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Welchen Gott hat die Jugend?

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„Jugend und Religion"- diesem Thema widmete der Autor dieses Beitrags in Deutschland die erste umfassende Studie seit über 30 Jahren.

Die Studie „Jugend und Religion" wurde von mir im Jahr 1991 im Auftrag der Arbeitsge-meinscnaft der Evangelischen Jugend in Deutschland mit Geldern des Bun-desjugendministeriums in Bonn durchgeführt. Einige ausgewählte Ergebnisse der qualitativen, mehrstündigen Interviews mit Jugendlichen unterschiedlichster Nähe zur Kirche , ~ darunter auch Okkultismus- und New-Age-nahe „Häretiker" - stelle ich im folgenden vor.

l Religion im Alltag. Religion spielt im Alltag der Kirchenfernen kaum eine Rolle. Sie gilt - ganz im Sinne der Religionskritik von Marx oder Freud - als „Opium des Volkes", als „selbstgeschaffene Märchenwelt" einer unreifen Menschheit. Es sind demnach die Schwachen, die Außenseiter, die Alten, die Armen und Kranken, die hier Halt und Schutz finden. Wer sein Leben nicht selbst in den Griff kriegt, der verschreibt sich einer Religion. Der selbständige, aufgeklärte Jugendliche von heute dagegen ist stolz darauf, daß er sowas nicht braucht.

Eine positive Wertschätzung von Religion dagegen findet man bei den „Häretikern". Auch sie sehen zwar Religion als selbstgeschaffene Lebenshilfe an - ziehen daraus jedoch nicht den Schluß, daß Religion abzuschaffen sei. Da der Mensch ohnehin immer Schöpfer seiner eigenen geistigen Wirklichkeiten ist, ist auch die vermeintliche Abschaffung der Religion eine Fiktion. Diese Einsicht in die Unentrinnbarkeit der Mythen führt zur Neu- und Selbstschaffung von Religion.

2. Wandel des Gottesbildes. Die Zahl der Jugendlichen, die in Umfragen auf die Frage „Glaubst du an Gott" ihr Kreuz vor das „Ja" machen, nimmt auch in Deutschland kontinuierlich ab. Immerhin bejaht noch über die Hälfte der Westjugendlichen den Gottesglauben. Wesentlich aufregender scheint mir allerdings die Tatsache, daß das traditionelle christliche Gottesbild am Verschwinden ist. Soweit Gott heute noch denkbar ist, wird er immanent, nicht transzendent vorgestellt: Gott ist nicht „der ganz andere", sondern es heißt: „Gott ist in allem". Gott ist nicht mehr ein personales Gegenüber, sondern eher der innere Dia-

logpartner. Er wird mit einem Energiefeld verglichen, und man betont: „Ich bin ein Teil von Gott."

Zum gewandelten Gottesbild gehört die Ablehnung des Dualismus von gut und böse zugunsten einer komplementären Auffassung, wie der einer 18jährigen „Häretikerin": „Wenn Gott ein höheres'Wesen ist, dann muß er das Gute und das Böse in sich haben. Wenn er uns erschaffen hat - und wir sind immer gut und böse zugleich - dann muß er selber auch gut und böse sein."

VORBILD JA, ERLÖSER NEIN

). Jesus Christus. Ein persönlicher Bezug zu Jesus Christus ist nur noch bei Kirchennahen zu vermelden. Von den anderen Jugendlichen wird zwar die Existenz des Menschen Jesus von Nazareth kaum bestritten, doch die Überzeugung, er sei Gottes Sohn und habe uns von unseren Sünden erlöst, ist so gut wie verschwunden. Man bewundert zwar seine besonderen Leistungen und Fähigkeiten und versagt ihm auch als humanitäres Vorbild nicht den Respekt. Seine Erhöhung und dogmatische Verklärung durch die Kirchen tut diesem Respekt aber eher Abbruch. Seine Wirkung als charismatischer Sozialrevolutionär wird also heute sozialpsychologisch und nicht mehr eschatologisch gedeutet.

„Daß er gekreuzigt wurde, glaube ich. Daß er auferstanden ist, glaube ich nicht" - dieses Zitat bringt die allgemeine Haltung zu Jesus Christus treffend auf den Punkt.

4. Religiöse Symbole. Es kann kaum verwundern, daß angesichts des dramatischen Traditionsabbruchs im Bereich der einstigen christlichen Grundüberzeugungen auch die religiöse Symbolwelt durch starke Erosionen gekennzeichnet ist. Deuthch ist davon das zentrale christhche Symbol, das Kreuz betroffen. Es wird, außer von Kirchennahen, entweder emotional distanziert als bloßes Erkennungszeichen der Christen oder ablehnend als grausames Folterwerkzeug erlebt: „Was heute der elektrische Stuhl ist, war früher das Kreuz", heißt es zum Beispiel. Oder: „Wie kann man sich dieses Mordwerkzeug übers Bett hängen?" Die ursprüngliche Bedeutung als Symbol der Sündenvergebung, Erlösung und Auferstehung spielt eine nur noch marginale Ro le.

Demgegenüber scheint sich das Yin-Yang-Symbol als Ausdruck des authentischen heutigen Lebensgefühls bestens zu eignen. Es erfreut sich breitester Sympathie und wurde in unseren Interviews öfters spontan zur Kennzeichnung letzter Überzeugungen herangezogen. Als Symbol der Verwandlung, der Polaritäten und der Vereinigung der Gegensätze kommt in ihm offenbar eine starke Sehnsucht nach Ganzheitlichkeit zur Darstellung.

