Welt braucht Mönche und Nonnen

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Österreichs katholische Bischöfe haben 2002 zum "Jahr der Berufung" erklärt. Dass am Ende dieses Jahres die dünn gewordenen Reihen der Ordensgemeinschaften wieder fülliger und verjüngt sein werden, ist dennoch unwahrscheinlich. Was tun?

In der Zeitschrift National Geographic war kürzlich ein Foto von einem buddhistischen Kloster in Nordchina, in einem verlassenen Winkel nahe der Mongolei, zu sehen: Ein betender Mönch, eingehüllt in die dunklen, warmen Rot- und Brauntöne der Meditationshalle. Früher lebten hier an die achtzig Mönche; jetzt ist er der einzige. Ich kenne diesen letzten Mohikaner nicht, aber ich vermute, dass er sich keine allzu großen Sorgen um Berufungen macht. Als Buddhist weiß er, dass nichts auf der Welt beständig ist.

Wie immer ist es weise, die Dinge ohne Aufregung zu betrachten. Gelassenheit ist das monastisch erprobte Gegenmittel gegen ein schnelles Urteil, zum Beispiel jenes, dass die Schuld am bedrohlichen Mangel an Berufungen zum Ordensleben nur draußen "in der Welt" liege, beim "Zeitgeist", der die Gesellschaft und also auch die Jugend von der religiösen Sphäre abschneidet. Diesen berechtigten Vorwurf kennt der Zeitgeist schon quasi ewig.

Die Nachwuchskrise in den Ordensgemeinschaften ist seit langem chronisch und nunmehr akut, sie betrifft die "aktiven" Orden genauso wie die eher "kontemplativen". Anderseits knospen neue Typen religiöser Gemeinschaften oder blühen gar, es kann die Verderbnis also nicht total sein. Ist es - von Einzelfällen großer, altersmäßig breit gestreuter Kommunitäten - vor allem eine Krise der alten, klassischen Orden?

Nicht nur der Zeitgeist

Nicht, dass es überhaupt keine Kandidaten gäbe; sie kommen, und irgendwann sieht man sie wieder gehen. Es fehlt heute die Beständigkeit, lautet dann der interne Befund, es fehlt die Bereitschaft, sich dauerhaft zu binden und diese Bindung durchzustehen, wie in einer Ehe. Beim ersten Streit ums Frühstück lassen sie sich scheiden. Dann noch die Autoritätskrise, der allgemeine Glaubensschwund, die Ablenkung und Verführung durch andere spirituelle Angebote, die Alles-sofort-Mentalität, der Drang nach egozentrischer Selbstverwirklichung, von der Verweigerung der Selbsthingabe gar nicht zu reden. Manche Kandidaten haben einfach nur unerfüllbare Erwartungen.

Stimmt im Prinzip alles, beschreibt aber natürlich nicht die ganze Wirklichkeit. Wenn eine oder einer "die Berufung" hat, dann befindet sich diese Person in einer speziellen spirituellen Lebenssituation, die keiner kirchenrechtlichen Legitimierung bedarf. Der Wunsch, diese Berufung zu einem religiös zentrierten Leben nicht in freier Wildbahn, sondern in einem der für solche Fälle vorgesehenen kirchlichen Institute auszuleben, sagen wir, in einem Krankenhaus- oder Schulorden oder in einem kontemplativen Kloster, drückt eine noch speziellere, immer seltenere Situation aus. Man soll diese beiden Dinge nicht in einem Topf vermischen. Nur wenn man "Berufung" mit dem regelrechten "Eintritt in ein kirchliches Institut" gleichsetzt, sieht es so aus, als lebten wir in einer Zeit, die sich von der Dürre ihrer Profanität nicht mehr erholen kann.

Die Welt ist größer geworden, offener - weil das Gesichtsfeld sich verbreitert hat. Erst seit wenigen Jahrhunderten ist das Weltbild, zumindest was unseren Planeten betrifft, vollständig. Staunen und Schock: Wir sind nicht allein, nicht einmal auf unserem eigenen Planeten. Man sieht, was vorher fehlte; man wusste gar nicht, dass etwas fehlte. Es zeigt sich, dass die Welt aus Elementen besteht, die einander ergänzen. Auch in religiöser Hinsicht. Lange hat es gedauert, und mühsam war es. Erst spät kommt die Einsicht, dass der "Dialog" notwendig ist.

