Angreifer schimpfen weiter und schlagen zu. Der Attackierte flieht. Herr E. läuft dem Flüchtenden nach, stellt sich zwischen ihn und seine Angreifer. Das Gesicht des Schwarzen ist blutig, seine Lippe aufgeplatzt. "Lass uns zum N…! Du Scheiß-Linker, lass uns zu ihm!", fahren die Angreifer E. an. Der bleibt stehen, versucht die Männer zu beruhigen. Die schlagen auch auf E. ein. Seine Freundin und zwei Bekannte eilen zu Hilfe - sie werden ebenfalls geschlagen. Eine andere Passagierin zieht die Notbremse. Die Rassisten bespucken E. und einen Fahrgast, der sich einmischt. Schließlich zerren sie E. an den Haaren aus dem Zug, schleifen ihn am Boden hinter sich her. Erst ein weiterer Fahrgast kann die Angreifer mithilfe eines Pfeffersprays zur Räson bringen. Die Polizei kann die Angreifer festnehmen; bis auf E. und seine Freunde sind aber alle anderen Opfer der Attacke weggegangen - ohne Anzeige zu erstatten! E. hat seither Schmerzen am Kiefer und kann den Mund nicht mehr ganz öffnen - er erhält Unterstützung vom Opferschutzverein "Weißer Ring". Das Verfahren hat noch nicht stattgefunden.

Zivilcourage par excellence - leider wurde Herr E. nach dem Vorfall von den anderen Opfern allein gelassen und leider ist der Mut von Herrn E. die Ausnahme. Rassismus-Report-Chefredakteurin Sonja Fercher: "Unsere Wahrnehmung von Zivilcourage ist eher schockierend - eher wird weggeschaut."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung