r_kraetzl_vortrag_2012_jpg-r_kraetzl_vortrag_2012 - © Erzdiözese Wien

Weihbischof Helmut Krätzl: Konzilssohn

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Sein Konzilsbuch "Im Sprung gehemmt" wurde ein kirchlicher Bestseller. Auch im FURCHE-Gespräch zeigt sich Weihbischof Helmut Krätzl vom Feuer des II. Vatikanums gepackt.

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Sein Konzilsbuch "Im Sprung gehemmt" wurde ein kirchlicher Bestseller. Auch im FURCHE-Gespräch zeigt sich Weihbischof Helmut Krätzl vom Feuer des II. Vatikanums gepackt.

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Als Papst Johannes XXIII. am 11. Oktober 1962 das Zweite Vatikanische Konzil eröffnete, war Helmut Krätzl 31 Jahre alt und live dabei. Als Konzilsstenograf zeichnete er das Ringen der Konzilsväter um eine Erneuerung der Kirche auf. Heute bezeichnet sich der Wiener Weihbischof selbst als "einen der letzten überlebenden bischöflichen Konzilssöhne". Bei aller Liebe zu seiner Kirche klagt er notwendige Reformen ein.

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DIE FURCHE: Sie werben seit vielen Jahren um eine Fortführung der Kirchenerneuerung im Geist des II. Vatikanums. Woher nehmen Sie die Kraft dazu?
Bischof Helmut Krätzl:
Aus dem Konzil selber. Für mich war das Konzil das prägende Ereignis meines Priesterlebens. Ich war so beeindruckt von dem, was sich damals in der Kirche bewegt hat, dass ich mich heute verpflichtet fühle, es anderen weiterzugeben. Das Konzil ist ein Auftrag, den die Kirche damals geistgewirkt bekommen hat.

DIE FURCHE: Warum klagen heute so viele Menschen, dass man von diesem Geist nur noch wenig spürt?
Krätzl:
Zunächst einmal muss man sagen: Das Konzil hat viel mehr Früchte getragen als man heute glaubt. Der Theologe Otto Hermann Pesch hat einmal geschrieben: Die unter 50-Jährigen wissen nicht, mit welcher Selbstverständlichkeit sie auf den Früchten des Konzils aufbauen können. Das ganze Klima in der Kirche, die Liturgie, der Kirchenbegriff, die Bedeutung der Laien, die Ökumene - all das sind ja Erfolge des Konzils, die vorher fast undenkbar waren.

Allerdings hat die Kirche die Umbrüche in der Gesellschaft seit 1968 nicht positiv aufgenommen, sondern als Bedrohung angesehen. Heute hat sie ihre dominierende Position verloren. Nicht wenige haben die Schuld daran dem Konzil gegeben. Sie sagen: Hätte die Kirche Fenster und Türen nicht so weit geöffnet, wäre sie heute stärker. Ich halte diese Einstellung für völlig falsch.

Ich habe Dispute mit Bischöfen geführt, die sagen, der Heilige Geist habe nur die Letztfassung der Konzilstexte gewollt. Ich fordere gegen diese fundamentalistische Sichtweise, dass wir auch hier die historisch-kritische Methode beachten.

DIE FURCHE: In Ihren Büchern mahnen Sie, dass die Erneuerung der Kirche nicht konsequent genug durchgeführt wurde. Woran denken Sie da?
Krätzl: Zunächst einmal daran, wie wir Kirche sehen. Sie ist wieder neu als Gemeinschaft aller Getauften, als communio zu entdecken. Ich möchte Mut machen zur Rede vom gemeinsamen Priestertum, das über lange Zeit als typisch protestantische Formulierung gegolten hat und das die Mitverantwortung der Laien unterstreicht; erneuert werden müsste die Kollegialität von Bischöfen und Papst; notwendig wäre eine Dezentralisierung und Regionalisierung. Leider ist man bei all diesen Fragen nicht weiter gegangen, sondern zurück: Der Zentralismus wächst, die Vollmacht der Ortskirchen ist geringer geworden, der Status der Bischofskonferenzen geschwächt statt gestärkt.

DIE FURCHE: Brauchen wir also ein drittes Vatikanum, um diesen Reformstau zu beenden?
Krätzl:
Es ist wahrscheinlich in der nächsten Zeit wieder ein Konzil notwendig, um diese wesentlichen Fragen zu behandeln. Noch ist es dazu aber zu früh. In der momentanen Grundstimmung würde ein drittes Vatikanum zu einer sehr scharfen Korrektur des zweiten führen. Vielleicht muss der Leidensdruck noch wachsen, bis der Kirche aufgeht, dass sie auf dieser Welt eine so große Aufgabe hat, dass sie wieder zu einem neuen Sprung ansetzen muss.

DIE FURCHE: Bei der Liturgiereform des Konzils ist dieser Sprung sehr groß ausgefallen. Kritiker sagen, dass das Mystische verlorengegangen sei.
Krätzl:
Ich frage dann immer gerne zurück, was man unter dieser Mystik versteht. Wenn Mystik aus einer unverständlichen lateinischen Sprache, aus Stillen Messen und Weihrauchschwaden besteht, dann mag das sein. Als kleiner Bub habe ich das noch miterlebt. Dennoch: Mystisch war das nicht! Mystik heißt doch: etwas von der Nähe Gottes erfahren und erleben. Eine gut gestaltete Liturgie heute vermittelt das Erlebnis, dass hier in dieser feiernden Gemeinde Gott im Wort und im Sakrament gegenwärtig ist. Das halte ich für die anzustrebende Mystik. Allerdings gebe ich Kritikern Recht, die sagen, dass da und dort zuviel Aktionismus herrscht. Das Konzil hat die Liturgiereform als Herzstück der Kirchenreform begriffen. Es hat die Reform aber nicht abgeschlossen, sondern Richtlinien für die Zukunft erarbeitet.

DIE FURCHE: Müssen wir die Texte also wieder lesen und neu interpretieren?
Krätzl:
Man versteht die Texte des Konzils nur richtig, wenn man ihre Entstehungsgeschichte von der ersten Vorlage bis zur letztgültigen Fassung betrachtet. Doch darüber habe ich schon Dispute mit Bischöfen geführt, die sagen: Es sei nur die Letztfassung, die der Heilige Geist gewollt habe. Ich fordere gegen diese fundamentalistische Sichtweise, dass wir bei der Interpretation der Konzilstexte - wie in der Bibelwissenschaft - die historisch-kritische Methode beachten. Diese Methode fragt nach dem Kontext, nach dem Sitz im Leben eines Textes. Wir Bischöfe müssten gemeinsam mit den Theologen wieder die Texte lesen! Genau wie die Bischöfe des Konzils, die ohne ihre theologischen Berater nie zu ihren neuen Einsichten gekommen wären.

DIE FURCHE: Zwei dieser Theologen, Hans Küng und Josef Ratzinger, haben sich nach dem Konzil in völlig entgegengesetzte Richtungen entwickelt. Ratzinger, heute Chef der Glaubenskongregation, war beim Konzil Berater des reformorientierten Kardinals Josef Frings. Wieso hat sich sein ehemaliger Berater Ratzinger heute zur Speerspitze der Bremser des konziliaren Aufbruchs gewandelt?
Krätzl:
Gegen Ende des Konzils haben ihn einige Entwicklungen stutzig und nachdenklich gemacht: Ratzinger wehrte sich gegen ein Missverständnis von Kirche als einer rein irdischen, soziologisch fassbaren Größe. In Tübingen gab es nach dem Konzil radikal fortschrittliche Theologen, die solche Ansichten vertraten und Ratzinger für sein Verständnis von Kirche als Mysterium belächelt haben.