Die Entdeckung "der anderen" hat bei vielen Menschen, nicht nur jungen, den Verdacht ausgelöst, es gebe ein Heil auch außerhalb der Kirche. Es trifft alle institutionalisierten Religionen, die eine letzte, einzige, komplett geoffenbarte und vom irdischen Klerus verwaltete Wahrheit postulieren. Der Anspruch einer einzigen Wahrheit, die andere Wahrheiten als bestenfalls respektable Irrtümer toleriert, stimmt für viele Menschen nicht mehr mit ihrer Lebens- und Welterfahrung überein, bewusst oder unbewusst. Das mag eine intellektuell bequeme, in die spirituelle Zerbröselung führende Deutung der Welt sein - oder, für andere, Einsicht in das Spiel der Ergänzungen, Einsicht in die Fülle. Besonders die religiösen Orden, die auf ein Leben in der unmittelbaren Gegenwart Gottes zielen und damit zum Eintauchen in eine mystische Existenz einladen, werden nicht an diesen Fragen vorbeikommen. Warum? Zum eigenen Wohl und um Missverständnisse zu vermeiden. Um zu verhindern, dass beide Seiten, die Orden und die potenziellen Interessenten, gar nicht zueinander kommen, weil sie nichts mehr voneinander wissen.

Was den Kandidaten, die früher oder später wieder ihre Sachen packen, als Unbeständigkeit oder Bindungsangst ausgelegt wird, ist oft nur ein Unbehagen, ein mehr oder weniger unbestimmtes Empfinden, dass etwas fehlt. (Nicht das: Mit dem Zölibat war ja zu rechnen!) Oder etwas zu viel ist. Zuviel Schwere, zum Beispiel. Zuviel theologischer Aufwand für ganz einfache Dinge. Zuviel Gewicht der Ordensangelegenheiten. Zuviel Sorge um die Zukunft der eigenen Zunft. Der hl. Benedikt hat - nach eigenen Worten! - seine "Regel" für Anfänger geschrieben. Vor gut anderthalbtausend Jahren, für Mönche seiner Zeit, seines Lebensraums. Sein vernichtendes Urteil über zwei Typen von Mönchen, die es schon lange nicht mehr gibt, die Sarabaiten und die Gyrovagen, sitzt heutigen Orden noch immer in den Knochen. So als ob das Kloster als Ort lebenslanger Sesshaftigkeit und spiritueller Domestikation die Hauptsache wäre und nicht Gott und die Menschen, die sich der Gottsuche verschrieben haben und das Kloster erst mit lebendem Geist erfüllen.

Archetyp Mönchstum

Eine neuere Deutung des Monastizismus besagt, dass Mönch und Nonne einen Archetyp der Menschheit darstellen. Es sollte zu denken geben, dass verschiedene Religionen ein Mönchstum hervorgebracht haben, dessen Formen sich im Wesentlichen nur geringfügig voneinander unterscheiden. Archetyp, das bedeutet, dass die Menschheit Mönche und Nonnen zum Leben braucht und ohne sie nicht leben kann. Mönche und Nonnen wird es demnach geben, solange es die Menschheit gibt, im alten Gewand, im neuen Gewand, ein Archetyp ist nicht verpflichtet, ordensrechtliche Auflagen zu erfüllen.

Übrigens: Von den Trappisten - den Zisterziensern der Strengeren Observanz - kann beispielsweise berichtet werden, dass sie Nachwuchs haben, und zwar in der Dritten Welt. Außerdem verschiebt sich das Verhältnis zwischen Männern und Frauen, zugunsten der Frauen natürlich. (Das Argument, dass es in Afrika und Südamerika und Asien die Armut sei, die junge Leute ins Kloster führt, müsste rückwirkend auch auf die Blütezeiten der Klöster der so genannten Ersten Welt angewendet werden.)

Ein Bulletin könnte also lauten: "Den Orden geht es ganz gut. An Nachwuchs mangelt es nur in den Problemzonen Europa und Nordamerika."

Der Autor war Journalist. Seit drei Jahren lebt er bei Trappisten in Österreich, Bosnien und Frankreich.

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