Weltjugendtag in Madrid: Weltkirchenfest kollektiver Fröhlichkeit

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Am 26. Weltjugendtag in Madrid zelebrierten über eine Million Katholiken Einheit und Lebensfreude. Weltliche und kirchliche Krisen waren kein Thema - trotz einiger Demonstrationen gegen Papst Benedikt XVI.

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Am 26. Weltjugendtag in Madrid zelebrierten über eine Million Katholiken Einheit und Lebensfreude. Weltliche und kirchliche Krisen waren kein Thema - trotz einiger Demonstrationen gegen Papst Benedikt XVI.

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Im Madrider Stadtpark Retiro herrscht Ausgelassenheit. Das Lied "Give Me Everything Tonight“ ertönt aus einem Lautsprecher, eine Gruppe Tänzer begeistert die Passanten. Nur wenige Meter weiter hat sich ein Jugendchor der katholischen Bewegung "Chemin Neuf“ aufgestellt; zwischen den spirituellen Liedern legen junge Frauen ihr Glaubenszeugnis ab. Etwas abseits des Trubels haben sich Pilgergruppen im Schatten der Bäume niedergelassen und erholen sich von den Strapazen. Überall sonst herrscht Bewegung: Gruppen von Jugendlichen in gleichfarbigen T-Shirts, bunten Hüten und Pilgerrucksäcken ziehen die Wege entlang, viele schwingen die Fahnen ihrer Herkunftsländer.

Eine eigene Atmosphäre

Retiro ist noch einer der ruhigeren Orte. Hier befinden sich auch jene 200 futuristisch anmutenden Beichtstühle, die aussehen wie kleine Segelboote, und in denen sich Pilger in ihrer Landessprache an Priester wenden können. Ansonsten ist es dieser Tage laut im Stadtzentrum Madrids; Gesänge und Sprechchöre durchziehen die Straßen, Plätze und vollgestopften U-Bahn-Waggons.

Weltjugendtage sind Feste kollektiver Fröhlichkeit. Um das miterleben zu können, nehmen junge Katholikinnen und Katholiken lange Anreisen in Kauf, übernachten in Turnsälen, Klassenzimmern oder unter freiem Himmel. Staus in der U-Bahn-Station sind für die Jugendlichen kein Ärgernis, sondern eher ein willkommener Anlass, um das nächste Lied anzustimmen.

Hunderttausende Pilger kommen auf Einladung des Papstes zusammen, um zu feiern. Das Gemeinschaftsgefühl, das dabei entsteht, schafft eine eigene Atmosphäre, von der sich etwa Roberto aus Italien angezogen fühlt: "Das Beste am Weltjugendtag ist: Du siehst so viele Menschen, an denen du im Alltag einfach vorbeigehen würdest“, meint der 27-Jährige. "Doch hier sind wir zusammen wegen einer Sache, die uns alle eint.“

Ähnlich die Antworten anderer Jugendlicher oder Gruppenleiter(innen) auf die Frage, warum sie zum Weltjugendtag gekommen sind. Der Erlebnischarakter steht beim größten Treffen, das die katholische Kirche veranstaltet, im Vordergrund. Manche sehen das kritisch. "Diese Fröhlichkeit ist oberflächlich“, meint die spanische Feministin und Theologin María Eugenia Rueda Sabater. "Sie kommt nicht wirklich aus dem Inneren und fragt nicht: ‚Was ist los auf der Welt, wie können wir sie verändern?‘“

Der Weltjugendtag, eine Veranstaltung für kritiklose Frömmler? Kardinal Christoph Schönborn sieht das anders. "Die Jugendlichen hier sind keine Sonderlinge, sie stehen mitten im Leben“, so der Wiener Erzbischof in einem Radiointerview. "Ich glaube aber, dass sie in vieler Hinsicht alternativ sind: Sie sind offen für die Familie, für die Zukunft und das Leben, und sie haben ein starkes Gefühl für Solidarität und Gerechtigkeit.“

Doch soziale Fragen spielen beim Weltjugendtag eine untergeordnete Rolle. Informationsstände der Caritas oder anderer Organisationen sucht man vergeblich. Im Mittelpunkt steht der persönliche Glaube. Als Gesprächsforen dienen Katechesen - Glaubensvorträge, gehalten von Bischöfen aus aller Welt. Stark vertreten sind auch Neue Geistliche Bewegungen; junge Menschen, die von ihrer - oft radikalen - Bekehrung zu Christus berichten, sind in diesen Tagen keine Seltenheit.