Dazu kam noch, dass Tübingen in den sechziger Jahren stark unter den Einfluss der Frankfurter Schule geriet. Ratzinger schreibt in einer seiner Lebensbeschreibungen, wie enttäuscht er war, dass die theologischen Fakultäten die Einflüsse der marxistischen Philosophie ohne Gegenwehr in sich aufgesogen hätten. Das scheint bei ihm der Wendepunkt gewesen zu sein.

DIE FURCHE: Und wie beurteilen Sie die Entwicklung von Hans Küng?
Krätzl:
Ich habe an Hans Küng immer die ungeheure Begabung bewundert, schwerste theologische und philosophische Wahrheiten in einer fast journalistischen Verständlichkeit wiederzugeben. Das hat ihn lesbar gemacht. Vielleicht ist das aber auch zu einer Versuchung geworden, sich in dieser Art mehr zu produzieren. Sein Bruch mit der Kirche hat mit seiner Kritik an der Unfehlbarkeit des Papstes begonnen. Der Münchner Kardinal Julius Döpfner hat damals versucht, Brücken zwischen Küng und der Glaubenskongregation zu bauen.

Doch Küng ist immer mehr in die Opposition gegangen. Eine tragische Entwicklung! Er ist ein so wichtiger Mann für die Kirche. Allerdings hat er auf diese Art vielleicht mehr Freiheit bekommen, sich zu einem der wichtigsten Vertreter eines Weltethos zu profilieren, das einen Weltfrieden ohne den Frieden der Religionen nicht für möglich hält.

DIE FURCHE: Küng gehört also zu jenen, die zu schnell und zu viel nach dem Konzil wollten und so mitverantwortlich für den Rückschlag sind?
Krätzl: Ja, das kann man sagen. Ich glaube, dass zu radikal fortschrittliche Kreise mitschuldig an dieser Reaktion sind

DIE FURCHE: Damit kommen wir wieder in die Gegenwart. Der Theologe Eugen Biser hat ein vertikales Schisma in der Kirche konstatiert.
Krätzl:
Es gibt tatsächlich Anzeichen dafür. An der Basis haben sich die Leute in manchen Fragen, wie beispielsweise bei der Empfängnisverhütung, ihren eigenen Weg gesucht. Die strenge Weisung der Enzyklika Humanae Vitae mit ihrem Verbot der künstlichen Empfängnisverhütung ist nie ganz rezipiert worden. Auch bei der Frage nach den wiederverheirateten Geschiedenen oder bei den konfessionsverbindenden Ehen klaffen kirchliche Weisung und Praxis auseinander. Das ist auf Dauer aber unmöglich. Daher hätten wir Bischöfe nicht die Aufgabe, die Basis zu korrigieren. Wir hätten vielmehr die Aufgabe, mit Rom sehr verantwortungsvoll weiterzudenken und diese Kluft möglichst zu schließen. Sonst besteht die Gefahr, dass die obersten Verantwortlichen eine Kirche regieren, die es eigentlich nicht mehr gibt.

DIE FURCHE: Werden Sie eigentlich nie müde, weiter fürs Konzil zu werben?
Krätzl:
Ich habe keine Zeit, müde zu werden. Ich bin erstaunt, auf wie viel Interesse meine Bücher stoßen. Ich habe eine Unzahl von Einladungen aus ganz Europa. Mit gewissem Stolz kann ich sagen: In der Regel kommen viele Leute. Das ermutigt mich. Ich hoffe, dass ich bei aller Kritik den Leuten dennoch Hoffnung mache, und dass der Tenor meiner Vorträge ermunternd und positiv ist. Ich sehe so viele Aufbrüche an der Basis: Die Selbständigkeit der Laien, neue Gottesdienstformen, ein erstaunliches Interesse für Bibel und Theologie, ein neues Suchen nach Spiritualität. Sogar die Spannungen in der Kirche sind für mich ein Zeichen ihrer Lebendigkeit. Diese Spannungen werden in aller Öffentlichkeit auf einem hohen theologischen Niveau in seriösen Zeitschriften abgehandelt. So etwas hätte es unter Pius XII. nicht gegeben! All das macht mich zuversichtlich.

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