Kirchenbänke - © iStock/ coldsnowstorm

Weihnachten 2021: Viel Bangen –und ein klein wenig Hoffen

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Für die Gesellschaft wie für die Kirche scheinen die Zeiten nicht rosig. Aber wer sich darauf einlässt, der entdeckt Aussichten. Gerade in christlicher Perspektive.

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Für die Gesellschaft wie für die Kirche scheinen die Zeiten nicht rosig. Aber wer sich darauf einlässt, der entdeckt Aussichten. Gerade in christlicher Perspektive.

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I.
Die quälend-zähe Coronapandemie macht Verborgenes sichtbar, in uns und um uns herum: unsere Sicherheiten und unsere Fragilität, was funktioniert und was nicht, und wohl auch, mit wieviel Resilienz, wieviel Grundvertrauen wir ausgerüstet wurden. Denn diese Krise zerlegt die Sicherheitsfiktionen der klassischen Moderne – und das nicht mehr nur in den analytischen Diskursen der einschlägigen Gesellschaftswissenschaften, sondern in der Alltagserfahrung. Vor allem eine Hoffnung erweist sich als Utopie: dass die Zukunft so ungefähr das Ergebnis unseres Wollens und Planens sein wird, dass die lange so erfolgreiche Überführung der Unwägbarkeiten von Natur und menschlicher Existenz in die Kontrollier- und Planbarkeit kultureller Institutionen und Strukturen in ein gesichertes Leben führt.
Offenkundig ist das nicht der Fall. Es ist etwas anderes passiert. Die zum Zweck der Naturbeherrschung in Gang gesetzten kulturellen und technologischen Prozesse entwickeln hinter unserem Rücken eine unkontrollierbare Eigendynamik, die vor uns als Quelle unvorhergesehener, ja unvorhersehbarer Ereignisse wiederauftaucht. Mit Armin Nassehi gesprochen: Wir leben „nicht in einer kausalen“, sondern in einer „stochastischen Welt“, wo bestenfalls Wahrscheinlichkeiten berechenbar sind – und auch die nur bedingt. Das wird nicht aufhören, das wird weitergehen.

Wir stecken mitten in einer Gesundheitskrise und am Beginn einer Klimakrise. Beide Krisen haben uns überrascht, die eine abrupt, die andere kam schleichend. Alles spricht dafür: Es werden uns noch mehr Krisen überfallen. Die nicht-kausale Zukunft mit ihrer quälenden Unabsehbarkeit macht Sorgen, große Sorgen, persönlich wie politisch. Denn sie fordert eine Fähigkeit, die man nicht einfach so besitzt: Unsicherheit aushalten zu können. Die Populismen der letzten Jahre und Jahrzehnte haben gezeigt, dass diese Unsicherheitskompetenz alles andere als selbstverständlich ist. Populismen schließen individuelle Sorgen und Politik kurz: sei es grobschlächtig wie bei Trump, sei es – mehr oder weniger – subtil hierzulande.

II.
Was gibt da Hoffnung? Politisch die liberale Demokratie, ihre starken Zivilgesellschaften und die Tatsache, dass die Mehrheit von deren Eliten heute für beides einsteht. Vor dem Nationalsozialismus haben vor allem die Eliten versagt und das so ziemlich durch die Bank: in Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur, Kirche(n) und Medien. Es waren da nicht alle bekennende Nationalsozialisten, aber in der Mehrheit eben auch keine Demokraten. Man vertrat partikuläre Interessen, autoritäre Politikmodelle und heroisch-männliche Krisenbewältigungskonzepte bis hin zu rassistischen Über- und Unterordnungsfantasien. Das gibt es heute alles auch noch und teils wieder, aber es ist nicht mehrheitsfähig und es gibt breiten und erfolgreichen Widerstand dagegen in Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur, Kirche(n) und Medien.

Bei allen Fehlern in der Pandemiepolitik: Der zivilisatorische Grundkonsens hat gehalten. Man folgte einer demokratisch-menschenrechtsbasierten Politik zum Schutz des und der Einzelnen und gab keinem utilitaristischen Kalkül nach. Man hat zu spät reagiert, zu lange das einsame Sterben alter Menschen in Kauf genommen und Menschen mit Kindern überproportional Lasten aufgebürdet. Aber die politischen Eliten in Europa und auch in Österreich sind nicht, wie rechte, aber auch manche sogenannte „progressive“ Teile der Bevölkerung, der fatalen Kombination aus Wissenschaftsfeindlichkeit, Esoterik und Sündenbockmechanismen gefolgt. Das macht Hoffnung.

Ob die liberale Demokratie dem Transformationsstress einer überraschungsdichten und „stochastischen“ Zukunft standhält und weder nach „links“ in eine Ökodiktatur noch nach „rechts“ in einen rassistischen Ausgrenzungspopulismus abkippt? Ob sie effizient genug ist, die auf sie einstürzenden Krisenlagen mit demokratischen Mitteln zu bewältigen? Wer kann es sicher wissen? Wehe, wenn nicht.

III.
Und unsere Kirche? Sie ist belastet mit ihrer triumphalen Dominanzgeschichte,
die heute so gar nichts mehr wert ist. Sie ist geschlagen mit Glaubwürdig­keitsproblemen, weil sie den Gläubigen sexuelle Enthaltsamkeit predigte und priesterliche Sextäter deckte. Alles, worauf sie stolz war, vom asketischen Zölibat, über ihr naturwissenschafts­gleich abgesichertes dogmatisches Lehrgebäude bis zu ihrem ästhetischen und finanziellen Reichtum und gar ihrer hierarchisch-
absolutistischen Verfassung: Es hilft ihr nicht mehr – im Gegenteil. Und sie ist darüber zerstritten, ob sie vielleicht doch Prozesse „nachholender Entwicklung“ in
Menschenrechtsfragen, vor allem in ihrer Einstellung zu den Frauen, aber auch in
ihrer rechtlichen Verfasstheit, wagen soll – oder lieber doch nicht.

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