5. Der Auferstehungsglaube. Die Prozentzahl der Jugendlichen, die an ein „Weiterleben nach dem Tod" glaubt, bildet de« einzigen Ausreißer aus dem sonst flächendeckenden Niedergang von Glaubensüberzeugungen. 1984 waren es zum Beispiel 49 Prozent, die an ein Weiterleben nach dem Tode glaubten. Laut der neuesten Statistik (Shell-Jugend-Befragung, 1991) ist diese Zahl inzwischen auf 55 Prozent gestiegen. Unsere Interviews zeigen freilich, daß nicht der christliche Auferstehungs-glaube eine Renaissance erfährt. Vielmehr sind es diffuse Vorstellungen, „daß es irgendwie weitergehen muß". Oder auch ganz'explizit der östliche Reinkarnationsgedanke.

SELBSTÄNDIG, REICH, BERÜHMT

6. Die Wahrnehmung der Kirchen Als Hüterin und Vermittlerin von Lebenssinn oder authentischer religiöser Praxis kommt der Kirche kaum noch Bedeutung zu. Distanz und Desinteresse sind vielmehr die Kennzeichen der wohl gängigsten Haltung: „Solange sie mich in Ruhe läßt, hab' ich nichts dagegen."

Positiv werden nur die vielfältigen sozialen Aktivitäten der Kirchen verbucht. Aber auch hier hofft man, daß man sie selbst nie wird in Anspruch nehmen müssen. Selbstgewählte Berührungspunkte bilden nur die kirchlichen Passagerituale. Bei der Kommunion beziehungsweise Konfirmation steht dabei der materielle Anreiz im Vordergrund. Die „Hochzeit in Weiß" wird wegen der feierlichen Atmosphäre dem bloßen Standesamt häufig vorgezogen. Stark ausgeprägt ist das Image der Kirche als institutioneller Machtap-)arat, der mit den großen Parteien, dem Staat oder dem Finanzamt verglichen wird: Machtkämpfe, hierarchische, patriarchalische Strukturen, Profitorientierung und Korruption werden den Kirchen zugeschrieben und heftig abgelehnt. Die Kirchenkritik fällt bei den „Häretikern" am schärfsten aus, doch auch von Kirchennahen erklingen jolemische Töne gegenü-3er dem „erkalteten' Verwaltungsapparat.

7. Der Sinn des Lebens. Die Orientierung an übergeordneten, allgemeinverbindlichen Sinnhorizonten ist weitgehend verschwunden. Der Lebenssinn wird zunehmend im innerweltlichen Wohlbefinden gesehen. Lebensgenuß und Selbstverwirklichung - das ist es, „worauf endlicher es im Leben ankommt". üN", BAND 3 Als Subjektiv für die junge

Generation wichtigste Säulen des individuellen Glücks wurden identifiziert: Vertrauensvolle, verläßliche Freunde; Geborgenheit in der Partnerbeziehung beziehungsweise in der Familie; gehobener Lebensstandard; Zufriedenheit im Beruf; Streben nach Freiheit und Selbstkongruenz, nach Selbstverwirklichung und Erlebnisintensität.

In meiner Studie zeigt sich das innerweltliche Glücksstreben auch an den „Traumberufen", die sich etwas vergröbert mit „selbständig, reich und berühmt" umschreiben lassen. Oder an den Leitbildern, wo altruistische Werte wie Selbstlosigkeit nur noch selten - verkörpert in Mutter Teresa oder Albert Schweitzer - als erstrebenswert beschrieben werden. Wesentlich wichtiger sind Werte, die das Leitbild des erfolgreichen Yuppie verkörpern: attraktives Aussehen, souveränes Auftreten, kommunikative Kompetenz, Erfolg und Berühmtheit. Persönhchkeiten, die für Selbstverwirklichung, Unabhängigkeit und Unbeirrbarkeit stehen, werden bewundert - etwa Mahatma Gandhi und Nelson Mandela, aber auch der Popstar „Madonna".

Ich behaupte damit keineswegs die Ersetzung des christlichen Sinnkosmos durch einen neuen verbindlichen „heiligen Baldachin". Der für die junge Generation treffendere Begriff ist vielmehr „religiöse Fleckerlteppichnäherei". Damit läßt sich die in meiner Studie vor allem in der Gruppe der „Häretiker" anzutreffende polymorphe Religiosität charakterisieren: Man verwendet das, was der eigenen Selbstfindung nützt, egal, ob aus indischen, indianischen, vorchristlichen Religionen oder aus der okkulten Unterströmung der abendländischen Kultur selbst stammend. Eines ist eindeutig: Die christliche Rehgion hat ihre Monopolstellung verloren. Im „heißen Zentrum" der aktuellen religiösen Unruhe will man von schlüsselfertigen Sinngebäuden nichts mehr wissen und bastelt eher an individuellen Wohnmobilen mit Allrad-Antrieb.

Heiner Barx ist

Autor des Forschungsberichtes „Jugend und Religion". Opladen 1992-91 Teil 1: Religion ohne Institution.^ Eine Bilanz der sozialwissenschaftlichen Jugendforschung. Teil 2: Postmoderne Religion Am Beispiel der jungen Generation in den alten Bundesländern. Teil ): Postsozialistische Religion. Am Beispiel der jungen Generation in den neuen Bundesländern.

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