Der Papst als Integrationsfigur

Verstärkt wird das Gemeinschaftsgefühl durch eine Integrationsfigur: Papst Benedikt XVI. löst bei seinen Auftritten ähnliche Begeisterung aus wie einst Johannes Paul II., der Erfinder der Weltjugendtage - und das, obwohl der deutsche Papst verhaltener auftritt als sein Vorgänger. Raum für Kritik gibt es nicht. Die Jugendlichen sehen sich weder dazu legitimiert noch in der Lage, ans Kirchenoberhaupt Forderungen zu stellen. "Ich denke, die Kirche muss eine starke Botschaft vermitteln. Und es liegt an jedem Einzelnen, diese Botschaft für sein persönliches Leben zu nützen. Es ist nicht die Aufgabe des Papstes, Kompromisse zu schließen, damit es für jeden einfacher wird“, meint etwa Roberto.

In einer Predigt vor Priesteramtskandidaten in Madrid hat Benedikt XVI. die Bedeutung des Pflichtzölibats bekräftigt. Eva aus Innsbruck stört das nicht - obwohl sich gerade über dieses Thema durchaus streiten lasse, wie sie sagt. "Aber das braucht die Kirche nicht primär. Sie braucht eine Verkündigung des Evangeliums, es braucht Glauben, es braucht Gebet“, meint die 34-Jährige, die mit der Loretto-Bewegung nach Madrid gekommen ist: "Was das andere betrifft, wird uns Gott zeigen, wie es weitergeht.“

Für eine solche Haltung hat die feministische Theologin Rueda Sabater wenig Verständnis, sieht hier aber durchaus Parallelen zur Idee des Weltjugendtags: "Meiner Meinung nach steht dieser Event für ein Glaubenssystem, das nicht mehr zeitgemäß ist. Es vermittelt den Jugendlichen: Wenn du an die Kirche und ihre Doktrin glaubst, dann ändert sich dein Leben und du wirst gerettet.“ In einer Welt des Wandels, in der es auf Kreativität ankomme, um die Probleme der Zeit zu lösen, sei eine solche Botschaft nicht mehr angebracht: "Natürlich brauchen wir Spiritualität und Ethik, aber wir brauchen keine Religion, die sagt: Wir haben alle Antworten auf alle Fragen. Denn das stimmt nicht.“

In Madrid ist im Mai eine Protestbewegung entstanden, die gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit, die Sparpolitik der Regierung und Finanzspekulanten auftritt. Wochenlang hatten die Indignados, die "Empörten“, den Platz Puerta del Sol im Zentrum belagert und mussten knapp vor dem Weltjugendtag weichen. Anlässlich seiner Visite geriet auch der Papst ins Kreuzfeuer der Kritik: In der Madrider Innenstadt kam es während des Weltjugendtags an drei Abenden zu Protesten, zweimal schritt die Polizei ein. "Kein Cent meiner Steuern für den Papst“, lautete die zentrale Botschaft der Papstgegner. Sie konnten nicht verstehen, warum der Staat in schwierigen Zeiten eine kirchliche Veranstaltung unterstützte, indem er etwa die Pilger gratis in öffentlichen Schulen übernachten ließ. Homosexuellen-Initiativen, Freidenker und progressive Christen schlossen sich den Protesten an. Auch wenn die Indignados nicht die eigentlichen Veranstalter der Proteste waren, nahmen doch viele von ihnen teil: Der katholische Riesen-Event erschien auch ihnen als Provokation.

Soziale Fragen ausgeblendet

Die Pilger aus aller Welt, die einfach nur ein fröhliches Fest feiern wollten, konnten diese Wut nicht verstehen. Dabei sei es durchaus möglich, dass die jungen Katholiken und die spanische Protestjugend gemeinsame Anliegen hätten, meint Rueda Sapater: "Wenn die Pilger mit den Indignados reden würden, wären sie wohl in vielem einig, etwa zum Thema Jobs oder sozialer Wandel. Aber sie sind nicht hier, um zu denken und zu diskutieren, sondern um die Macht der Kirche zu demonstrieren, damit diese sagen kann: ‚Seht her, so viele Jugendliche kommen hier wegen uns zusammen, und wir bringen sie zum Feiern und Singen.‘“

Der Autor ist Religionsjournalist beim ORF-Hörfunk.

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